Gesammelte Werke. Sinclair Lewis
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Vida war freundlich, aber entschieden:
»Meine Liebe, Sie haben ganz unrecht. Ich würde es gerne sehen: einen schönen Ort mit Gärten, die die Stürme abhalten. Aber es läßt sich nicht machen. Was könnten die Klubdamen erreichen?«
»Ihre Männer sind die wichtigsten Leute in der Stadt. Sie sind überhaupt die Stadt!«
»Aber die Stadt als Ganzes für sich ist nicht der Mann vom Thantatopsisklub. Wenn Sie wüßten, wieviel Ärger wir gehabt haben, bis wir den Stadtrat soweit bringen konnten, daß er das Geld für die Weinspaliere am Pumpenhaus ausgeworfen hat! Sie können von den Frauen in Gopher Prairie denken, was Sie wollen, aber sie sind doppelt so fortschrittlich wie die Männer.«
»Aber können sie nicht die Männer dazu bringen, daß sie sehen, wie häßlich die Stadt ist?«
»Sie halten die Stadt nicht für häßlich. Und wie könnte man ihnen das beweisen? Das ist Geschmackssache! Und warum sollte ihnen gefallen, was einem Bostoner Architekten gefällt?«
»Was ihnen gefällt, ist der Handel mit Pflaumen!«
»Na ja, warum nicht? Auf jeden Fall handelt es sich darum, daß man von innen heraus arbeiten muß, mit dem, was wir haben, und nicht von außen, mit fremden Ideen. Die Schale darf nicht dem Geist aufgedrängt werden. Das ist unmöglich! Die leuchtende Schale muß aus dem Geist herauswachsen und ihn ausdrücken. Das heißt Geduld haben. Wenn wir den Stadtrat noch weitere zehn Jahre bearbeiten, dann wird er vielleicht die Mittel für eine neue Schule bewilligen.«
»Ich weigere mich zu glauben, daß die großmächtigen Männer, wenn sie es nur einsähen, zu geizig sein würden, um je ein paar Dollars für den Bau eines Hauses herzugeben – bedenken Sie doch! – Bälle und Vorlesungen und Theatervorstellungen, alles aus genossenschaftlichen Beiträgen!«
»Sprechen Sie vor den Kaufleuten das Wort ›genossenschaftlich‹ aus, und Sie werden gelyncht! Sie fürchten nur eines mehr als Postbestellfirmen, und das ist die Möglichkeit, daß die Farmer genossenschaftliche Schritte unternehmen könnten.«
»Die heimlichen Spuren, die zu ängstlichen Brieftaschen führen. Immer! In allem! Ich bin mit Mauern von Dummheit umgeben. Ach, ich weiß, ich bin ein Narr. Ich träume von Venedig, und ich lebe in Archangelsk und schimpfe darüber, daß die nordischen Meere keine zarten Farben haben. Aber wenigstens sollen sie mich nicht daran hindern, Venedig lieb zu haben, und einmal werde ich durchbrennen – Erledigt. Schluß.«
Mit einer verzichtenden Gebärde streckte sie die Arme aus.
6
Anfang Mai; der Weizen schoß in Halmen hoch wie Gras; Mais und Kartoffeln wurden gepflanzt. Das Land summte. Zwei Tage lang hatte es geregnet. Auch innerhalb der Ortschaft waren die Straßen ein gefurchtes Schlamm-Meer, häßlich anzusehen und schwer zu überschreiten. Die Hauptstraße war von Randstein zu Randstein ein schwarzer Sumpf; in den Wohnstraßen triefte das neben den Bürgersteigen hervorsprießende Gras von grauem Wasser. Es war stechend heiß, ein düsterer Himmel drückte auf die Stadt.
Als Carola sich heimschleppte, blickte sie mit Ekel auf ihre schmutzverschmierten Galoschen, den bespritzten Saum ihres Rocks. Sie durchwatete eine gelbe Pfütze. In diesem Sumpf war sie nicht zu Hause, dachte sie. Ihre Heimat und ihre schöne Stadt, die existierten in ihrer Phantasie. Sie waren bereits geschaffen. Die Aufgabe war getan. Wonach sie eigentlich gesucht hatte, das war jemand, der sie mit ihr bewohnen könnte. Vida wollte nicht, Kennicott konnte nicht.
