Einführung in systemische Konzepte der Selbststeuerung. Andreas Kannicht
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Intuitiv kann für den Berater sehr schnell eine Überzeugung entstehen, mit welcher Wirklichkeit er es zu tun hat und wie mit ihr umzugehen wäre. Teilen Klienten und Berater diese entstehende Wirklichkeit, können sie sie gemeinschaftlich weiter entfalten und sich wechselseitig koordiniert steuern.
Führungskraft und Mitarbeiter zögern zunächst, nach unausgesprochenen Motiven und Beziehungsfragen Ausschau zu halten, lassen sich aber zunehmend darauf ein, zumal sie merken, dass dies sie entlastet und ihre Beziehung entspannt.
Intuition leistet also Komplexitätsreduktion und sofortige koordinierte Steuerung. Allerdings bleibt die Frage, ob die entstehende Wirklichkeit geeignet ist, die Wirklichkeiten außerhalb der Beratung sinnvoll zu repräsentieren, und ob mit ihr das wirkliche Leben sinnvoller und wirkungsvoller gestaltet werden kann. Nicht alle in Schwingung kommenden Bilder und die Reaktionen darauf und nicht alle gelernten beruflichen Schemata liefern im Einzelfall einen angemessenen Beitrag zur Wirklichkeit der Klienten. Daher ist es wiederum wichtig, diese Bilder von einem Metastandpunkt aus zu befragen. Sonst erliegt man leicht ihrer Verführung. Irgendetwas gemeinsam Plausibles und Berührendes ist mit etwas Geschick immer herzustellen, doch sollte geklärt werden, ob die entstehende Beratungswirklichkeit dem Anliegen und den Verantwortungen, den Kontexten und Entwicklungen und der Lebenswirklichkeit der Klienten gerecht wird. Intuitionen können für die aktuelle Begegnung auch falsch oder unwesentlich sein, müssen also geläutert und auf professionelle Belange ausgerichtet werden.
Urteilsfähigkeit bildende professionelle Metaloge geschehen in Supervisionen und werden in Weiterbildungen zur guten Gewohnheit. Und es helfen Steuerungsmodelle, die möglichst wenig bestimmten Schulen und ihren Welt- und Menschenbildern verpflichtet sind, hilfreiche Metafragen zu stellen.
Im obigen Fallbeispiel könnte der Berater unter einer ergänzenden Perspektive danach fragen, wann und in welchem Zusammenhang der geschäftlichen Entwicklung dieser »Ablösungskonflikt« entstanden ist und ob beide in anderen beruflichen Beziehungskontexten ähnliche Dynamiken kennen. Vielleicht machen sich beide nicht klar, dass die Aufgaben des Mitarbeiters durch eine schwierige Kundenbeziehung zunehmend dilemmahaft geworden sind. Damit würde sich eine neue Perspektive auftun, die zu ganz anderen Fragen an die Klienten einlädt. Vielleicht ist es in dieser Organisation nicht üblich, sich zunehmende Hilflosigkeit einzugestehen und dies zu kommunizieren, auch wenn man nicht recht weiß, worin die Paradoxien bestehen. Beide müssten dies aber vielleicht tun, um zusammen die Widersprüche zu erkennen und an die Klärung von Aufträgen in den beteiligten Beziehungen gehen zu können. Die eher »privaten« Qualitätsveränderungen der Beziehung, ja sogar der »Führungskonflikt« sind vielleicht Folge, nicht aber Ursache der Belastungen.
Wie auch immer, hierzu ist der Dialog zwischen bewussten und unbewussten inneren Bildern, innerhalb der Person und zwischen den Personen wichtig. Die Arbeit mit inneren Bildern als Übung in diesem Dialog und als Methodik für Organisationen ist an anderem Ort dargestellt (Schmid 2004b). Je mehr sich Berater und Klienten der ihrem Zusammenwirken zugrunde liegenden Wirklichkeitsbilder bewusst werden und sich darüber austauschen, umso größer ist die Chance, über Zufallsplausibilitäten oder professionelle Schablonen hinauszukommen. Weiterbildungen und Beratungen, die solchen spontan aufsteigenden Bildern Beachtung schenken, werden einem vielschichtigen und positiv kritischen Umgang mit Wirklichkeitserzeugung eher gerecht. Diesem Dialog Aufmerksamkeit in der Beratung wie auch sonst im Leben und bei der Arbeit zu schenken bereichert und fördert effektives professionelles Arbeiten mit Intuition.
