Götterfunken. Chris von Rohr

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Götterfunken - Chris von Rohr

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darauf herunterblicken. Zu gross waren wohl die Verführungskraft und die Ablenkung all der prächtigen, alten Rosen, Hortensien, Lindenbäume und dem berauschenden Jasmin und Lavendel. Das passte nicht zur streng auferlegten Kasteiung der jungen Nonnen – obwohl sich eigentlich Gott, oder wie wir es nennen wollen, in dieser wunderbaren Natur, in all den Blüten, Früchten und Düften so gross und stark offenbart.

      Wir ergreifen die Gelegenheit und nehmen auch noch am anschliessenden Vesper, dem liturgischen Abendgebet, teil. Da sitzen fünfzehn ältere Nonnen im Halbkreis in einem holzgetäfelten Raum in engen, unbequemen Chorstühlen und lobpreisen mit wackligem aber herzvollem Gesang Gottvater, Gottsohn und den heiligen Geist – fern von der Aussenwelt und ohne Nachkommenschaft. Far out! Ein wirklich spezieller Moment, den ich mit meiner Tochter erleben durfte.

      Spätnachts im Bett sinniere ich über diesen Tag, das Erlebte, über die Vergänglichkeit und ob jetzt ich oder die Nonnen etwas im Leben verpasst haben … Wie lange mag mein Tochterkind wohl noch so schöne Ausflüge mit mir machen? Ist meine neue Songidee dazu himmlisch genug? Ganz leise hallt ein Ferngewitter. Mein Haus liegt zwischen drei Klöstern und auch morgen werde ich wieder von einem ihrer Glöcklein geweckt werden. Die wunderbaren schwarzen Kirschen und Aprikosen warten auf dem Tisch und ich bin frohgemut, dass sich ein weiterer Sommertag ankündet. Ich möchte unbedingt noch die Gefilde goldener und rauschender Ähren besuchen, bevor sie die Sense oder der Mähdrescher bald schon zu sich holt. Und schliesslich bitte ich noch den grossen Manitu, er möge mir Ruhe, Durchlässigkeit und Kraft geben. Ich meine damit die Art von Kraft, die uns wieder mehr eins sein lässt mit dem Schöpfer und die uns in den Schoss der Natur zurückführt. Oh Sommer, tust du mir gut!

      Die Sonne nickte dem Städtchen Solothurn freundlich zu und ich spielte mit meiner Tochter vor dem Haus Strassenfussball. Immer mehr Kinder kamen dazu. Jemand brachte die Idee, die Quartierstrasse abzusperren, um ungestörter zu spielen. Dieser erst zaghafte Wunsch wuchs rasch zu der Massnahme heran, von motorisierten Eindringlingen einen Wegzoll zu verlangen. Ich fand das grossartig und freute mich diebisch darüber, wieder einmal etwas zu tun, das, mit dem strengen Auge des Gesetzeshüters betrachtet, nicht ganz lupenrein war. So unterstützte ich das Vorgehen natürlich von ganzem Herzen.

      Strassenarbeiter hatten in der Nähe ein paar orange-weisse Gummihütchen zurückgelassen. Die eigneten sich hervorragend als Tore und Strassenblockade. Ein Junge fuhr seinen Traktor auf und das Nachbarmädchen ein Märitkörbchen auf Rädern. Strassensperren sind sonst etwas Widerliches. Diese hier war aber wunderbar hübsch anzusehen und offenbar anziehend. Sie zog weitere Aktivisten aus ihren vier Wänden heraus. Schliesslich waren etwa zwölf Kids in guter Spiellaune zugegen. Das Spiel verschob sich sachte vom Fussball zum Wegelagerertum. Man spähte mehr nach dem nächsten Auto, als sich fürs nächste Goal reinzuhängen.

      Etwa alle sieben Minuten fuhr eines vor. Es folgte die kecke Ansage der Kids: »Das kostet einen Franken, dafür gibt’s freie Fahrt und einen Krokus-Totenkopfaufkleber.« Die Reaktionen der Fahrer fand ich spannend: Je billiger die Karrosse, desto grosszügiger fiel das Passiergeld aus. Aus einem Lada – eh, einem Škoda – wurden drei Franken herausgereicht, ein Toyota generierte vier und eine witzige Rostlaube sogar fünf Stutz. Der Driver des noblen Flügeltüren-Mercedes mit Beifahrerdekoration hingegen konnte dem Spiel nichts Lustiges abgewinnen. Die Sorge um sein Prestigegeschoss war gross und in seiner Welt wird wohl andersherum gespielt. Er war die motzende Ausnahme, die den anderen Autofahrern zu entsprechend mehr Ansehen und Beifall verhalf.