Jemand, der mit ihr dort zu Hause sein könnte.
Plötzlich dachte sie an Guy Pollock.
Sie ließ den Gedanken wieder fallen. Er war zu vorsichtig. Sie brauchte einen Geist, der so jung und unvernünftig war wie der ihre. Und den würde sie nie finden. Nie würde die Jugend singend kommen. Sie war geschlagen.
Doch noch an diesem Abend hatte sie eine Idee, die das Wiederaufbauproblem Gopher Prairies löste.
Zehn Minuten später zog sie an dem altmodischen Klingelzug Luke Dawsons. Frau Dawson öffnete die Tür und blickte argwöhnisch durch einen Spalt hinaus. Carola küßte sie auf die Wange und stürmte in das düstere Wohnzimmer.
»Na, das ist mal ein Anblick für müde Augen«, lachte Herr Dawson, ließ seine Zeitung fallen und schob sich die Brille auf die Stirn.
»Sie sehen so aufgeregt aus«, seufzte Frau Dawson.
»Das bin ich auch! Herr Dawson, sind Sie nicht Millionär?«
Er nickte und sagte behaglich: »Ja, ich glaub', wenn ich alle meine Sicherheiten und Hypotheken und meine Eisenbeteiligung in der Mesaba und meine Holzaktien und gerodeten Ländereien zu Geld mach', so würde mir nicht viel an zwei Millionen Dollar fehlen, und jeden Cent davon hab' ich nur, weil ich hart gearbeitet hab' und so gescheit war, nicht jeden –«
»Ich glaube, das meiste davon muß ich haben –«
Die Dawsons warfen einander Blicke voll Anerkennung über diesen Spaß zu, und er kicherte: »Sie sind ja schlimmer als Reverend Benlick! Der will fast nie mehr als zehn Dollar von mir haben – auf einmal!«
»Ich mache keinen Witz! Ich mein' es ganz ernst! Ihre Kinder in den Städten sind erwachsen und wohlhabend. Sie brauchen, wenn Sie sterben, nicht einen Namen zu hinterlassen, den niemand kennt. Warum sollen Sie nicht etwas Großes, Originelles machen? Warum nicht die ganze Stadt neu aufbauen? Einen großen Architekten herkommen und eine Stadt entwerfen lassen, die in die Prärie paßt. Vielleicht könnte er eine ganz neue Architekturform finden. Dann alle diese baufälligen Buden einreißen –«
Herr Dawson war zu dem Schluß gekommen, daß sie es wirklich ernst meine. Er jammerte: »Aber das würde doch mindestens drei bis vier Millionen Dollar kosten!«
»Aber Sie allein, ein einzelner, haben zwei von diesen Millionen!«
»Ich? Mein ganzes gutes, schwer verdientes Geld auf Häuser ausgeben für einen Haufen untüchtiger Bettler, die nie den Verstand gehabt haben, ihr Geld zu sparen? Ich bin nie schlecht gewesen. Mama konnte immer ein Dienstmädel für die Arbeit haben – wenn sie eins finden konnte. Aber wir haben uns beide die Knochen aus dem Leib gerackert und – das ganze für diese Mistkerle ausgeben –?«
»Bitte! Werden Sie nicht böse! Ich meine nur – ich meine – nicht alles ausgeben, natürlich, aber wenn Sie als erster die Liste zeichnen und dann die anderen kommen würden, und Sie über eine hübschere Stadt sprechen hören –«
»Aber, aber, Kind, was Sie für Einfälle haben! Außerdem, was ist denn mit der Stadt? Ich find' sie gut. Ich hab' mit Leuten gesprochen, die in der ganzen Welt herumgereist sind und die haben mir immer wieder gesagt, daß Gopher Prairie der hübscheste Ort im Mittelwesten ist. Gut genug für alle, ganz bestimmt gut genug für Mama und mich. Außerdem! Mama und ich denken dran, nach Pasadena zu übersiedeln und dort ein Häuschen zu kaufen.«
7
Sie hatte Miles Bjornstam auf