Die größten Klassiker der deutschen Literatur: Sturm und Drang. Johann Gottfried Herder

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Die größten Klassiker der deutschen Literatur: Sturm und Drang - Johann Gottfried Herder

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Einkleidungen der Platonischen Weisheit wegen. Ob sie sie übel nachgeahmet: davon ist die Rede nicht, sondern ob sie sie nachahmen dörfen? Und wer weiß es da nicht, daß wir nothwendig mit der bösen irrigen Mythologie zugleich alles hätten verlieren müssen: Sprache, Poesie, Wissenschaft, Kunst der Alten – eine schwere Verbannung! Wir wollen den irrigen, abergläubischen Ketzer dulden; denn mit ihm hätten wir, wie die Christen zu Julians des Abtrünnigen Zeiten, zu viel verlohren! Das wäre die zweite Voraussetzung.

      Hieraus würde auch die Erstaunensvolle Frage beantwortet: warum dies böse Ding, das doch blos auf dem Irrthum und Aberglauben der Alten beruhet, habe beibehalten werden können? eine Blindheit, die Jahrhunderte durch gedauret! Es wäre also unmaßgeblich zu zeigen: »daß die Mythologie in ihrem Gebrauche wohl etwas mehr, als Schall ohne Sinn, Worte ohne Bedeutung, unnützer Flitterstaat, Gottlosigkeit und Aberglauben gewesen sey und seyn könne.« Wie tief muß eine solche Deduction anfangen! Und was hat unser Christliches Taufwasser mit dem ganz andern Werke zu thun, in einer sehr bekannten, sehr Ideen- und Bilderreichen Sprache Poetische Zwecke zu erreichen?

      Freilich könnte es eine feine Aufgabe bleiben: »wie weit wir im Gebrauche mancherlei Mythologischer Ideen den Griechen und Römern nur bescheiden nachtreten müssen?« Mein hieran ist bei meinem Autor, und bei dem berühmten Vorredner Apollodors nicht zu gedenken; hier kommt auch nichts weniger, als Irrthum und Aberglaube, in Betracht: die bei ihm alles sind. Gnug! daß es ihm beliebt, in allen neuern Dichtern die Mythologie für schallenden Unsinn, für hundertmal gebrauchten Flitterstaat zu erkennen, und nun frage ich jeden guten Dichter unsres Vaterlandes: ist so Etwas nicht unter der Kritik?

      Ich setze voraus, daß hier die Frage nichts weniger, als Wortzierrath, Dichterischen Schmuck betreffe, denn jeder Zierrath, der nicht aus der Sache selbst entspringet, der erst gesucht werden muß, ist Fehler; wir suchen also eine innere Bereicherung der Poesie in ihrem Wesen statt der Mythologie.

      »Entdeckungen der Naturlehre!« Allerdings! wenn sie so bekannt, so fähig der Poetischen Sprache, so reich an Bildern, so anschaulich sind – als die Mythologie; allerdings! So verschwinde jene, wie Schatten gegen die Sonne, wie Fabel gegen die Wahrheit: und die Schöpfung eines Newtons, Neuentyts, Swammerdams, Buffons, Reaumurs, Tourneforts und Hallers trete an die Stelle des Fabelkrams eines Apollodors, oder Nata lis Comes. Aber zu welcher eigentlichen Function soll sie dahin treten? Einzelner Gleichnisse, Bilder halber? Mit Vergnügen erinnere ich mich zwar der seligen Augenblicke, die mir die tiefen Naturgleichnisse eines Hallers, die unerwarteten Arzneigleichnisse eines Witthofs, der fast ganz aus dieser Welt von Wissenschaften gedichtet, die fast immer ökonomischen Bilder eines Dyers gebracht haben; aber mit Misvergnügen auch der unseligen Augenblicke, die mir die gelehrt seyn sollenden Gleichnisse eines Curtius u.a. erwecket. Blos als Gleichnisse betrachtet, sind die Offenbarungen der neuem Naturkunde lange nicht so des Lichts der Anschauung fähig, oft so schwer poetisch und ohne Kunstsprache auszudrücken: so oft über die Sphäre des common sense unsrer Zeit, für welchen doch Gedichte geschrieben werden müssen, erhoben: so oft für diesen ohne Commentar dunkel, und wer will über ein Gleichniß denn einen Commentar lesen? endlich weit seltner an die eigentlichen Gegenstände der Poetischen Welt gränzend, um ein Drittes der Vergleichung zu haben, das beide nahe zusammenbringe – und das waren sie blos als Gleichnisse. Gleichnisse aber sind höchstens in Lehrgedichten das Wesen der Poesie: Gleichnisse aber sind gewiß nicht der wichtigste Gebrauch der Mythologie: Gleichnisse also machen hier keinen Gegensatz, nicht die Mythologie un nöthig, nicht die Naturlehre zur Mythologie.

