Die größten Klassiker der deutschen Literatur: Sturm und Drang. Johann Gottfried Herder
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Nur gar zu sehr ist Ramler ein Freund solcher Allegorien, und zerstört dadurch oft die Harmonie des Liedes. Gefühl ist der Ton der Lieder, und nicht eine Charakteristik Allegorischer Wesen, die, wenn sie einmal eine todte Symbole mitten in die Reihe Lyrischer Empfindungen hinein stößt, alles, wie Eis, erkältet. Hagedorn singt im Tone des sanftesten Abendvergnügens seinen Morpheus, die Wünsche, das Verlangen seines Herzens: Ramler nimmt eine Aegyptische Kohle, und reißt eine Hieroglyphe daraus. Die schwarze Hieroglyphe aber schreckt das Chor aller Abendfreuden aus einander: – –
Gott der Träume, Kind der Nacht,
Das mit Mohn in Händen
Gaukelnde Gestalten macht – –
Gnug! schön zu einer Devise auf ein Bild des Schlafes, nicht zum Lyrischen Gesange, nicht zu einem Hagedornschen Liede.
Sollte, in Gedichten der Liebe, Amor nichts, als die personificirte Liebe, das Abstractum dieses Begriffes in Allegorische Gestalt eingekleidet seyn – arme Dichter der Liebe! das Reich eurer Phantasie ist verwüstet. Nicht mehr der Mythologische Amor mit allen seinen Geschichtchen; eine Metaphysische Maske ist euer Gesang. Alsdenn z.E. sind die Jacobischen Tändeleien von Einem Amor, von diesem und jenem Amor, vom Amor, der Lerchen fängt, der jetzt verschwindet; jetzt uns eine Stunde Friede läßt; jetzt unvermuthet unter Schmiedeknechten beim Vorbeipassiren gefunden wird; jetzt, wie ein fliegendes Jucken in der Haut wiederkommt; fade. Alsdenn schrumpft das Reich erotischer Wesen in die wenigen steifen Herrlichkeiten ein, die Hr. Kl. von seinen Gemmen uns vorzält, und auch die sind nicht ohne Mythologische Züge – – Kurz! wenn Hr. Kl. seine Behauptungen nur halb überdacht, kaum hätte ers sich selbst verantwortet, den Mythologischen Achtsbann niederzuschreiben, der alle unsre Dichter aus seiner Poetischen Republik treibet. Ich hoffe, die Muse werde dem neuen Plato, für einen so bündigen Reichsschluß, sanfte Ruhe verliehen haben!
1 Epist. Homer. p. 124–135.
2 p. 124.
3 p. 125.
4 p. 125.
5 p.126.
6 p. 127.
7 p. 126.
8 p. 127. 128. etc.
9 Ich führe nur Eins an, den Rambler, eine Schrift voll Menschenkenntniß, und voll schläfriger Allegorien.
X.
Der Rest der Homerischen Briefe wird uns, wie ich glaube, den Weg verkürzen.
Hr. Kl. lobt Homer über seine genaue Charakteristik der Helden;1 längst längst bemerkt, bekannt, und besser ins Licht gesetzt.
Hr. Kl. vertheidigt Homer, daß er sich in Kleinigkeiten wiederhole.2 Längst vertheidigt, und sonst schon genauer auf die »Ruhepunkte seiner Epischen Muse,« und auf eine kleine süße Geschwätzigkeit der Griechen zurück geführt.
Hr. Kl. schweift weit aus über die Nachläßigkeit der Künstler im Nebensachen.3 Nichts Neues!
Ueber die edle Nachläßigkeit der Schriftsteller.4 Ein Gemische ohne Grundsätze und Bestimmung, das uns erst die weise Simplicität, und die strenge Schönheit im Ernestischen Aufsatze5 dieses Inhalts um zehnmal mehr fühlen läßt. Ernesti, in dem Geiste des Cicero, bestimmt, beweiset, schränket ein, macht die edle Nachläßigkeit, die er empfielt, liebenswürdig; und da er zu eben der Zeit mit der abgemessensten Sorgfalt spricht: so kommt er dem Misbrauche seiner Lehre zuvor. Unter den Händen unsers Autors wird die liebenswürdige Nachläßigkeit zu einer Regellosen und unstäten Franchezza, so in seiner Lehre und so in seinem Beispiele. Vergebens gab ihm die Muse die Gabe des leichten Vortrages, wenn dieser unüberdacht, ohne Plan, Gründe und Ordnung umher schweifet. Keinem prüfenden Leser wird diese leichte Freiheit, »schöne Nachlässigkeit der Alten« dünken; dem Halbkenner aber, und dem läßigen Schüler, der nur auf solche Lehren wartet, wird sie sowohl im Unterrichte, als Beispiele, verderblich.
Hr. Kl. vergleicht das Homerische Bild der Zwietracht mit den Gemälden andrer Dichter.6 Ich würde nicht vergleichen wollen, wenn ich die andern Dichter nicht gelesen. Das Bild der Zwietracht in Ariost, in Tasso, und wo weiß ich mehr? insonderheit das Klopstocksche große Bild der Religionszwietracht,7 sollte nicht vergessen seyn: denn das letzte übertrift Homer.
Hr. Kl. giebt die Scene von Hektors Tode, und den Klagen über ihn, aus Homer.8 Ich weiß nicht, wie ich die Gabe nennen soll. Nicht Uebersetzung, nicht freie Ekphrase: weder Lateinische Periodenprose, noch Homerische Cadenzen; ein widriges, und insonderheit, »in den Bindungen der Rede,« widriges Mittelding, in dem Homer, ohne Stärke und Leben, zerrissen da liegt.
Hr. Kl. giebt uns zu diesen Menschlich rührenden Klagen Parallelen, und die bekannte Geschichte des Ugolino in Lateinischen Versen.9 Nach dem Gradu ad Parnassum sind die Verse schön; mit der Meinhardschen Prose verglichen, matt und kraftlos. Die Macht der Simplicität des Italieners; die kurze Wuth des Schmerzes in demselben, bei jedem neuen Anfalle; die rührenden Einschiebsel desselben, die, wie ein einsilbiges Ach! die Rede stören, ist hier in schöne Lateinische Verse verflossen, ganz verflossen.
Hr. Kl. giebt den Auftritt der Andromache, und des Astyanax mit Parallelen rührender Kinderscenen.10 Ich weiß nicht, wer ein Deutscher ist, und die Scene des Benoni im Meßias auslassen: ich weiß nicht, wer Kinderscenen parallelisiren, und nichts aus den Trauerspielen der Britten nennen darf. Nicht mit Homers Astyanax, aber wohl mit Shakespearschen Scenen konnte Lessings Arabelle verglichen werden, wenn es verglichen seyn sollte.
Hr. Kl. zeigt, daß die Römer oft Griechische Dichter und Künstler nachgeahmet.11 Zu bekannt!
Daß Homer oft das Stillschweigen sehr glücklich gebraucht12