Geist & Leben 1/2022. Verlag Echter
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Das Begehren der Zweiten Woche intendiert nicht nur, etwas über Jesus zu wissen, sondern ihn zu kennen. Ignatius ist vollkommen zuversichtlich, dass Jesus zu kennen bedeutet, ihn zu lieben. Er kann sich nicht vorstellen, dass jemand Jesus innerlich kennt, ohne eine wachsende intensive Anziehung. In der zweiten Exerzitienwoche führt Kennen zum Lieben. Und durch das Begehren geht das Wissen in Handeln über – nicht irgendein Handeln, sondern das Handeln, das aus dem Lieben entsteht, und aus der Liebe zu dem, was der Liebende liebt. Wissen und Liebe bewegen zur Nachfolge, nicht irgendetwas zu tun, sondern mit ihm zu tun, was er tut.
Menschen zögern aus vielen Gründen, über erotische Elemente in ihrer Beziehung zu Gott zu sprechen. Sie spüren vielleicht ein Tabu, fürchten eine Verurteilung oder scheuen die eigene Verletzlichkeit. Oder es wurde ihnen nie gesagt und – was vielleicht am häufigsten vorkommt – sie haben einfach nicht gelernt anzuerkennen, dass diese erotischen Elemente existieren. Wenn Eros das Herz der zweiten Exerzitienphase ist, dann sollte es keine Überraschung sein, wenn diese Gnade manchmal eine explizit romantische oder nichtgenitale sexuelle Form annimmt.12
Ein Leben in der Dynamik der zweiten Exerzitienwoche ist ein Leben in der Beziehungszusage Gottes in Jesus Christus: Er opfert sich für mich – nicht ich muss mich für ihn opfern.13
Demut und Dienst
Das Geschenk Gottes bzw. Christi an mich beantworte ich mit dem Geschenk meines Lebens an ihn. Das ist gerade nicht eine reale (wie es angeblich Origenes tat) oder voluntaristisch-überhöhte symbolische Kastration. Sondern ich trete ein in eine dialogische und das eigene Leben prägende und im Gebet vollzogene Beziehung, die durch Demut und Dienst gekennzeichnet ist. Ignatius rät für die praktische Umsetzung: „So ist es für den, der diese dritte Demut zu erlangen wünscht, sehr nützlich, (…) zu bitten, dass unser Herr ihn zu dieser dritten, größten und besten Demut erwählen wolle, um mehr ihn nachzuahmen und ihm zu dienen“ (GÜ 168). Ignatius stellt sich vor, dass ich als Mitarbeiter Christi in eine lebensbestimmende Gemeinschaft mit ihm eintrete, mehr und mehr so lebe wie er und in dieser Beziehung menschlich und geistlich wachse (GÜ 147; 165). Die von ihm verfasste Ordensregel der Jesuiten drückt das, was ein Leben in der „dritten Weise der Demut“ ausmacht, so aus:
„Wie die Weltleute, die der Welt folgen, mit solchem Eifer Ehren, Ruf und Ansehen eines großen Namens auf Erden lieben und suchen, (…) so lieben und verlangen diejenigen, die im Geist gehen und ernstlich Christus unserem Herrn nachfolgen, inständig das ganze Gegenteil, (…) so dass sie sogar, wo es für seine göttliche Majestät nicht eine Beleidigung wäre und auch dem Nächsten nicht zur Sünde angerechnet würde, danach verlangen, Schmähungen, falsche Zeugnisse und Beschimpfungen zu erdulden und für Toren gehalten und angesehen zu werden – ohne selbst irgendeinen Anlass dazu zu geben –, weil sie danach verlangen, einigermaßen unserem Schöpfer und Herrn Jesus Christus ähnlich zu sein und ihn nachzuahmen (…).“ Die Begründung für dieses Begehren ist ganz einfach: „(…) da er ja der Weg ist, der die Menschen zum Leben führt.“14
