Einführung in systemische Konzepte der Selbststeuerung. Andreas Kannicht

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Einführung in systemische Konzepte der Selbststeuerung - Andreas Kannicht Carl-Auer Compact

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eine andere Zubereitungsart oder Geschmacksvariante, die unter den gegebenen Umständen möglich ist und doch dem Geist jener Zubereitungsart am nächsten kommt. Wer aus der Zubereitung von Steaks etwas über Fleisch und Garen gelernt hat, kann zur Not ein in geeigneter Folie verschlossenes Steak in der Spülmaschine perfekt garen.

      Gute Köche starten oft mit vorgegebenen Rezepten, verstehen zunehmend die ihnen innewohnende Küchenkultur und die dafür notwendigen Eigenschaften von Zutaten und entwickeln dann ihre eigenen Kreationen. Die legen sie als Kochrezepte in Kochbüchern nieder, weil niemand kochen lernen kann, wenn man ihm lediglich abstrakt alle wichtigen innewohnenden Prinzipien erklärt. Dann beginnt der Kreislauf von vorne.

      Bleibt es bei einer Ansammlung von Methoden – über deren Implikationen und Konsequenzen sich der Berater selbst nicht recht im Klaren ist –, können eine Aufklärung des Klienten und ein Abgleich, ob er diese angebotene Wirklichkeit adoptieren will, nicht verantwortlich stattfinden. Definiert sich ein Professioneller gar über wenige Konzepte oder Methoden, muss er jeden Klienten an diese Welt anpassen, nach dem bekannten Bonmot: »Wer nur einen Hammer hat, für den besteht die Welt nur aus Nägeln.« Geläuterte Professionelle belasten ihre Klienten nur gezielt und zweckdienlich mit solchen »Kulturexporten«, um in der Wirklichkeit des Klienten wesentliche Unterschiede zu machen. Ansonsten machen sie sich deren Wirklichkeit zunutze und wirken wie ein Ferment, ohne dass das Ergebnis nach ihm schmeckt.

      Wenn im Folgenden von Steuerungskonzepten erster und höherer Ordnungen die Rede ist, folgt diese Einteilung weniger einer klaren Unterscheidung von logischen Ebenen. Vielmehr sollen dadurch eher pragmatisch unterschiedliche Abstraktionshöhen markiert werden. Je höher die Ordnung, desto weiter weg bewegen wir uns von konkreter Verhaltenssteuerung und umso mehr haben wir den Überblick übers Ganze. Mithilfe der Steuerungskonzepte höchster Ordnung werden grundsätzliche Wirklichkeitsbetrachtungen und Herangehensweisen bestimmt. Entsprechend werden die dafür geeigneten Steuerungskonzepte niederer Ordnung zur Spezifizierung ausgewählt. Diesen folgend, realisieren wir das konkrete Verhalten in der Situation entsprechend Steuerungskonzepten erster Ordnung.

      Steuerungskonzepte erster Ordnung organisieren in der Regel die tägliche Praxis und konkrete Herangehensweisen. Fragestellungen von Klienten in spezifischen Praxisbereichen (z. B. Lebensberatung, Coaching, Teamentwicklung, Organisationsentwicklung) werden von Beratern mit einem Repertoire an geläufigen Verständnissen und Vorgehensweisen angegangen, unabhängig davon, ob sie als Praktiker das dahinter stehende Konzept theoretisch erklären und die angewandte Methodik entsprechend begründen können oder nicht.

      Fragt jemand gewohnheitsmäßig danach, wie und wann sich die vom Klienten benannte »Depression« zeigt, verweist dies z. B. auf das Konzept, sich nicht mit den Etiketten der Klienten zufriedenzugeben, sondern konkrete Beschreibungen zu erfragen, damit man sich selbst ein Bild machen kann. Wird dann nachgefragt, unter welchen Umständen dieses »depressiv« genannte Verhalten und Erleben auftritt, was es verstärkt und was es mindert, welche beeinflussbaren Faktoren dazu beitragen, dann steckt darin das Konzept, dass Kontexte wichtig sind und dass Veränderungen möglich, vielleicht sogar vom Klienten steuerbar sind. Fragt jemand nach den Beziehungswirkungen und ihren Folgen, dann aktiviert er ein Verständnis von Depression als Beziehungsverhalten, fragt jemand nach Schlafverhalten oder Nahrungsgewohnheiten, dann aktiviert er ein eher biologisches Verständnis und dazu bekannte Erkenntnisse. Arbeitet ein Berater mit einer Mehrstuhltechnik und Persönlichkeitsanteilen, die auf mehrere Stühle verteilt sind, dann stellt er Depression in den Zusammenhang interner Dialoge.

