Die größten Klassiker der deutschen Literatur: Sturm und Drang. Johann Gottfried Herder

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Die größten Klassiker der deutschen Literatur: Sturm und Drang - Johann Gottfried Herder

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verwandeln? Soll die fromme unschuldige Erzählung Homers ein sinnreiches: ich sage wohl nichts; aber ich will es sagen: ich merke! werden? Der ganze Zweck Homers, Paris und Helena uns im fortgehenden Strome seiner Epopee zu schildern, ist weg: nun ists ein artiges κακοφατον geworden. Bei Homer aber in einer Zeit, wo es kein κακοφατον war, die Sache selbst anständig zu nennen, bedorfte man kein κακοφατον, etwas anders dagegen zu nennen, und doch das Unehrbare zu verstehen: kurz! der ungalante Paris hat wenigstens keine züchtige Zweideutigkeiten nöthig. Ich sage, statt eines anständigen non probo! ein wahrhaftig ehrbares: haud equidem miror, invideo magis!

      Lasset sich aber die Zeiten ändern: es fange das ganz andre Ding zu wirken an, was wir Ehrbarkeit, Anstand nennen, ohne doch eben Tugend darunter zu verstehen: Dinge, die man auch ohne Neckerei und Zoten sagen wollte, wird man oft nicht nennen wollen, nicht nennen dörfen, und endlich nicht zu nennen wissen. Durch einen allgemeinen Reichsschluß auf dem Reichstage der Ehrbarkeit wurden solche Benennungen für unzüchtig erklärt, aus der Sprache geworfen; nicht aber darum auch die Sachen selbst für unzüchtig erklärt, nicht darum die Begierde weggeschaffet, solche Namenlose Sachen um so lieber nennen, und da man sie nicht nennen darf, artig andeuten zu wollen. Das ist der Ursprung galanter Zweideutigkeiten! Zween, drei Ausdrücke wurden aus der Sprache des Anstandes weggebannet, und dem Pöbel überlassen; zwanzig Umschreibungen aber, fünfzig verblümte Redarten, und hundert Zweideutigkeiten, wobei nur der seine Kopf etwas merkt, dagegen eingenommen, und das hieß gesittete, übliche, züchtige Sprache des Jahrhunderts. Züchtig! meinetwegen! so züchtig, daß Crebillonsche Romane alle mögliche Unzüchtigkeiten, mit aller feinen Zucht, vortragen, mit allen lüsternen Täuschungen, durch die, wie durch einen leichten Flor die üppigen Reize blos durchschimmern, uns alle Scenen und Akte der Unehrbarkeit sehr ehrbar mahlen können. Ueblich? allerdings so üblich, daß wer die neueste Verdrehung dieses oder des Ausdrucks, das Unglück hat, nicht zu verstehen, nach allen Gesetzen des Ueblichen, nach der neuesten Bedeutung des artigen Wörterbuchs, in Gefahr geräth, der ernsthafteste Zotenreißer zu werden. Gesittet? so gesittet, daß man mit dem Sittsamen der artigen Welt alle Sitten der Tugend beschämen, alle Musen und Gratien der wahren Sittsamkeit erröthend machen kann! Das sind die artigen Früchte des löblichen κακοφατον! Tantum fuit in Romanis verecundiae studium castis auribus pepercerunt!

      Quintilian selbst redet in der angezogenen Stelle, gegen die Sucht, κακοφατα zu finden, offenbar. Er nennet sie ein Verdrehen, ein Verderben der Rede: er setzt, wenn die üppigen Römer seiner Zeit, das was ein alter Schriftsteller sancte et religiose gesagt hatte, auf einen unehrbaren Sinn zogen, sein spottendes si diis placet! dazu: er wirst die Schuld auf die Lesenden solcher Art, daß sie die Rede verdürben, mißbrauchten; daß bei solcher Schaamlosen Schaamhaftigkeit endlich kein ehrbares Wort mehr ehrbar seyn werde: er hält es für ein verderbtes Zeitalter, dein er blos aus Noth nachgeben müsse, »quatenus verba honesta moribus perdidimus et evincentibus vitiis cedendum est.« Er hat also wahrlich nicht daran gedacht, daß hinter sein scheltendes: quod si recipias, nil loqui tutum est! ein ehrbarer Klotz des achtzehnten Jahrhunderts die frommen Seufzer: tantum fuit in Romanis verecundiae studium! tam diligenter castis auribus pepercerunt! im Ernste nachseufzen, und solche Verecundia mit allem Ernste zum ersten Stücke der Virgilianischen Keuschheit machen werde. Keusche Römerohren! artiges Jungfernlob auf Virgil! Das wenigste, das Herr Klotz gestehen wird, ist, daß er Quintilian nicht verstanden, und das wahre Wesen der Schaamhaftigkeit wohl nicht überdacht habe.

