Geist & Leben 1/2022. Verlag Echter
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18 Papst Franziskus, Enzyklika Laudato sí. Über die Sorge für das gemeinsame Haus. Vatikan 24. Mai 2015 (abgekürzt: LS).
19 J. B. Metz, Gottespassion. Zur Ordensexistenz heute. Freiburg i.Br. 1991, 31.
20 Vgl. J. B. Metz, Glaube in Geschichte und Gesellschaft. Mainz 51992, 70.
21 E. Dirscherl, Unser Körper in Zeiten einer „Revolution der Zärtlichkeit“. Von der Gnade des Spürens und dem Sinn der Sinne, in: IKaZ 45 (2016), 309–318, hier: 311.
22 Papst Franziskus, Predigt am 21.05.2018 anlässlich der ersten Feier des Festtages „Maria, Mutter der Kirche“.
23 Vgl. H. Rosa, Resonanz. Eine Soziologie der Weltbeziehung. Berlin 2016.
24 Papst Franziskus, Amoris Laetitia. Nachsynodales Apostolisches Schreiben über die Liebe in der Familie (VApSt 204). 8. April 2016. Bonn 2016 (abgekürzt: AL).
25 Papst Franziskus, Enzyklika Fratelli tutti über die Geschwisterlichkeit und die soziale Freundschaft. Assisi 3. Oktober 2020, Nr. 194.
26 Nikolaus von Kues, De visione Dei/Die Gottesschau, in: ders., Philosophisch-Theologische Schriften. Hrsg. u. eingef. v. L. Gabriel. Übers. v. D. u. W. Dupré. Wien 1967, Bd. III, 105–111.
Sexualität
N
Hermann Kügler SJ | Mannheim
geb. 1952, Priester, Pastoralpsychologe, graduierter Lehrbeauftragter für themenzentrierte Interaktion (TZI)
Sexualität, Spiritualität und zölibatäre Keuschheit
Welche Hilfen bieten die christlichen Spiritualitäten einem Priester, der einigermaßen zufrieden und authentisch das Versprechen zölibatärer Keuschheit leben will? Welche Ermutigungen und Bestärkungen geben sie ihm, wenn er sich immer mehr dahin entwickeln will, ein freier und liebender Mensch zu werden und immer mehr die – wohl niemals endgültig erreichbare – Balance zwischen einer geordneten Selbstliebe, Gottesliebe und Nächstenliebe finden will? Dazu zunächst einige Präzisierungen und Grundannahmen, die ich als zölibatär lebender Ordenspriester aus männlicher Perspektive schreibe. Eine weibliche Sicht- und Erlebensweise würde diese Perspektive sicherlich bereichern, erweitern und möglicherweise verändern.
Präzisierungen und Grundannahmen
Ich schreibe im Hinblick auf Priester der katholischen Kirche, die im Kontext ihrer Lebensentscheidung – wenn sie Diözesanpriester sind – ihrem Bischof bei der Priesterweihe versprochen haben, zölibatär zu leben, bzw. Ordensmänner, die bei der Profess ihrem Ordensoberen das Gelübde der Keuschheit abgelegt haben. Anders gesagt: Ich habe jene Priester im Blick, die sich zu einem authentischen zölibatären Leben berufen erleben, nicht diejenigen, die den Zölibat sozusagen „in Kauf nehmen“.