      Fabel, Dichtung, Handlungen, die bis zur Täuschung eindringen, sind das Wesen der Dichtkunst, und wie weit weniger kann hier die Naturlehre zutragen? Kann sie der Epopee und Heldenoper Maschinen schaffen, die mit der Individualität, mit der hohen und schönen Natur, mit der charakteristischen Bestandheit, mit der bekannten Anschaulichkeit, mit der Täuschungsgabe handeln können, als in Homer die Götter der Mythologie handeln – wohlan! so treten Gnomen und Sylphen, und Nymphen und Salamanders, die ganze Schöpfung des Theophrastus Paracelsus, und Cornelius Agrippa, die personifiirte ganze Naturkunde in die Stelle Mythologischer Wesen. Kann sie dem Drama, der Pindarischen und Horazischen Ode, der Fabel, der Erzälung, der Idylle so viele, so schöne und so reiche Dichtung schaffen, als die Mythologie der alten Dichter diesen Gattungen schuff, so trete sie auf. Hier lasse ich meine Leser mit aller Gemächlichkeit alle Dichter des Alterthums in allen Arten der Dichtkunst, und in jeder ihre glücklichen Fictionen aus dem Vorrathe der Mythologie – nachzählen: alle neuere Dichter, die aus dieser Quelle, es sey auf was Art es wolle, glücklich geschöpft, bis auf unsern lieben warmen Wieland zu – alsdenn überschlage er, ob ihm das alles Naturkunde ersetzen könne, und thue den Ausspruch. Meines Wissens giebt diese einzelne Begriffe, Känntnisse, Wissenschaft; die Poesie will Geschichte, Handlungsvolle Begebenheiten, täuschende Fabeln – welche beide Ende!

      Ich sage nicht, daß nicht aus der Naturkunde unsre Dichtkunst noch sehr mit Wahrheiten und Bildern bereichert werden könne, daß aus diesen Wahrheiten und Bildern von einem Poetischen Kopfe nicht so glückliche Fictionen geschaffen werden müßten, als ein Fontenelle über die Wirbel des Des-Cartes witzige Einfälle dichten konnte – aber daß diese mögliche Ausbeute dem unzählbaren Reichthume Mythologischer Dichtungen und Geschichte und Fabeln je gleichkommen, daß sie denselben völlig überlei machen könnte, das leugne ich völlig! Aus der Mythologie eben lerne man, die Naturkunde dichterisch zu bilden, nicht aber aus der Naturkunde die Mythologie zu verbannen.

      Zweitens: »neuere Entdeckungen neuer Länder und Welten!« und was haben uns diese für die Dichtkunst entdecken lassen, das der Mythologie gleich gölte? Bäume und Pflanzen? So viel ein Indianischer Plinius, ein Rumph, eine Merian u.a. die Welt des Kräuterkenners, und den Begrif der Schöpfung Gottes erweitern: so viel Vergnügen und Nutzen man in einem Malabarischen Garten finde; so doch das wenigste zum Gebrauche der wahren Dichtung. Die Namen der neuen Kräuter sind unpoetisch; ihre Gestalt und Unterschied nicht durchgängig bekannt, nur der Zeichner, nicht der Wortmaler, kann sie anschauend sinnlich machen. Zudem sind solche Brockessche Malereien ja nicht Hauptzwecke der Dichtkunst, und was z.E. der Verfasser des Zuckerrohrs Poetisches in sein Poem gebracht, ist dem mindsten Theile nach aus der Pflanze selbst gepreßt; es ist Ausschweifung.

      So Gegenden? Außerordentlich wilde Gegenden, Wüsten, Gebirge, Wasserfälle sind rührend, aber nur so fern sie bekannte Ideen wecken, die uns schon beiwohnen. Ich würde Niagarens Wasserfall in Creuz nicht so fühlen, wenn ich nicht schon rauschende Wasserfälle kennete, und hier blos meine Begriffe steigen dörften. Schlechthin neue Beschreibungen gewähren also diese Entdeckungen kaum: denn ob der alte Grieche und Römer die Wasserfälle des Nils, den Euripus, den Olympus, die Scylla und Charybdis mir über historische Wahrheit erhoben, ist nicht die Frage, nur ob er sie mir täuschend gedichtet? und von ihm also lerne man auch die neuerlicher bekannten Gegenden – Grainger seinen Amerikanischen Platzregen, und andre ihre feurigen Luftmeteore dichten; (denn nach historischen Bildern suche ich in Reisebeschreibungen) und fänden da die meisten solcher Scenendichtungen in den

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