Abgefahren! Im Zug mit Katja Walder. Katja Walder
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87 Prozent der «Blick am Abend»-Leser wollen
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Das grosse Lästern danach
Gerötet, aufgeschwollen und schwer liegen unsere Füsse auf dem Zugsitz. Wir waren wandern. Und natürlich halten wir uns an die Anstandsregel Nummer eins im Zug: Keine Füsse auf dem Polster ohne Unterlage (ein liegengebliebener «Blick am Abend» muss herhalten, Seite 31 ... da schreibt eine etwas über eine Sbrinz-Sauce. Das passt).
Von nebenan: Tadelnde Blicke eines älteren Wandervogel-Ehepaars. «Typische Anfänger», denken die bestimmt. «Einmal den Creux du Van bewandern und schon meinen, sie seien naturverbunden ...» Im Partner-Look sitzen die beiden da; nennen wir sie Ruth und Kurt.
«So, hütt gitts nüüt meh z’ässe!», befiehlt Kurt.
«Nei, ich mögt au gar nüüt meh», verteidigt Ruth sich.
Und er doppelt nach: «Nix und nüüt!»
Beide schauen während des Gesprächs angestrengt aus dem Fenster. Ich lausche weiter. Die beiden waren mit einer Wandergruppe unterwegs. Und tun nun das, was man tut, wenn man nach einer Gruppenveranstaltung wieder allein ist: Sie lästern und hecheln alle durch.
«Aso de Architäkt, de Ernscht, weiss ächt sini Frau, das er elei id Schtadt gaht?», fragt sie und schaut dabei immer noch aus dem Fenster.
«Die weiss doch alles!»
Schweigen.
«Weisch, sie seit scho, es isch ere gliich.»
«Das isch doch dere nöd gliich.»
Und so geht es weiter. Von der Frage, ob nur die Schulden die beiden zusammen halten bis zur theoretischen Abhandlung, was nun wäre, wenn sie ihn endlich verlassen würde, diesen Ernst. Und was macht Ernst? Sitzt unterdessen bestimmt mit seiner Frau im Zug nach Basel: «De Kurt und d’Ruth, wie lang gisch dene beidne no? Die händ sich au nüme vill z’säge.»
85 Prozent der «Blick am Abend»-Leser wollen
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Hallo, Taxi! Biografie auf Rädern
Taxi statt S 8. Wie jeden Montag wurde es gestern spät. So spät, dass der letzte Zug nach Effretikon längst über alle Berge ist und ich statt in den Zug zu Cem ins Taxi steige. Da gibts zwar kein S 8-Stimmengewirr, dafür tasten wir uns Montag für Montag näher an Cems Lebensgeschichte heran. Türke, klein, 51, lebt in Affoltern, hat Maschineningenieur studiert.
«Chabis», nannte er es einmal in fast perfektem Schweizerdeutsch. «Ein riesen Chabis war das, sag ich dir!»
Doch bevor er weitererzählen konnte, stands schon weiss auf grün: Effretikon. Ausfahrt nehmen. Quittung schreiben. Hat mich gefreut. Mich auch. Schlaf guet!
Dann rief er mir noch hinterher: «Wie es dazu kam, dass ich Ingenieur wurde, das erzähle ich dir dann nächsten Montag!»
So läuft es mit Cem.
Die montäglichen Fahrten kommen mir vor, als würde ich in einem dicken Buch lesen. Wohldosiert. Jede Woche nur ein Kapitel. Leider. Was allerdings in Kapitel eins schon klar wurde: Cem hat Schulden. Weil er sich selbständig machen wollte und es vergeigt hat. Weil er Alimente zahlen muss für seine Kinder. Weil das Leben halt manchmal nicht so will, wie man es selber plant. Darum fährt und fährt und fährt er.
Unter anderem auch gestern Abend nach Effretikon – angetrieben von den ausstehenden neunhundert Franken, die er bis heute Abend seinem Vermieter geben muss, sonst schmeisst der ihn aus der Wohnung. Neunhundert Franken... wir habens durchkalkuliert. Das sind fünfzehn vorgeschossene Montagsfahrten nach Effretikon. Das sind fünfzehn Kapitel Cem. Ich freue mich darauf. Und Cem kann wieder mal ruhig schlafen.
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Mintgrüne Dreistigkeit
Dididel-doo-duuudidel-diii! Auch das noch. Ein Anruf, mitten im S 8-Stossverkehr. Das Handy zuunterst in der Tasche, eine dampfende Brezel in der einen Hand, den «Blick am Abend» in der anderen, an meinen Kniescheiben die des Geschäftsherrn gegenüber, neben mir eine italienische Mamma mit Ausdünstung und drei prall gefüllten Einkaufstüten. Gewurschtel, Gesuch – ich habs!
«Da isch Schaub, Grüezi», sagt eine freundliche Stimme ins Telefon. «Sie händ sich intressiert wäg de Wohnig z’Oerlike, gäled si»
... Ah ja, stimmt, jetzt fällts mir ein. Mintgrünes Bad. Munggelibraune Küche. Und trotzdem so faszinierend, dass ich dachte: «Die muss ich haben!»
Das war vor einer Woche. Sechs Tage hat sich Frau Schaub also Zeit genommen für die Wahl. Klar, so was will gut überlegt sein. Aber bitte nicht, wenn Mietantritt in zwei Tagen ist. Gerne würde ich schnauben: «Wissen Sie was, Frau Schaub ...?»
Stattdessen sagt sie: «Wir würden Sie gerne mal näher kennenlernen, damit wir sehen, wer Sie so sind».
Meine Augen verschmälern sich. Ich will sagen: «Sie haben doch einen Knick in der Fichte! Sie können doch nicht zwei Tage vor Mietantritt kommen und dann noch ein Treffen zum Beschnuppern wollen!»
Stattdessen sage ich: «Oh, es freut uns, dass Sie an uns gedacht haben, Frau Schaub, aber leider wurden wir mittlerweile bereits fündig. Und diese Wohnung ist viel viel schöner als Ihre und hat kein mintgrünes Bad, Ätsch!»
Den letzten Teil sage ich nicht. Den denke ich nur. Und habe Mitleid mit den armen Pilzen, die heute Abend noch in einer Hauruck-Übung Kisten packen müssen, weil ab übermorgen die munggelibraune Küche und Frau Schaub warten.
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Frauenheld in Knickerbockern
Wenn einer ein Frauenheld ist, dann Hans. Hans ist 75, mein Nachbar und definitiv sportlicher als ich. Hans steht mit den Vögeln auf und wandert auf den Säntis. Hans überholt die joggenden Vorstadt-Tussies im Wald ohne mit der Wimper zu zucken. Hans radelt mit Velohelm und roten Wangen durchs Tösstal. Und Hans sucht eine Frau. Per Internetanzeige und Zeitungsannonce.