Vitus Seibel führt mit dem Engels-Bild in der Ordenssatzung der Jesuiten aus, was zölibatäre Keuschheit im Erleben und Verhalten heißen kann: „Vielleicht ergibt sich aus der Aufgabe, die wir Engeln zuschreiben, ein Hinweis, der weit über einen Orden mit Gelübden hinaus in die richtige Richtung führen könnte. Die Engel stehen vor Gott, und sie werden zu den Menschen gesandt. Wenn wir also unser Dasein begreifen als eine Haltung, die sich immer wieder auf Gott ausrichtet, geben wir ihm die Ehre. Und wenn wir unser Dasein begreifen als eine Sendung zu den Mitmenschen, dann darf die damit verbundene Lauterkeit uns begleiten, bei aller Verschiedenheit der konkreten Lebensentwürfe. Es ist eine Reinheit der Absichten und eine Reinheit im Tun“.15
Und zum Schluss: Das Ziel, das ein zölibatär lebender Priester für sich anstrebt, ist hoffentlich nicht die Ästhetisierung des vollkommenen, selbstentfalteten Menschen. Er muss seine Scharten, Runzeln und Narben kennen und seine persönlichen Verletzungen in öffentlichen und institutionellen Kämpfen auch im eigenen Bistum oder seiner Ordensgemeinschaft. Die Kantigkeit von in ihrer Art sehr verschiedenen Priester-Gestalten scheint mir mehr willkommen als ein irgendeinem Ideal angenäherter Kirchenbeamten-Typ: immer ausgeglichen, matt und mittelmäßig vor lauter Balance, halbstarr und milde vor lauter integrierter Sexualität und Aggressionsbewusstheit, stets bemüht, bewusst echt und voller Verständnis für alles und jeden. Diese Vision entspricht keiner Grundannahme des christlichen Menschenbildes und auch nicht der von Ignatius.
1Einen guten Überblick und grundlegende Informationen bieten K. Fröhlich-Geldorf / M. Rönnau-Böse, Resilienz. Stuttgart 32014.
2K. Baumann / A. Büssing, Zölibat und geistliche Trockenheit. Empirische Befunde und Deutungsempfehlungen zur Unterscheidung, in: A. Büssing / T. Dienberg (Hrsg.), Geistliche Trockenheit – empirisch, theologisch, in der Begleitung. Münster 2019, 105–122.
3Ignatius von Loyola, Satzungen der Gesellschaft Jesu, Nr. 547, in: Gründungstexte der Gesellschaft Jesu. Übers. v. P. Knauer SJ. Würzburg 1998, 739.
4V. Seibel, Architektur einer Gemeinschaft. Impulse aus den Satzungen der Jesuiten. Würzburg 2013, 49.
5MHSJ, FD, 229–231, zit. n. R. Garcia-Mateo, Ignatius von Loyola vor seiner Bekehrung. Die Bedeutung der Jugendzeit für seine Spiritualität, in: GuL 61 (1988), 242–257, hier: 252f.
6MHSJ, FN I. Bd. 76, zit. n. R. Garcia-Mateo, Ignatius von Loyola und die Frauen, in: GuL 67 (1994), 264–275, hier: 266.
7J. Martínez de Toda / M. Villarreal de Loyola, ¿presunta hija de Íñigo de Loyola? (Los Loyola de La Rioja del s. XVI), in: AHSJ 75 (2006), 325–60.
8F. Cassingena-Trévedy, „Und sie erkannten, dass sie nackt waren“. Über die Sexualität in ihrem kirchlichen Kontext, in: GuL 95 (2021), 150–158, hier: 152.
9E. Frick, Spiritualität und Geschlechtlichkeit, in: K. Hilpert (Hrsg.), Zukunftshorizonte katholischer Sexualethik. Freiburg i.Br. 2011, 229–246.
10 Ebd., 239f.
11 R. Marsh, Id quod volo: The Erotic Grace of the Second Week, in: The Way 45/4 (2006), 7–19.
12 S. auch: A. Walker, Geistliche Übungen und Sexualität, in: GuL 84 (2011), 408–415. Der Beitrag erschien im Original unter dem Titel