Gesammelte Werke. Sinclair Lewis
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Maud Dyer gab zu, daß die Stadt »wirklich nicht so sehr hübsch« sei, doch wie Dave sage, es habe keinen Sinn, etwas zu unternehmen, solange man keinen Staatszuschuß bekomme und das Rathaus mit einem Zeughaus für die Bürgerkriegsveteranen kombiniere. Dave habe sich dahin ausgesprochen: »Was diese großmäuligen jungen Leute, die sich im Billardzimmer herumtreiben, brauchen, das ist allgemeiner militärischer Drill. Das würde Männer aus ihnen machen.«
Frau Dyer erledigte das neue Schulhaus:
»Ah, Frau Mott hat Sie also mit ihrer fixen Idee von der Schule eingefangen. Sie plärrt davon schon so lange herum, daß es allen zum Hals heraushängt. In Wirklichkeit will sie nichts anderes haben als ein großes Büro, in dem ihr lieber kahlköpfiger Schafskopf herumsitzen und sich wichtig tun kann. Selbstverständlich, ich bewundere Frau Mott und hab' sie sehr gern. Sie ist so gescheit, obwohl sie sich immer einmischen und den Thanatopsis leiten will. Aber ich muß sagen, wir haben ihr Nörgeln satt. Für uns war das alte Schulhaus gut genug, als wir noch Kinder waren! Mir sind diese Frauen, die Politikerinnen sein wollen, widerwärtig. Ihnen nicht auch?«
4
Die erste Märzwoche hatte nach Frühling geduftet und in Carola tausend Wünsche nach Seen, Feldern und Wiesen und freien Straßen wachgerufen. Der Schnee war bis auf schmutzige Flecken unter Bäumen verschwunden; das Thermometer sprang an einem Tag von bitterer Kälte auf unangenehme Wärme. Sowie Carola die Überzeugung gewonnen hatte, auch in diesem eingekerkerten Norden könnte es wieder Frühling geben, kam der Schnee so unvermittelt wie Papierschnee in einem Theater wieder herunter; der Nordweststurm wurde zu einem halben Schneetreiben; und mit ihrer Hoffnung auf eine schönere Stadt verschwand auch die Hoffnung auf sommerliche Wiesen.
Aber eine Woche später war das Versprechen auf den Frühling untrüglich, obgleich noch überall der Schnee in zerfließenden Haufen lag. Es war kein sengender, unerquicklicher, staubiger Tag, wie jener wortbrüchige Eindringling vor einer Woche, er war voller Sehnsucht, voll weichen Lichts. Kleine Bächlein eilten in jeder Gasse entlang; ein singendes Rotkehlchen erschien wie durch ein Wunder auf dem Holzapfelbaum im Hof der Howlands. Alles lachte: »Mit dem Winter scheint's vorbei zu sein« und »Das wird die Straßen zum Auftauen bringen – wir werden ziemlich bald die Autos rausholen müssen – ich bin neugierig, wie's in dem Sommer mit dem Fischen wird – das muß 'ne gute Ernte geben in diesem Jahr.«
Allabendlich wiederholte Kennicott: »Wir sollten die warme Wäsche lieber noch nicht ablegen und auch die Winterfenster noch nicht so schnell rausnehmen – es kann noch ein Frost kommen – vorsichtig mit Erkältungen sein – ob wir mit den Kohlen ganz reichen?«
Die drängenden Lebenskräfte in ihr unterdrückten ihre Reformwünsche. Sie lief durchs Haus und machte mit Bea Pläne für die große Frühjahrssäuberung. Als sie das zweitemal einer Thanatopsisversammlung beiwohnte, sagte sie nichts von Stadtverschönerung. Sie lauschte brav Statistiken über Dickens, Thackeray, Jane Austen, George Eliot, Scott, Hardy, Lamb, De Quincy und Frau Humphry Ward, die, wie es den Anschein hatte, die Verfasser der belletristischen und essayistischen Literatur Englands waren.
Erst als sie den Warteraum sah, wurde sie wieder Fanatikerin. Sie hatte oft einen Blick auf das Speichergebäude geworfen, das man in einen Raum verwandelt hatte, wo die Bauernfrauen warten konnten, während ihre Männer die Geschäfte durchführten.
Sie hatte Vida Sherwin und Frau Warren ein Loblied darauf singen hören, daß der Thanatopsisklub so tugendhaft gewesen war, den Warteraum einzurichten, und sich mit dem Stadtrat in die Unterhaltungskosten teilte. Doch bis zu diesem Märztag war sie nie hineingekommen.
