Gesammelte Werke. Sinclair Lewis
Чтение книги онлайн.
Читать онлайн книгу Gesammelte Werke - Sinclair Lewis страница 34
Sie schüttelte den Kopf, als wollte sie Wassertropfen abschütteln, und eilte in die Bibliothek. Fräulein Villets starrte sie an, und Carola schnurrte: »Es hat mir so leid getan, daß ich Sie gestern im Thanatopsis nicht gesehen habe. Vida sagte, Sie würden vielleicht kommen.«
»Oh. Sie waren im Thanatopsis. Hat es Ihnen gefallen?«
»Ja, sehr. So gute Vorträge über Dichter.« Carola log energisch. »Aber ich meine, man hätte Sie einen der Vorträge über Lyrik halten lassen sollen!«
»Also – Natürlich gehör' ich nicht zu den Leuten, die so viel Zeit zu haben scheinen und in den Klub laufen, und wenn sie sich lieber literarische Vorträge von anderen Damen halten lassen wollen, die übrigens keine literarische Vorbildung haben – warum sollte ich schließlich darüber klagen? Ich bin nichts weiter als eine städtische Angestellte!«
»Das ist nicht richtig! Sie sind die einzige Person, die – die – ach, Sie tun doch so viel. Sagen Sie, gibt es, äh – Wer leitet eigentlich den Klub?«
Fräulein Villets stempelte mit Schwung ein Datum auf die erste Seite einer Kinderzeitschrift für einen kleinen flachsblonden Jungen, warf ihm einen grimmigen Blick zu, als wollte sie ihm eine Warnung ins Hirn stempeln, und seufzte:
»Ich würde mich nie in den Vordergrund schieben oder irgend jemand kritisieren, und Vida gehört zu meinen besten Freundinnen, und sie ist eine so ausgezeichnete Lehrerin, und es gibt in der ganzen Stadt keinen Menschen, der fortgeschrittener wäre und sich für alle Bewegungen mehr interessierte; aber ich muß sagen, ganz egal, wer die Präsidentin ist, und aus wem die Ausschüsse bestehen, Vida Sherwin scheint immer dahinter zu stecken, und obwohl sie mir immer etwas von meiner, wie sie so gerne sagt, ›prächtigen Arbeit in der Bibliothek‹ erzählt, merk' ich nicht, daß ich grade oft zu Vorträgen aufgefordert werde, obwohl mir Frau Lyman Cass einmal ganz unaufgefordert gesagt hat, daß sie meinen Vortrag »Die Kathedralen Englands« für den interessantesten Vortrag hält, den wir gehabt haben, damals in dem Jahr, wie wir französische und englische Reisen und Architektur durchgenommen haben. Aber – Und natürlich sind Frau Mott und Frau Warren sehr wichtig im Klub, wie ja von den Frauen des Schulinspektors und des Kongregationalisten-Pastors zu erwarten ist, und sie sind beide auch wirklich sehr gebildet, aber – Nein, nein, ich bin wirklich ganz unwichtig. Ich bin sicher, was ich sage, zählt nicht ein bißchen mit!«
»Sie sind viel zu bescheiden, und das werde ich auch Vida sagen, und, äh, könnten Sie mir ein ganz klein wenig von Ihrer Zeit schenken und mir zeigen, wo die Zeitschriften sind?«
Sie hatte gesiegt. Sie wurde mit großem Brimborium in ein Zimmer, das wie eine großmütterliche Bodenkammer aussah, geführt, wo sie Zeitschriften über Innendekoration und Städtebau und sechs Jahrgänge der »National Geographic« fand. Fräulein Villets ließ sie angenehmerweise allein. Trällernd, mit entzückten Fingern umblätternd, saß Carola mit gekreuzten Beinen auf dem Boden, von Zeitschriftenhaufen umgeben.
Sie fand Bilder von neuenglischen Straßen: die würdevolle Pracht von Falmouth, die Reize Concords, Stockbridges, Farmingtons und der Hillhouse Avenue. Die Märchenbuchvorstadt von Forest Hills auf Long Island. Villen in Devonshire, Herrenhäuser in Essex, eine Yorkshirer Straße und Port Sunlight. Das Araberdorf Djeddah – ein kunstvoll verziertes Schmuckkästchen. Eine Stadt in Kalifornien, die sich aus einer Hauptstraße mit Ziegelmauern und schäbigen Bretterbuden in einen schönen Ort mit Laubengängen und Gärten verwandelt hatte.
Sie zauberte rasch aus einer drahtumzäunten Kartoffelanpflanzung einen Rosengarten zwischen schönen Mauern. Sie eilte davon, um Frau Leonard Warren, der Präsidentin des Thanatopsis, von diesem Wunder, das sie zustande gebracht hatte, zu berichten.
