Abgefahren! Im Zug mit Katja Walder. Katja Walder

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Abgefahren! Im Zug mit Katja Walder - Katja Walder

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setzt sich zu seinem Retter, bedankt sich – und will wissen, was alle interessiert: «Wieso häsch du zwei Tickets, he?». Die Antwort leuchtet ein: Der Tamile fährt normalerweise mit seiner Frau oder seiner Tochter. Nur heute nicht. Und dennoch hatte er beide Tickets dabei. Applaus, immer noch. Ich bin mir sicher: Wir könntens schaffen – gemeinsam gegen die SBB.

      Das Leben der Anderen

      «Verzell!» Die Rothaarige kann es kaum erwarten. Ihre schwarz­haarige Freundin schnattert los: «Das! Glaubsch! Nöd! D’Anna isch mit em Gerrit zäme!» Sie schaut erwartungsvoll. «Waas?», staunt die. «Ich verreck! Ich mein, sie isch mega herzig, er isch huere hässlich!» «Ja scho, ich weiss», sagt die Schwarze. «Ich bin nöd sicher, öbs stimmt. D’Katja hätts verzellt.»

      «D’Katja? Isch eh e Häx!» «Sägs nöd», sagt die Schwarze. «Wie die sich immer an Jonas anemacht! Ich chönnt ere amix is Gsicht schlah.»

      «Voll he!»

      «Aber weisch wer findi no viel schlimmer? Em Jonas sini Mueter!»

      «Wäääh!», kreischt die Rote. «Die xeht uus wie en Maa, nöd?!»

      «Ja, voll de Hass!»

      «Käs Wunder, das dere de Maa devo gloffe isch.»

      «Ja scho, aber das er es Verhältnis mit sinere Assistäntin a­gfan­ge hätt, findi glich nöd fair.» Die Rote schaut verträumt: «Also ich würd defür sofort es Verhältnis mit em Yannick afange, de isch soo sweet!» Ihre Freundin winkt ab: «Vergiss es, de staht e nur uf blondi Modeltype».

      Ich sitze da, höre zu und frage mich, warum mein Leben langweilig ist. In Wallisellen steht die Schwarze auf. «Gäll, hütt chasch wieder sälber luege? Sat1, am sibni. Susch verzell der dänn halt morn.»

      Akute Überzuckerung

      «Guegg geegg uche!» Hä? Da starren drei junge Burschen aus dem Zugfenster. Mit roten Backen und sauren Zungen. Der eine von den dreien zeigt auf eine herzige Blonde. «Gög glächg», sagt der andere. Was «nöd schlächt» heissen soll. Aber eben: Die Münder sind voll mit Süsskram, die Zähne verklebt, die Gesichter verzerrt. «Huere suur das Züüg!», sagt der Dritte, das eine Auge zusammengekniffen. Und so mampfen sie weiter, reichen das knisternde Zellophan-Säckchen zum nächsten, schmatzen, pulen sich Saurezungen-Reste aus den Zahnspangen und kommentieren die vor­bei­fah­rende Welt in undeutlichen Lauten. Saure Zungen! Da kommt mir noch ganz anderes in den Sinn: Bärendreck-Schnecken (inklusive braune Mundwinkel), Cocifröschli (nach zehn Stück gabs einen rauen Gaumen), Carambar (dank der Innenseite gut fürs Fremdsprachen-Training), Kaugummi aus der Tube (fand Mama pädagogisch nie wertvoll), Tiki (am besten pur auf die Zunge), Double-Dip (vom Kiosk in der Badi: Orange pfui, Kirsche hui!), die grünen Sauren Nudeln (Preis: Ein Zahn), Esspapier (nach was schmeckt das?), Armbänder aus Traubenzucker (Mädchenzeugs), der Trolli Riesenburger (inklusive Gummi-Salatblatt), klebrige Schlümpfe (lange Zeit das einzige blaue Schleckding!), schaumige Pilze (bis zur Überdosis!). Als ich gedanklich überzuckert aussteige, habe ich mein Münz schon griffbereit. «Si-ie? Was gitts für das Gält?»

      «Hoi Schatz, ja, ich schlaf hüt bim Roli ...»

      Wir sind umgeben von Mitpendlern, Gratiszeitungen und Handys. Da piepst, schellt, klingelt und telefoniert es um uns rum. Und das ziemlich monoton. Schon bemerkt?

      Top-Handy-Antwort Nummer 1: «Im Zug!»

      Top-Handy-Antwort Nummer 2: «Bruuchemer suscht no öppis?»

      Top-Handy-Antwort Nummer 3: «Nei, isch alles guet. Ich telefonier eifach nöd gern im Zug.»