      Da erschien meine frühere Lebenspartnerin mit einer Schüssel Tiramisu auf dem Platz und wir setzten uns mit all den Kids an meinen Gartentisch und schlemmten wie die Räuber. Rundum zufriedene Gesichter. Ich fühlte mich in die Zeit zurückkatapultiert, wo das Blabla vom Ernst des Lebens noch nicht in meine Ohren drang. Ich fragte mich, was Kinder durchleben, bevor sie in die konfuse, hektische Erwachsenenwelt eintauchen, von der wir meinen, sie sei reifer. Ausgetreten aus dem Land der Könige und Elfen, wo man doch viel mehr wusste, als die Erwachsenen – die kennen ja nicht einmal mehr Geheimverstecke. Ja, wirklich: »Werdet wie die Kinder.«

      Kinder stellen Fragen. Sie begehren auf, wenn sie etwas nicht verstehen und bevor die Sache nicht bereinigt ist, geht nichts mehr. Da werden sie zum bockigen Grautier. Dafür sind sie wiederum Meister im Verzeihen und Frieden machen, wenn der Gegenstand der Differenzen diskutiert und jeder Beteiligte angehört wurde. Ich beobachte da eine erstaunliche Sachlichkeit und Akzeptanz, die in den Politstuben der Erwachsenen oft schmerzlich fehlt.

      Eine bittere Bilanz. Manche Erwachsene greifen tief in den Köcher, um ihre Giftpfeile abzufeuern. Das gemeinsame Streben nach dem Guten, nach Frieden und Unversehrtheit für alle scheint als vordergründiges Motiv unpopulär zu sein. Wir sind Höhlenbewohner mit Flatscreens und digitalisierten Keulen. Wir zertrümmern uns gegenseitig die Schädel und Seelen – wofür? Für einen lumpigen Haufen Geld, etwas Mobiliar und abstruse Ideen.

      Kinder sind noch sehr Anteil nehmend. Mitleid, Neugier, Staunen, Freude, Leidenschaft und Mut kommen mir in den Sinn, wenn ich überlege, womit mich Kinder beeindrucken. Diese Lebendigkeit hat ihren Preis. Kinder wuseln herum, sobald sie wach sind und sie fordern unsere physische und psychische Präsenz, bis sie ihre Äuglein wieder schliessen. Oft bleibt nach einem ereignisreichen Tag für Erwachsenenaugen ein buntes Chaos zurück, wenn der Kindermotor endlich einen leeren Akku vermeldet – und der Feierabend verschiebt sich in die dunkle Nacht. Ein erfülltes Kinderherz schmiert den elterlichen Bewegungsapparat und auch sein Hirn. Wer Kinder betreut, muss verhandeln, besänftigen, Lösungen finden und Fragen beantworten. In Sekundenschnelle wechselt sich Philosophisches mit Sachfragen ab: Darf ich? Warum denn? Warum denn nicht? Hat Käthi auch Kinder? Warum hat sie denn keine? Warum kriegen denn nur Frauen Kinder? Warum ist der Himmel blau?

      Das ist geistig anstrengender als das Tippen am stimmlosen Bildschirm. Neumütter und Neuväter stellen fest, dass sie vorher sackweise Zeit gehabt haben, ohne es zu merken und zu nutzen.

      Hochgeschätzte Kinder, ihr seid unverzichtbare Fitnesstrainer und Vorbilder in Menschlichkeit und Lebensfreude. Wir brauchen euch!

      Ferienplanung. Die Eltern haben auf dem Stubentisch eine Landkarte ausgebreitet und bringen sich in Stimmung für die bevorstehende Reise. Der kleine Sprössling juckt hinzu, wirft einen interessierten Blick auf das Papier und versucht umgehend, es mit Daumen und Zeigefinger auseinanderzuziehen, um die Ansicht zu vergrössern. Erst einmal Gelächter … dann beschleicht die Anwesenden ein mulmiges Gefühl. Ist der Junge bemerkenswert gelehrig oder hat ihn bereits im Vorschulalter die digitale Demenz heimgesucht?

      Die Diskussion darüber, ob der digitale Fortschritt ein Gewinn ist oder nicht, finde ich müssig. Ich profitiere selber gerne von diesen leuchtenden Hilfsmitteln und Werkzeugen. Als Neohippierocker, der sich neben der Bühne auch gern ohne GPS in den Wiesen und Wäldern aufhält, bin ich jedoch bestrebt, dem digitalen Wahn Paroli zu bieten und die gesunde Balance zu finden. Ich hoffe, damit meinem Geist und Körper einen guten Dienst zu erweisen. Einmal mehr macht die Dosis das Gift. Glauben Sie mir: Ich freue mich wahrlich darüber, dass meine Waschmaschine mir den Gang zu Waschbrett und Zuber erspart. Dennoch sitze ich nicht stundenlang davor, um ihr beim Schleudern zuzusehen. Umso mehr erstaunt es mich, wie achtlos viele Menschen das echte Leben dem digitalen Pulsschlag opfern.

      Spazierende Eltern schieben ihre Kinderwagen mit gesenkten Häuptern durch Stadt, Park und Spielplatz. Nicht etwa, um sich auf Augenhöhe mit den Kids zu unterhalten, sondern weil sie sich offensichtlich permanent ihrem Bekanntenkreis mitteilen wollen. Bei den neuen, riesigen Smartphones benötigt man oft beide Hände, um sie zu bedienen. Folglich ist der Handysüchtige praktisch gezwungen, das Babycabrio mit dem Bauch zu schieben, und das möglichst erschütterungsfrei. Es ist wohl nur eine Frage der Zeit, bis sich auch dieses Problem mittels digitalen Spielzeugs lösen lässt und das Kind ferngesteuert spazieren fährt. Unterdessen kann Mama der Kollegin das süsse Filmchen weiterleiten,

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