1.4 Steuerungskonzepte und Methoden
Steuerungskonzepte stellen Modelle zur Verfügung, die sich mit unterschiedlichen Perspektiven bzw. Fokussierungsebenen beschäftigen. Sie geben dem Berater Orientierung, welcher Ausschnitt von Wirklichkeit gerade in den Vordergrund gerät, und ermöglichen es ihm, bewusst zu entscheiden, statt zufälligen oder gewohnheitsmäßigen Vorgehensweisen zu folgen. Es sind Konzepte, die jenseits aktueller Plausibilität wach dafür halten, welche Fokussierungen möglich und für den Kontext angemessen sind, und helfen, aus ihnen einen möglichst sinnstiftenden Fokus zu wählen. Erst aus der bewusst gewählten Perspektive ergeben sich geläuterte Entscheidungen in Bezug darauf, welche Methoden gewählt werden. Insofern sind Steuerungskonzepte den Methoden übergeordnet. Oder, andersherum formuliert: Wähle ich eine bestimmte Methode bzw. Technik aus, habe ich implizit bereits eine Entscheidung über Steuerungskonzepte getroffen, oft ohne dass ich mir dessen bewusst bin. Die Kenntnis von Selbststeuerungskonzepten soll dem Berater helfen, diesen Entscheidungsprozess möglichst bewusst zu gestalten.
Professionelle nähern sich neuen Konzepten meist dadurch, dass sie Methoden kennenlernen, die sie faszinieren, wie beispielsweise das zirkuläre Fragen im systemischen Feld. Dann übernehmen sie zunächst einfach die Methodik, ohne sich recht klar über die darin waltende Logik zu sein. So werden über die Methode – das Tool – implizit eine Betrachtungsweise, ein Weltbild sowie Problem- und Lösungsverständnisse transportiert. So »blind« anzufangen ist oft am einfachsten. Doch bliebe die professionelle Handlungsfähigkeit begrenzt, würde man nicht nach und nach erhellen, welche Steuerungsprinzipien, basierend auf welcher Wirklichkeitslogik, mit der Methode zur Geltung kommen. Dieses implizit entstehende Weltbild bleibt ja nicht auf den Berater beschränkt. Mit den Methoden wird auch dem Klienten implizit ein Weltbild nahegelegt, das möglicherweise einseitig ist oder aus anderen Gründen nicht zu seinen Wirklichkeiten passt. Will man sich auf Augenhöhe verantwortlich über diesen implizierten Teil der Dienstleistung »Einführung oder Hervorhebung eines Welt- und Menschenbildes« verständigen, wäre eine gelegentliche explizite Abklärung mit dem Klienten angezeigt, ob dieser »Kulturimport« wirklich in seine Welt passt. Welchen Platz könnte er dort einnehmen, und wie ist er mit den anderen dort wichtigen Steuerungsgesichtspunkten und Verantwortlichkeiten zu vereinbaren?
Daher ist es wichtig, im Bewusstsein zu halten, dass jede Methode Ausdruck einer Betrachtungsweise ihres Erfinders ist, geboren aus bestimmten gesellschaftlichen und beruflichen Kontexten. Methoden und Konzepte konservieren diese Betrachtungsweise mit dem Vorteil, dass die Erfindervariante in ihrer Komplexität über ein methodisches Vorgehen adoptiert werden kann, und mit dem Nachteil der Unsicherheit, ob die Variante auf neue Situationen passt.
Eric Berne, der Begründer der Transaktionsanalyse, hat daher mit seinen Schülern immer geübt, die Implikationen zu explizieren, indem er fragte: Wofür ist dieses Konzept, dieses Vorgehen ein Beispiel? Im Falle des zirkulären Fragens könnte eine Antwort lauten: Es steht für die Vorstellung, dass es wichtig sein kann, über den inneren Zirkel der Selbstbefragung hinauszukommen und Informationen darüber zu erhalten, wie andere von außen auf die Situation blicken. Und es wird als wichtig erachtet, welche Auswirkungen die Sicht Dritter auf die Wirklichkeit und Beziehungsgestaltung des Klienten hat. Zirkuläres Fragen ist dann hilfreich, wenn bei dem Klienten die Perspektive der Beziehungswirklichkeit zu kurz kommt und Beziehungskompetenz durch Abgleich mit dieser Wirklichkeit verbessert werden sollte. Für eine Kommunikationskultur, in der die wechselseitige Orientierung ohnehin überbetont ist und eine ergänzende Orientierung an den inneren Wirklichkeiten untergewichtet ist, wären andere Fragearten vermutlich eher hilfreich.
Um es in einer Metapher zu sagen: Für angehende Köche, die sich neue Gerichte und eine neue Art des Kochens erschließen wollen, mag es erfolgreich sein, sich zunächst an Kochrezepte zu halten. Damit kann schnell etwas auf den Tisch kommen und festgestellt werden, ob diese Art von Küche interessant sein könnte. Sieht ein Rezept Öl zum Anbraten und am Ende die Zugabe von Zitrone und Preiselbeeren vor, kann man das Rezept nicht realisieren, wenn man die Zutaten nicht verfügbar hat. Es sei denn, man hat verstanden, dass das Öl in diesem Fall nicht als Geschmacksträger, sondern als Hitzetransporteur gebraucht wird oder dass es bei Zitrone und Preiselbeeren um eine süßsaure Geschmacksnote geht. Sind die Funktionen klar, kann man Öl durch Wasser mit Butter ersetzen und für die süßsaure Kombination auf andere