      Varianten dieser Art gibt es unendlich viele. Sie werden über die Wahl von Gesprächstechniken, Settings, Ablaufritualen, Einbeziehung von Umständen und anderen Personen implizit definiert. Dies gilt auch für gewohnheitsmäßig fokussierte Persönlichkeitsdimensionen, Arbeitsebenen, private, professionelle oder organisationale Bezüge. Dabei sind im Beipack vielerlei implizite Definitionen gewollt oder ungewollt, bewusst oder unbewusst enthalten. Die Metapher hierzu ist z. B. die Beleuchtung eines Gegenstandes: Je nachdem, welche Scheinwerfer wir wie aufstellen, um ihn zu beleuchten, erscheint er auf ganz unterschiedliche Weise. Perspektiven, die in den Steuerungskonzepten benannt werden, entsprechen Scheinwerfern, in deren Licht sich die Wirklichkeit des Klienten und die der Beratung darstellen. Die Fokussierung auf Steuerungskonzepte macht wachsam dafür, welche Beleuchtungen uns zur Gewohnheit geworden sind. Stehen dazu Alternativen zur Verfügung, erscheint vieles dann auch in anderem Licht.

      Steuerungskonzepte erster Ordnung bieten einen Überblick über solche unterschiedlichen Fokussierungen an und helfen somit dem Berater, seine gewohnheitsmäßigen Vorgehensweisen zu sichten und sein Repertoire auszubauen. Indem sich der Berater mehr Fokussierungsmöglichkeiten bewusst macht, kann er die für die jeweilige Beratungssituation ihm am passendsten und sinnvollsten erscheinende Fokussierung auswählen. Steuerungskonzepte erweitern somit gewohnheitsmäßige Vorgehensweisen um weitere, sonst übersehene Möglichkeiten und helfen dem Berater, über die Auswahl seiner Fokussierungen nachzudenken.

      Die Selbststeuerungskonzepte erster Ordnung hier beziehen sich einerseits auf den Einsatz systemischer Methoden (siehe Kap. 2), andererseits auf feldspezifische Betrachtungen (siehe Kap. 3).

      Steuerungskonzepte höherer Ordnung – Metasteuerungskonzepte – eignen sich zur Auswahl von praxisorientierten Steuerungskonzepten, also solchen erster Ordnung. Wir befinden uns eine oder mehrere Abstraktionsebenen höher und blicken mithilfe dieser Modelle auf die Steuerung des Beraters, der sich in einem komplexen Wirklichkeitsfeld orientiert. Mit welchen praxisorientierten Steuerungskonzepten soll er sich nähern, bzw. wie organisiert er sich bei der Auswahl bestimmter Perspektiven? Konzepte höherer Ordnung beschreiben keine praktischen Schritte, sondern regen Auswahlprozesse für die Betrachtung von Wirklichkeit und dazu passenden Konzepten und Methoden an. Deshalb nennen wir sie auch Metakonzepte. Je nach gewählten Wirklichkeitsebenen sind mögliche Konzepte und Methoden für die praxisorientierte Selbststeuerung in anderem Licht zu sehen. Indem wir sie als Scheinwerfer gedanklich in unserem Kopf aufstellen, entstehen in uns ganz unterschiedliche Bilder davon, wie wir das jeweilige Problem und die jeweils damit zusammenhängende Lösung des Klienten betrachten können. Es geht um die Konstruktion dessen, wie wir ein Thema benennen, wen wir als Klienten betrachten und wie wir unsere Dienstleistung definieren. Wir sprechen deshalb auch von Designkompetenz des Beraters und meinen damit, den Rahmen und die Voraussetzungen dafür zu schaffen, eine sinnvolle Dienstleistung erbringen zu können. (Auf Steuerungskonzepte höherer Ordnung bezieht sich Kap. 4.)

      Der Anspruch dieses Buches besteht also darin, Beratern Modelle und Hinweise zu geben, wie sie sich selbst in Beratungsprozessen bewusster steuern können. Der Begriff »Steuerung« erzeugt möglicherweise Widerspruch, insbesondere aus dem systemischen Lager selbst, lehren doch systemische Konzepte, dass die Steuerung von lebenden Systemen nicht möglich ist. Wenn wir davon ausgehen, dass auch Berater lebende Systeme sind (und das sollten wir tun), so wäre auch Selbststeuerung fraglich.

      Wenn wir hier von Selbststeuerung sprechen, so verfolgen wir jedoch keinen Steuerungsbegriff, der Eindeutigkeit und lineare Beratungsstrategien im Sinne einer Wenn-dann-Logik ermöglicht. Es gibt also nicht so eindeutige Zusammenhänge, wie wir uns das z. B. beim Steuern eines Druckers vorstellen. Vielmehr geht es um Kybernetik, also um Navigationskunst etwa wie beim Steuern eines Segelbootes im Wechselspiel mit letztlich nicht bestimmbaren Naturkräften. Es geht darum, einen Kurs zu bestimmen und zu halten trotz akzeptierter Unberechenbarkeit.

      Was solche Steuerungskonzepte anbieten,

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