      III.

       Inhaltsverzeichnis

      Von Worten fange ich die Ehrbarkeit nicht an; sondern von Gedanken; und von welchen? Ich sehe, daß Hr. Kl. mich in zu tiefe Gelehrsamkeit, in zu bunte Philosophie führe; ich will lieber auf dem ebnen Stege der Natur bleiben. Nur gebe die Göttin, deren Wesen ich untersuche, daß, indem ichs untersuche, ich nicht selbst ihren Altar entweihe!

      Zuerst: womit ist die Schaamhaftigkeit natürlicher gesellet, als mit den Neigungen der Liebe? Der Liebe ward sie von der Natur, als Schwester, als Gesellin, als Aufseherin, mitgegeben, an deren Hand sie auch die Würkungen, die Macht, die Reize derselben so sehr befördert. Nichts ziert die Liebesgöttin so sehr, als die Farbe der Unschuld, sanfte Schaamröthe, die in sich geschmiegete Mine der bescheidenen Einfalt. Wenn also unter allen Tugenden Eine das Anrecht hätte, in der Allegorie als ein Frauenzimmer vorgestellt zu werden: so ist die Schaamhaftigkeit dazu die Erste. Sie ist der Reiz der Liebe, und die Tugend des Geschlechts, das die Natur zum liebenswürdigen Theile der Menschheit bestimmte: sie also eine weibliche Tugend. Ein Weib ohne Zucht, sagt das Arabische Sprüchwort, ist eine Speise ohne Salz: und noch füglicher könnte dies Sprüchwort von der Liebe selbst gelten. Eine Liebe ohne Scham ist nicht Liebe mehr: sie ist Ekel. Nichts ekelhafters in der Welt, als eine förmliche Exposition der Liebe.

      Zunächst äußert sich die Naturempfindung, von der ich rede, in Nennung der verborgenen Theile unsres Körpers, die unsre Sprache, zum Theile, schon mit dem Namen der Tugend selbst bezeichnet. Ich sage: zunächst; aber absteigend zunächst; denn es ist unstreitig, daß diese Gattung von Schaamhaftigkeit nicht schon allein von der Natur, sondern auch von der Politesse, Gesetze erhält. In einem Wörterbuche, in einer Naturlehre mag dieses und jenes Wort recht gelegentlich und schaamlos stehen; nur aber nicht so gelegentlich in offenbarer Rede, in Schriften, wo es nicht hin gehören muß, in Werken des Vergnügens, und der Gesellschaft. Seit dem Kleider die Hüllen der Schönheit und Häßlichkeit geworden: seit dem haben auch einige Namen, gleichsam verdeckt, selten werden müssen; und, mit der Zeit, sind sie gar unsichtbar geworden. Mit dem Unterschiede, daß, wo sie unsichtbar seyn konnten, weil sie nicht genannt werden dorften: da war ihr Verschwinden eine Folge einer Naturempfindung; wo sie aber genannt werden müssen, und doch nicht genannt werden dorften; da war ihre Unehrbarkeit eine gesellschaftliche Verabredung; ein Vertrag der höchsten Politesse.

      Noch offenbarer sind andre Verabredungen, die immer heißen könnten, wie sie wollten; nur Naturempfindungen der Schaamhaftigkeit sollten sie eigentlich nicht heißen. Dies

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