      Aha! Dafür, dass das öffentliche Telefonieren vielen unangenehm ist, wird aber ziemlich hemmungslos geschnattert, getratscht, gekeift, debattiert, geplant, abgesagt, geflirtet, organisiert, gelogen, geheuchelt, dargelegt, geschildert und gefaucht. Der Ex­tremfall ist mir gestern passiert: Da sitzt ein gesträhnter 22-Jähriger mit einer Frau im Arm im Abteil. Als sein Handy klingelt, verdreht er die Augen. «Hoi Schatz.» Stummes Zuhören. Augendrehen. Mund verzerren. «Nei Schatz, ich ha der doch xeit, es chönnt spöter werde.» Zuhören. Die Frau in seinem Arm necken. Ihr eine Strähne aus dem Gesicht wischen. «Nei Schatz, ich bin jetzt grad mit dem Roli underwägs zu ihm hei.» Der Freundin zuzwinkern. «Ja, ich schlaf bi ihm ... morn dänn irgendwänn ... ou, hani vergässe ... gang doch elei ... seisch ne en Gruess!» Zuhören. Die Lippen formen lautlos die Worte «Blablabla.» Die Frau in seinem Arm kichert. Er legt auf. Sie schmiegt ihren Kopf an ihn. Und wird diese Situation vergessen haben, wenn sie in drei Jahren einen Anruf von ihm bekommt: «Hoi Schatz, ich schlaf hütt znacht bim Roli ...»

      Einsteig-Strategien

      Obacht beim Einsteigen! Immer gut darauf achten, wer vor einem steht: Schneeweisse Tussijacke geht gut (die mit Fell an der Kapuze). Schwarze Banker-Nylon-Regenjacke auch. Schwierig wirds bei Altherren-Trenchcoats, verlöcherten Gam­mel-Schlüttli und – wie ich seit heute weiss – bei Wildlederjacken. Denn wer solches trägt, gehört zu jenen Pendlern, die einem das Einsteigen zur Hölle machen.

      Aber der Reihe nach: Der Zug fährt ein. Hält an. Die Türen öffnen sich. Menschen drängen heraus und hinein. Dann gehts für die Untenfahrer unten rein, die Obenfahrer gehen die Treppe hoch. Die Unentschiedenen stehen im Weg. Selbst wählt man die Treppe nach oben, weil der Pendlerblick vom Perron aus messerscharf erkannt hat, dass es dort noch die meisten freien Plätze hat.

      Allerdings hat man die Rechnung nicht ­gemacht mit besagten Altherren-Trenchcoats, Gammelschlüttli und Wildlederjacken dieser Welt. Sie zeichnen sich nämlich dadurch aus, dass sie sich im Schneckentempo vor einem die Treppe hochschleppen. S-C-H-R-I-T-T für Schritt. S-T-U-F-E für Stufe. «Lauf mal!», will man schreien. «Tempo, Tempo!» Und tuts dann doch nicht. Verklemmt sich das entnervte Schnauben. Stattdessen trottet man hinter der Wildlederjacke her und sieht, oben angekommen, dass die Mitpendler von der anderen Seite her schneller waren. Fast alle Plätze sind besetzt. Also setzt man sich mit der Wildlederjacke in ein Abteil. Und schüttet, ganz aus Versehen – kurz vor Effretikon den Starbuckskaffee auf sein Knie. Upps, sorry!

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      visavis #34

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      visavis #69

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      visavis #6

      Türengel auf Reisen

      Wer kennt das? Atemlos durch die Unterführung hetzen. Noch zehn Sekunden. Wusch-Wusch-Wusch an Feierabendgesichtern vorbei. Noch fünf Sekunden. Mit grossen Schritten die Treppe hoch. Noch zwei Sekunden. Zwei Stufen aufs Mal. Null Sekunden. Und wahrscheinlich hätte man den Zug jetzt verpasst, wenn da nicht dieser eine Mensch aus der Kategorie «Lieber Mitpassagier» wäre, der den Türknopf drückt. Oder noch besser: gleich aufs Trittbrett steht. Solche Menschen haben ein lobendes Wort verdient. Und einen schmückenden Titel: Türengel. Mein Türengel am letzten Donnerstag war ein ganz Besonderer. Er hielt nämlich nicht nur mir die Tür auf, sondern – knapp vor Abfahrt – einfach allen, die angehastet kamen. Und kaum waren wir alle glücklich im Wageninnern, sagte er: «Du, häsch mer 2.80, das i chan uf Oerlike fahre.» Öhm ... Ausser Atem wie ich war, hab ich dankbar in der Manteltasche gekramt. Dass er sich in der S-Bahn gar kein Ticket kaufen kann, hab ich erst viel später kapiert. Egal. Der Trick mit der Tür ist bestechend. Türengel müssen

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