Gesammelte Werke. Sinclair Lewis

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Gesammelte Werke - Sinclair Lewis

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in die Hauptstraße ein.

      2

      In den ersten Junitagen begleitete sie Kennicott bei seinen Krankenbesuchen. Er wurde ihr zum Inbegriff dieses mannhaften Landes; sie bewunderte ihn, wenn sie sah, wie respektvoll die Farmer ihm gehorchten. In der Morgenkühle, nach einer hastigen Tasse Kaffee, war sie im Freien, und wenn die frische Sonne über dieser unverdorbenen Welt aufging, war sie schon im offenen Land. Lerchen riefen auf Zaunpfählen, wilde Rosen verbreiteten einen reinen Duft.

      Der Juli war lähmend heiß. Bei Tag kroch man die Hauptstraße entlang; bei Nacht war es schwer zu schlafen. Sie sehnte sich nach den Fichten des Nordens, nach dem Meer des Ostens, aber Kennicott erklärte, gerade jetzt wäre es einigermaßen schwer, wegzukommen.

      Der Ausschuß für Hygiene und sanitäre Maßnahmen des Thanatopsis ersuchte sie, an dem Feldzug gegen die Fliegen teilzunehmen; sie lief in der Stadt umher und bemühte sich, die Hausbesitzer zu überreden, sie möchten die vom Klub gelieferten Fliegenfänger benutzen, oder setzte den Kindern Preise für getötete Fliegen aus. Sie war ziemlich eifrig, aber nicht glühend, und da sie das auch gar nicht sein wollte, begann sie die Sache zu vernachlässigen, sobald die Hitze sie schwach machte.

      Kennicott fuhr mit ihr nach Norden und verbrachte eine Woche bei seiner Mutter – das heißt, Carola verbrachte sie bei seiner Mutter, während er fischte.

      Das große Ereignis war der Ankauf eines Sommerhäuschens, draußen am Minniemashiesee.

      So ziemlich das Angenehmste im Leben von Gopher Prairie waren die Sommerhäuschen. Es waren kleine, zweizimmrige Hütten, die so dünne Wände hatten und so nahe aneinander standen, daß man es hören konnte – und auch wirklich hörte – wenn ein kleines Kind fünf Häuser weiter Schläge bekam. Doch man saß unter Ulmen und Linden auf einer Anhöhe, hatte einen Ausblick über den See auf Felder mit reifem Weizen, die sanft zu grünen Wäldern abfielen.

      Hier vergaßen die würdigen Frauen ihre gesellschaftlichen Eifersüchteleien und saßen plaudernd beieinander oder sie paddelten stundenlang in alten Badeanzügen, von aufgeregten Kindern umgeben. Carola war mit ihnen zusammen; sie tauchte schreiende kleine Jungen und half den ganz Kleinen beim Bau von Sandteichen für unglückselige Fischchen. Sie hatte Juanita Haydock und Maud Dyer gern, wenn sie ihnen bei der Bereitung des Picknickabendbrotes für die Männer half, die jeden Abend im Automobil aus der Stadt herauskamen. Sie gab sich jetzt freier und natürlicher.

      Hätte man dieses normale, unzivilisierte Leben fortführen können, so wäre Carola die begeistertste Bürgerin Gopher Prairies gewesen. Sie war erlöst, als sie sich sagen konnte, daß sie nicht literarische Konversation allein ersehnte, daß sie von der Stadt nicht erwartete, sie solle eine Literatensiedlung werden. Sie war jetzt zufrieden, sie kritisierte nicht.

      Doch im September, als das Jahr am köstlichsten war, diktierte die Gewohnheit, es sei Zeit zur Rückkehr in die Stadt; Zeit, die Kinder von der unnützen Beschäftigung mit der Natur loszureißen und zu Unterrichtsstunden zurückzusenden, in denen sie lernen mußten, wieviel Kartoffeln William an John verkauft. Die Frauen, die den ganzen Sommer zufrieden und vergnügt baden gegangen waren, setzten zweifelnde Mienen auf, wenn Carola bat: »Seien wir im Winter diesmal viel im Freien, wir wollen rodeln und eislaufen.« Ihre Herzen verschlossen sich wieder bis zum Frühling, und die neun Monate der Cliquen, der Heizkörper und der »Erfrischungen« begannen wieder.

      3

      Carola hatte einen Salon gegründet.

      Da Kennicott, Vida Sherwin und Guy Pollock ihre einzigen Löwen waren, und da Kennicott Sam Clark allen Dichtern und Radikalen der Welt vorgezogen hätte, kam ihre Privat- und Selbstverteidigungsclique über ein einziges Dinner für Vida und Guy an ihrem ersten Hochzeitstag nicht hinaus; und dieses Dinner kam über eine Kontroverse, deren Gegenstand Raymie Wutherspoons Schmachten war, nicht hinaus.