Im Folgenden geht es um spirituelle Hilfen und Ermutigungen. Damit will ich nicht sagen, dass – insbesondere in Krisensituationen – psychologische und therapeutische Unterstützungen unwichtig oder zweitrangig wären, im Gegenteil! Sie zu übergehen, wäre grob fahrlässig. Hier ließe sich einiges unter dem Stichwort „Resilienz“ aufzählen. Resilienz ist die Fähigkeit, sich abzeichnende Krisen durch Rückgriff auf persönliche und sozial vermittelte Ressourcen zu meistern und als Anlass für Entwicklungen zu nutzen.1 Wenn ich mich auf die ignatianische Spiritualität beziehe und damit auch beschränke, dann bedeutet das nicht, dass ich diese Spiritualität für die am besten geeignete halte oder den ignatianischen Übungsweg als für alle zölibatär Lebenden am besten passend ansähe. Allerdings zeigt sich dieser Zugang immer schon besonders geeignet für ein „Leben in der Welt“; und nicht wenige Spirituale in den Priesterseminaren waren und sind Jesuiten. Meine Leitfrage ist angesichts der derzeitigen aufgeheizten Diskussion um Priesterbild und Zölibat ganz einfach diese: Was kann aus dieser Spiritualität heraus zu einem authentischen Leben des Keuschheitsversprechens gesagt werden?
Das ist keine theoretische Erörterung, sondern ein höchst lebenspraktisches Unterfangen. Baumann und Büssing untersuchen den Zusammenhang von Zölibat und geistlicher Trockenheit. Sie kommen zu dem Ergebnis: Knapp die Hälfte der Priester, die kaum oder nicht fähig sind, allein zu sein, äußert auch ausdrücklich Probleme mit der eigenen Sexualität. Je weniger jemand fähig ist, allein zu sein, desto weniger ist für ihn der Zölibat eine geeignete Lebensform im Hinblick auf ein wirksames Apostolat, innere Freiheit und ein gelingendes geistliches Leben.2 Bei den folgenden Überlegungen gehe ich von drei Grundannahmen aus:
Katholische Priester sind wie alle Menschen weder Tiere noch Engel. Sie sind zwar vernunftbegabt und richten ihr Leben und Handeln auf Werte aus. Zugleich aber sind sie lebenslang – was Freud schon vor 120 Jahren beschrieben hat – von ihren Triebdynamiken beeinflusst. Sie müssen – wie jeder andere Mensch auch – Affektregulierung und Impulskontrolle erst lernen und dann lebenslang üben. „Abtötung“ nannte man das in der aszetischen Literatur bis etwa in die 1960er-Jahre. Das Wort hat heute keinen guten Klang und ist wegen der damit assoziierten Missverständnisse im deutschen Sprachraum aus der spirituellen Literatur fast völlig verschwunden. Auch der frömmste Priester hat nicht nur in der ersten Lebenshälfte erotische Phantasien gegenüber anderen Frauen oder Männern – und Todeswünsche genauso.
Erotik, Zärtlichkeit und Sexualität sind gute Gaben Gottes zur Freude am Leben und für ein „Leben in Fülle“ (Joh 10,10). Wenn man sie von Gott fernhält, holt sie sich der Teufel, so wie er sich – im Bild gesagt – alles holt, was man nicht mit Gott in Berührung bringt! Sie gehören konstitutiv zum Menschsein, egal ob man die darinliegenden Möglichkeiten aktualisiert oder um des Wertes der eigenen Berufung willen auf die Realisierung verzichtet. Werden sie nicht akzeptiert und deshalb als etwas Böses und Fremdartiges abgespalten, dann ist die Gefahr nur allzu groß, dass sie als Ich-fremde Dämonen mit enormen Energien immer wieder nachdrängen und sie sich buchstäblich „der Teufel holt“, wovon die Missbrauchsskandale der Vergangenheit ja ein beredtes Zeugnis ablegen. Schon Freud wusste, dass die „Dämonen“ unsere bösen, verworfenen Wünsche sind, Abkömmlinge abgewiesener, verdrängter Triebregungen.
Priester sollen – und wollen hoffentlich – einen menschenfreundlichen Gott verkünden, einen zugewandten Jesus repräsentieren und von einem lebensspendenden Heiligen Geist erfüllt sein. Deswegen ist es richtig oder zumindest wünschenswert, dass niemand sich und seine Mitmenschen vorrangig unter dem Aspekt der Gefahr ansieht. Ich sehe vielmehr mein Gegenüber als jemand, der/die mein Leben bereichert und dessen Leben ich bereichern kann. Das prägt meinen Umgang mit anderen Männern und Frauen. Ich werde