3
Um drei Viertel drei war Carola von zu Hause weggegangen; um halb fünf hatte sie eine neue Stadt im Kolonialstil erbaut; um drei Viertel fünf befand sie sich in der würdevollen Dürftigkeit des kongregationalistischen Pfarrhauses und ließ ihre Begeisterung auf Frau Leonard Warren herabtrommeln, wie Sommerregen auf ein altes graues Dach; zwei Minuten vor fünf war eine Stadt mit ehrbaren Höfen und freundlichen Dachfenstern errichtet; und zwei Minuten nach fünf war die ganze Stadt dem Erdboden gleichgemacht wie Babylon.
Aufrecht in einem schwarzen Lehnstuhl vor einem Regal mit grauen und fleckigbraunen Bänden mit Predigten, Bibelkommentaren und geographischen Abhandlungen über Palästina, die sauberen schwarzen Schuhe fest auf einen Streifenteppich gestemmt, selbst von der gleichen Korrektheit und Stille wie ihr Hintergrund, hörte Frau Warren, ohne eine Bemerkung zu machen, zu, bis Carola ganz fertig war; dann antwortete sie höflich:
»Ja, ich glaube, Sie haben ein sehr hübsches Bild von etwas entworfen, das leicht Wirklichkeit werden kann – eines Tages. Ich bezweifle nicht, daß man solche Ortschaften in der Prärie finden wird – eines Tages. Aber wenn Sie mir erlauben würden, einen ganz kleinen Einwand zu machen: mir scheint, daß Sie unrecht haben, wenn Sie annehmen, daß das Rathaus ein geeigneter Anfang, oder daß der Thanatopsis das richtige Instrument wäre. Schließlich sind doch die Kirchen, nicht wahr, das eigentliche Herz der Gemeinde. Wie Sie vielleicht wissen werden, nimmt mein Mann eine hervorragende Stellung in den kongregationalistischen Kreisen des ganzen Staates ein, wegen seiner Befürwortung des Kirchenzusammenschlusses. Er hofft alle evangelischen Kirchengemeinschaften zu einer starken Körperschaft vereinigt zu sehen, die dem Katholizismus und der Christian Science Widerstand leistet und alle Bewegungen, die für Moral und Prohibition eintreten, leitet, wie es ihr ja auch zukommt. Hier könnten die vereinigten Kirchen die Mittel zu einem schönen Klubhaus aufbringen – vielleicht ein Fachwerkgebäude mit Stuck und Wasserspeiern und allen möglichen gefälligen Verzierungen, und so etwas könnte meiner Ansicht nach viel mehr Eindruck auf die gewöhnlichen Menschen machen, als ein ganz einfaches altmodisches Haus im Kolonialstil, wie Sie es beschreiben. Und das wäre auch das richtige Zentrum für alle erzieherischen und wohlgefälligen Unternehmungen, die man dann nicht in die Hände der Politiker fallen lassen müßte.«
»Es wird wohl kaum mehr als dreißig oder vierzig Jahre dauern, bis die Kirchen vereinigt sind?« fragte Carola unschuldig.
»Oh, kaum so lang; es geht ja alles so unglaublich rasch. Es wäre also ein Fehler, andere Pläne zu machen.«
Carola fand ihren Eifer erst zwei Tage später wieder, als sie es mit Frau George Edwin Mott, der Frau des Schulinspektors, versuchte.
Frau Mott meinte: »Persönlich hab' ich ja eine Menge zu tun, ich hab' jetzt große Näherei und die Schneiderin im Haus und so weiter, aber es wäre herrlich, wenn die anderen Thanatopsismitglieder die Frage aufnehmen würden. Nur eines: zu allererst und vor allem müssen wir ein neues Schulhaus haben. Herr Mott sagt, sie sind schrecklich beengt.«
Carola ging sich das Schulhaus ansehen. Die unteren Klassen und die Hochschule waren in einem muffigen gelben Ziegelgebäude vereinigt, das die engen Fenster eines alten Gefängnisses hatte – ein plumper Kasten, in dem sich Haß und Zwangserziehung ausdrückten. Sie billigte Frau Motts Forderung dermaßen, daß sie ihren eigenen Feldzugsplan auf zwei Tage fallen ließ. Dann erbaute sie Schule und Rathaus gleichzeitig als Zentrum der wiedergeborenen Stadt.
Sie wagte sich in das Haus der Frau Dave Dyer. Das Gebäude, versteckt hinter winterlich kahlem Wein und einer riesigen Veranda, die nur einen Fuß höher war als der Boden, sah so unpersönlich aus, daß Carola kein Bild davon behalten konnte. Noch konnte sie sich auf irgend etwas aus dem Inneren besinnen. Doch Frau Dyer selbst war persönlich genug. Sie bildete mit Carola, Frau Howland, Frau McGanum