      Guy Pollock war der artigste Mensch, den sie hier gefunden hatte. Er sprach natürlich und ohne Witze zu machen über ihr neues Kleid; er hielt ihr den Stuhl, als sie sich zum Essen setzten; und er unterbrach sie nicht wie Kennicott, um zu schreien: »Ach, hör' mal, da wir g'rad davon reden, da hab' ich heute 'ne gute Geschichte gehört.« Aber Guy war ein unverbesserlicher Einsiedler. Er blieb lange, redete kaum und kam nie wieder.

      Dann traf sie Champ Perry auf der Post – und kam zu dem Schluß, daß die Geschichte der Pioniere das Universalheilmittel für Gopher Prairie, für ganz Amerika sei. Wir haben ihre Ausdauer verloren, sagte sie sich. Wir müssen den letzten Veteranen wieder zu Ansehen bringen und ihm auf dem Pfad nachgehen, der zurückführt zur Lauterkeit Lincolns, zur Fröhlichkeit der Ansiedler, die in einer Sägemühle tanzten.

      Champ Perry war der Einkäufer im Getreidespeicher. Auf einer derben Brückenwage, in deren Sprüngen jedes Frühjahr die Körner sproßten, wog er Weizenfuhren. Zwischendurch nickte er im verstaubten Frieden seines Büros.

      Sie besuchte die Perrys in ihrer Wohnung, die über Howland & Goulds Kaufladen lag.

      Die beiden hatten ihr Geld in einem Speicher angelegt und es verloren, als sie bereits alt waren. Sie mußten ihr geliebtes gelbes Ziegelhaus aufgeben und in diese Wohnung über dem Lebensmittelgeschäft einziehen.

      Sie empfingen Carola (ihren ersten Besuch seit einem Monat) mit vor Alter zitternder Zärtlichkeit. Frau Perry gestand ihr: »Mein Gott, es ist eine Schande, daß wir Sie in dieser Enge empfangen müssen. Und wir haben auch gar kein Wasser, außer dem alten Eisenausguß draußen im Vorzimmer, aber, wie ich immer zu Champ sage, Bettler dürfen nicht wählerisch sein. Übrigens das Ziegelhaus war zu groß für mich zum Aufräumen, und es war auch ein bißchen weit draußen, und es ist nett, hier unter den Leuten zu wohnen. Ja, wir sind gern hier. Aber – Einmal werden wir vielleicht wieder ein eigenes Haus haben. Wir sparen – Ach, du lieber Gott, wenn wir wieder unser eigenes Haus haben könnten! Aber die Zimmer hier sind wirklich hübsch, nicht wahr?«

      Wie alte Leute es in der ganzen Welt tun, hatten sie soviel wie möglich von ihren altgewohnten Möbeln in diese engen Räume gepfercht. Carola spürte nichts von dem Überlegenheitsgefühl, das sie Frau Lyman Cass' protzenhaftem Salon gegenüber empfand. Hier fühlte sie sich zu Hause.

      Sie verschwieg nicht, daß sie entzückt war. Es tat den Perrys wohl, unter den »jungen Leuten« einen Menschen zu finden, der sie ernst nahm, und Carola brachte die beiden Alten leicht dazu, ihr die Grundsätze zu verraten, die Gopher Prairie zur Wiedergeburt verhelfen – es wieder zu einem angenehmen Aufenthaltsort machen sollten.

      Das war die ganze Philosophie der beiden Leutchen … im Zeitalter der Flugzeuge und des Syndikalismus:

      Die baptistische Kirche (und, in etwas geringerem Grade, die methodistische, die kongregationalistische und Presbyterianerkirche) ist der vollkommene, göttlich eingesetzte Maßstab für Musik, Redekunst, Philanthropie und Ethik. »Wir brauchen nicht diese ganze neumodische Wissenschaft und diesen schrecklichen höheren Kritizismus, der unsere jungen Männer in den Colleges verdirbt. Was wir brauchen, das ist die Rückkehr zum echten Wort Gottes und zu einem guten gesunden Glauben an die Hölle, wie er uns immer gepredigt worden ist.«

      Die republikanische Partei, die Große Alte Partei Blaines und McKinleys, ist das Werkzeug Gottes und der Baptistenkirche für zeitliche Angelegenheiten.

      Alle Sozialisten gehören an den Galgen.

      »Harald Bell Wright ist ein reizender Schriftsteller, und er gibt so gute moralische Lehren in seinen Romanen, und er soll nicht viel weniger als eine Million Dollar damit verdient haben.«

      Alle,

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