Sie hörte der Wirtschafterin, einer rundlichen Witwe namens Nodelquist zu, die ihr erzählte, wieviele Tausende von Bauernfrauen alljährlich in das Wartezimmer kämen, und wie sehr sie »für die Freundlichkeit der Damen, ihnen dieses hübsche Lokal zur Verfügung zu stellen, und ganz umsonst«, dankbar seien, und dachte dabei: »Unsinn, Freundlichkeit! Die Männer der freundlichen Damen machen mit den Farmern Geschäfte. Das ist nur kaufmännisch gedacht. Und hier ist es schrecklich. Das müßte der entzückendste Raum in der Stadt sein, damit die Frauen, die die Prärie satt haben, sich behaglich fühlen. Vor allem gehörte ein großes Fenster her, damit sie das Stadtleben sehen können. Ich werde schon eines Tages einen besseren Warteraum einrichten, einen Klubraum. Es gehört ja auch zu meinem neuen Rathaus.«
Am nächsten Nachmittag überfiel sie Frau Lyman Cass, die hochnäsige Frau des Mühlenbesitzers.
Frau Cass' Wohnzimmer war im überladenen victorianischen Stil gehalten (so wie Frau Luke Dawsons im kahlen victorianischen Stil). Es war nach zwei Grundsätzen eingerichtet: erstens, jeder Gegenstand muß nach etwas anderem aussehen. Ein Schaukelstuhl hatte einen Rücken wie eine Lyra, einen Sitz aus kunstvoll imitiertem Leder, der wie aufgerauhtes Tuch wirken sollte, und Lehnen wie die Löwen der schottischen Presbyterianer, mit Knöpfen, Schrauben, Schildchen und Lanzenspitzen an Teilen des Stuhles, wo man sie am wenigsten erwartete. Der zweite Grundsatz dieses Stils war, daß jeder Zoll im Zimmer mit überflüssigen Gegenständen bedeckt sein müsse.
Die Wände in Frau Cass' Wohnzimmer waren gepflastert mit »handgemalten Bildern«, mit Bildern von Birken, Zeitungsjungen, jungen Hunden und weihnachtlichen Kirchtürmen; mit einer Porzellanplakette, auf der das Ausstellungsgebäude in Minneapolis zu sehen war, mit in Brandmalerei ausgeführten Porträts von Indianerhäuptlingen, die keinem bestimmten Stamm angehörten, einem stiefmütterchenverzierten Motto, mit einem Rosengarten und den Flaggen der Erziehungsinstitute, welche die beiden Söhne der Familie Cass besuchten – das Handelscollege in Chicopee Falls und die Mc Gillicuddy-Universität. Auf einem kleinen viereckigen Tisch waren ein Kartenbehälter aus bemaltem Porzellan mit einem Ornamentenrand aus vergoldetem Blei, eine Familienbibel, die Memoiren des Generals Grant, der letzte Roman von Frau Gene Stratton Porter, das Holzmodell eines Schweizerhäuschens, das auch als Sparbüchse für Zehncentstücke diente, eine polierte Muschel, in der eine Stecknadel mit schwarzem Kopf und eine leere Spule lagen, ein samtenes Nadelkissen in einem vergoldeten Metallpantoffel, dessen Spitze den Stempel »Erinnerung aus Troy, N. Y.« trug, und eine unerklärliche rote Glasschale, die Warzen hatte.
Frau Cass' erste Worte waren: »Ich muß Ihnen alle meine hübschen Sachen und Kunstgegenstände zeigen.«
Als Carola sich alles vom Herzen geredet hatte, flötete Frau Cass:
»Ich verstehe. Sie halten die neuenglischen Dörfer und die Häuser im Kolonialstil für viel hübscher als diese Städte im Mittelwesten. Es freut mich, daß Sie so denken. Es wird Sie interessieren, daß ich in Vermont geboren bin.«
»Und glauben Sie nicht, daß wir versuchen sollten, aus Gopher Prai –«
»Du Grundgütiger, nein! Wir können uns das nicht leisten! Die Steuern sind schon jetzt zu hoch. Wir müssen sparen und den Stadtrat nicht einen Cent mehr ausgeben lassen. Äh – Finden Sie nicht, daß der Vortrag von Frau Westlake über Tolstoi großartig war? Ich hab' mich so gefreut, daß sie gezeigt hat, wie er mit allen seinen dummen sozialistischen Ideen nichts ausgerichtet hat.«
Was Frau Cass gesagt hatte, wiederholte Kennicott an diesem Abend. Auch nicht in zwanzig Jahren werde der Stadtrat die Finanzierung für ein neues Rathaus vorschlagen,