Mauerwerk-Kalender 2022. Detleff Schermer
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6.2.2 Druckfestigkeit parallel zu den Lagerfugen
Für die Bemessung der Druckzone biegebeanspruchter Bauteile wird die Längsdruckfestigkeit des Mauerwerks benötigt.
Diese kann in Anlehnung an DIN EN 1052-1 [26] geprüft werden. Gegenüber der Druckbeanspruchung senkrecht zu den Lagerfugen wurde die Druckbeanspruchung parallel zu den Lagerfugen jedoch bislang wenig experimentell untersucht.
Die rechnerische Bestimmung der Mauerwerkdruckfestigkeit parallel zu den Lagerfugen erfolgt nach DIN EN 1996-1-1/NA [17] mit derselben Gleichung und denselben Gleichungsparametern, die für die Bestimmung der Druckfestigkeit senkrecht zu den Lagerfugen ermittelt wurden. Statt der Steindruckfestigkeit in Richtung Steinhöhe wird diejenige in Richtung Steinlänge angesetzt. Zudem wird der jeweilige K-Faktor mit 0,5 abgemindert. Diese Vorgehensweise berücksichtigt nicht das reale Tragverhalten von Mauerwerk unter einer Druckbeanspruchung parallel zu den Lagerfugen. Bei Mauerwerk mit unvermörtelten Stoßfugen müssen die im Stoßfugenbereich wirkenden Druckkräfte durch die Lagerfugen übertragen werden. Die maximal erreichbare Längsdruckfestigkeit von Mauerwerk wird deshalb maßgeblich durch die Haftscherfestigkeit zwischen Mauerstein und Mauermörtel begrenzt. Bei Mauerwerk mit vermörtelten Stoßfugen spielt neben der Längsdruckfestigkeit der Mauersteine auch die Druckfestigkeit des Mauermörtels in der Stoßfuge eine wesentliche Rolle.
Um zutreffende Mindestdruckfestigkeitswerte von Mauerwerk parallel zu den Lagerfugen zu definieren und eine vereinfachte und auf der sicheren Seite liegende Bemessung zu ermöglichen, werden in [10] Grenzfälle – in Abhängigkeit der Versagens- und Stoßfugenausbildungsart des Mauerwerks – betrachtet und fallweise Berechnungsgleichungen definiert.
6.2.3 Zugfestigkeit
Die zentrische einachsige Zugfestigkeit ist eine wesentliche Kenngröße zur Beurteilung der Risssicherheit bei Bauteilen ohne wesentliche Auflast – wie Verblendschalen, Ausfachungsmauerwerk, nichttragende innere Trennwände – aber auch von Außen- und Innenwänden, die beispielsweise unterschiedlichen Formänderungen unterliegen. Dabei sind zwei Belastungsrichtungen (parallel und senkrecht zu den Lagerfugen) sowie zwei Versagensarten (Stein- und Fugenversagen) zu betrachten.
Die Mauerwerkzugfestigkeit kann sowohl experimentell als auch rechnerisch ermittelt werden. Die Prüfung der Zugfestigkeit von Mauerwerk ist nicht normativ geregelt.
Tabelle 8. Mauerwerk; Zugfestigkeit bei einer Zugbeanspruchung parallel zu den Lagerfugen (aus [1] bzw. [11])
In Tabelle 8 sind Werte für die Zugfestigkeit parallel zur Lagerfuge aus [1] bzw. [11] angegeben. Untersuchungen zur Bestimmung der Zugfestigkeit senkrecht zu den Lagerfugen wurden bislang nur sehr wenige durchgeführt, sodass keine abgesicherten Werte genannt werden können.
Bei der Herleitung von Berechnungsansätzen zur Bestimmung der Zugfestigkeit parallel zu den Lagerfugen in [12] wurde davon ausgegangen, dass in den vertikalen Stoßfugen, auch wenn sie vermörtelt sind, keine Zugspannungen übertragen werden können. Der Grund hierfür ist, dass die Stoßfugen nicht überdrückt sind und die Haftzugfestigkeit zwischen Mauerstein und Mauermörtel i. d. R. aufgrund des Mörtelschwindens und einer oftmals mangelhaften Ausführung vernachlässigbar klein ist.
Für den Fall Steinversagen bedeutet dies, dass die im Bereich einer Steinlage und Mörtelfuge auftretenden Zugspannungen parallel zu den Lagerfugen nur durch einen halben Mauerstein und die Mörtelfuge übertragen werden können. Da die Dicke der Mörtelfuge i. d. R. deutlich geringer ist als die Mauersteinhöhe, ist die Mauerwerkzugfestigkeit in diesem Fall näherungsweise halb so groß wie die Steinzugfestigkeit, vgl. Gl. (2). Wesentliche Einflussgröße auf die Mauerwerkzugfestigkeit parallel zu den Lagerfugen bei Steinversagen ist daher die Steinzugfestigkeit in Richtung Steinlänge.
(2)
mit
ft | Mauerwerkzugfestigkeit parallel zu den Lagerfugen bei Steinversagen |
ft,u | Zugfestigkeit des Steins in Längsrichtung |
Bei Fugenversagen müssen die im Bereich einer Steinlage und Mörtelfuge auftretenden Zugspannungen parallel zu den Lagerfugen über Schubspannungen in der Lagerfuge auf der Überbindelänge (lol) in die jeweilige nächste Steinlage übertragen werden. Die übertragbare Zugkraft in den Stoßfugen kann vernachlässigt werden, da die Haftzugfestigkeit zwischen Mauerstein und Mauermörtel i. d. R. gering ist (s. o.). Die Mauerwerkzugfestigkeit parallel zu den Lagerfugen ist in diesem Fall erreicht, wenn die in der Lagerfuge auftretenden Schubspannungen die Scherfestigkeit überschreiten. Die wesentlichen Einflussgrößen auf die Mauerwerkzugfestigkeit bei diesem Belastungs- und Versagensfall sind daher die auf die Mauersteinhöhe bezogene Überbindelänge und die Scherfestigkeit, die sich aus der Haftscherfestigkeit und ggf. dem auflastabhängigen Reibungsanteil zwischen Mauerstein und Mauermörtel zusammensetzt, siehe Gleichungen (3a) bzw. (3b).
(3a)
bzw.
(3b)
mit
ft | Mauerwerkzugfestigkeit parallel zu den Lagerfugen bei Fugenversagen |
fv0 | Haftscherfestigkeit |
lol | Überbindelänge |
hu | Steinhöhe |
μ | Reibungsbeiwert |
σd | Druckspannung senkrecht zur Lagerfuge |
Bei einer Beanspruchung senkrecht zu den Lagerfugen kann die Mauerwerkzugfestigkeit näherungsweise gleich der Steinzugfestigkeit in Richtung Steinhöhe für den Fall Steinversagen oder gleich der Haftzugfestigkeit zwischen Mauerstein und Lagerfugenmörtel für den Fall Fugenversagen angesetzt