Die größten Klassiker der deutschen Literatur: Sturm und Drang. Johann Gottfried Herder

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Die größten Klassiker der deutschen Literatur: Sturm und Drang - Johann Gottfried Herder

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wenn dieser Zeitpunkt voll Licht, oder nur voll Blendeschein des Lichts ist? wo soll ers, als Critikus, wissen? Das mag der Gottesgelehrte, der Polemikus entscheiden; nicht der Poetische Kunstrichter. Der Dichter nimmt den herrschenden Religionsgeschmack, oder besser, sein eignes Religionsgefühl, wie er dazu gebildet worden, seinen eignen Horizont von Religionsaussichten, und dichtet. Und so muß der Critikus ihn richten. Nicht daß er absolute Wahrheit suche, nicht daß er frage, ob diese und jene Religionsvorstellung auch rechtgläubig genau, exegetisch richtig, philosophisch erwiesen; sondern ob sie wahrscheinlich sey, ob sie könne poetisch geglaubt, gefühlt, beherzigt werden. Das ist bei einem Jüdischchristlichen Gedichte nicht schlechthin die Frage: ob historisch genau, der Jude seine Affekten so gemahlt oder nicht; auf den Fuß wäre vielleicht kein Tod Adams, und kein Tod Abels möglich; sondern ob sie, nach gewissen allgemein angenommenen Voraussetzungen, so haben sprechen können. – Ich folge also dem Religionsbegriffe meiner Zeit, ohne weitere Umwege: wiefern verträgt er sich mit Mythologischen Ideen?

      1. In jedem Poem, wo Dichtung herrscht, wo Personen der Dichtung auftreten, können freilich nicht Wesen der heidnischen und Christlichen Religion neben einander handelnd vorgestellet werden; nicht mit einander gleich wesentliche Substanzen zur Handlung des Gedichts seyn. Wenn die Muse und der heil. Geist, ein Gabriel und ein Apollo, eine Maria aus den Gegenden des Himmels, und eine Diane zugleich, auf einerlei Art Poetische Exsistenz, Poetische Handlung auf dem Schauplatze eines heiligen Gedichtes bekommen; so stoßen sie sich in unserer Seele. Ihre Poetischen Substanzen heben einander auf: mein Auge fährt über ihre beiderseitige Gegenwart zurück: die Täuschung geht verlohren, und mit ihr der ganze Zweck ihrer Poetischen Erscheinung. Ein Trauerspiel solcher Art mag vielleicht noch in einem Winkel von Italien, Spanien, oder von Böhmen und Bayern ausstehlich seyn: eine Epopee von solcher Mischung mag der Christlichen Barbarei gefallen; rings um uns scheint das Licht einer geläuterten Religion zu stark, als daß nicht Eine solche Dichtung die andre in den Schatten drängen müßte.

      2. Auch wenn der Dichter allein spricht: so spreche er in Einem Gedichte von beiden nicht ganz auf Eine Art; als wenn er an beide gleich glaubte, und sie beide mit einerlei Wahrheit behandelte. Eine Anruffung an den heil. Geist und an die Kalliope zugleich ist ungereimt; nicht wieder als Gottlosigkeit, als Sünde wider den heil. Geist, sondern der Poetischen Täuschung halben. Entweder sind beide dem Dichter alsdenn Wesen von gleicher Poetischen Exsistenz; dies wiederspricht sich – oder beide nur Redezierrath, nur Poetische Figuren: dies beleidigt den Leser noch mehr, denn er kommt dadurch zu sich zurück, um den Wortkünstler ohne inneres Wesen und Leben gewahr zu werden – oder Eins von beiden hat nur Poetische Wahrheit; und warum steht alsdenn das Andere da? Es hindert die Wirkung des Ersten. In diesem Stücke hat freilich niemand so gesündigt, als Sannazar; ich wiederhole es aber nochmals – gesündigt, nicht wider den heil. Geist, sondern wider die Poetische Wahrheit und Illusion.

      3. Wo dies nicht ist, wo die Poetische Wahrheit und Wahrscheinlichkeit nicht darunter leidet, wo es der Congruität des Gedichts nicht entgegen ist, an Mythologische Namen, an erdichtete Gegenden zu denken – immerhin! Die Mythologie ist einem guten Theile nach historisch, oder Allegorisch; selbst das Fabelhafte in ihr mischet sich mit Geschichte und Allegorie; warum sollte sie als solche nicht auftreten? Wenn sie bekannt gnug, anschauend, und eine Schöpferin großer Begriffe zur Würde eben des Christlichen Objekts ist: so kniet sie als ein Opfer vor dem Altare der Religion. Selbst Religion wollte sie hier nicht seyn, sie ward als Geschichte, als Allegorie, als alte Sage, oder als bekannte Dichtung gebraucht: und da oft mit einer Wirkung, die anders woher nicht ersetzt werden konnte – vortreflich! So Milton, so Young, so oft die Dichter der Offenbarung!

      4. Aber viertens: wo in einem Christlichen Gedichte die Mythologie keinen Poetischen Nutzen schaffet; allerdings, da bleibe sie weg, denn jedes Müßige, jedes der Poetischen Wirkung Widrige muß wegbleiben. Ich danke also im Namen aller wahren Poeten eines h. Sujets Hrn. Klotzen freundlich für die Erlaubniß; »doch Neptun für das Meer, und Ceres statt Brot, und Vulkan statt Feuer, und Lyäus statt Wein, auch im geistlichen Gedichte sagen zu können; denn diese Worte hätten schon ihre Mythologische Kraft verlohren; sie brächten aber eine nicht geringe Eleganz in das Gedicht.« Elende Eleganz! eben wo sie ihre alte Kraft abgelegt haben, und blos als Wortschmuck gelten; da wirds gerade das erste Gesetz des wahren Dichters, zumal des heiligen Dichters, den Bettel wegzuwerfen.

      Ich sammle das Herausgebrachte, und da zeige ich ja doch beinahe ein Facit mit Hrn. Klotzen auf? Nicht völlig; und am meisten ist die Rechnungsart verschieden, wie wir unser Facit herausbringen. Hr. Kl. thut einen Machtspruch: kein Zug der Mythologie komme in ein geistliches Gedicht! ich nehme nur die Freiheit, den Satz so einzuschränken, daß er bei jedem Unwahrscheinlichen in der Poesie gelten muß. Hr. Kl. giebt statt Gründe die Namen: heidnisch, gottlos, fälsch, abergläubisch, dumm, lächerlich, ungereimt; ich darf sagen: immerhin! wenn es nur hier nicht unwahrscheinlich, unpoetisch, der Illusion entgegen ist; befördert es diese – vortreflich! Hr. Kl. tadelt die größesten Dichter; ich entschuldige einige, und rette sie aus ihrer Zeit; andre lobe ich, und könnte eine Abhandlung geben: »von der vortreflichen Würkung fremder Religionsideen in einem Christlichen Gedichte!« Hr. Kl. erlaubt die Mythologie nirgends, als wo sie aus dem gradu ad Parnasum geborgt, eine Blumenlese Poetischer Phrases ohne Mythologischen Sinn sey; ich warne vor nichts so sehr, als vor solcher sinnlosen Mythologie, vor solchem Mythologischen Unsinne! Hr. Kl. hat fromm und Christlich geschrieben; ich wünschte, als Kunstrichter der Poesie, gründlich, und nach dem Gefühle Poetischer Leser geurtheilt zu haben. So gehe ich über diese Materie

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