Die größten Klassiker der deutschen Literatur: Sturm und Drang. Johann Gottfried Herder
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1. In jedem Poem, wo Dichtung herrscht, wo Personen der Dichtung auftreten, können freilich nicht Wesen der heidnischen und Christlichen Religion neben einander handelnd vorgestellet werden; nicht mit einander gleich wesentliche Substanzen zur Handlung des Gedichts seyn. Wenn die Muse und der heil. Geist, ein Gabriel und ein Apollo, eine Maria aus den Gegenden des Himmels, und eine Diane zugleich, auf einerlei Art Poetische Exsistenz, Poetische Handlung auf dem Schauplatze eines heiligen Gedichtes bekommen; so stoßen sie sich in unserer Seele. Ihre Poetischen Substanzen heben einander auf: mein Auge fährt über ihre beiderseitige Gegenwart zurück: die Täuschung geht verlohren, und mit ihr der ganze Zweck ihrer Poetischen Erscheinung. Ein Trauerspiel solcher Art mag vielleicht noch in einem Winkel von Italien, Spanien, oder von Böhmen und Bayern ausstehlich seyn: eine Epopee von solcher Mischung mag der Christlichen Barbarei gefallen; rings um uns scheint das Licht einer geläuterten Religion zu stark, als daß nicht Eine solche Dichtung die andre in den Schatten drängen müßte.
Nur setze ich gleich eine Einschränkung hinzu. Nicht deßwegen können beiderlei Geschöpfe nicht auf Einem Schauplatze, in gleich starkem Licht erscheinen, weil die Eine Art wahre, die andere Lügenwesen, oder nach Hr. Klotzens Sprache,1 inepta, ridicula, falsa, impia, uno verbo superstitionis propria sind, quae a veri Dei cultoribus usurpari non possunt. Denn ein solcher Dichter schreibt nicht eigentlich, als ein frommer rechtgläubiger Christ, als ein Diener des einzig wahren Gottes, der vor aller Mythologie als vor einem ungereimten, lächerlichen, gottlosen, abergläubischen Krame so viel Abscheu hat, wie vor dem bösen Feinde der Hölle; sondern – als Dichter. Er schreibt nicht eines seligen Todes und des Himmelreichs wegen, sondern nur, (der gottlose Mensch!) um poetisch seine Leser zu täuschen. Er verabscheuet also die Mythologie, nicht als ein ungöttliches Wesen, und als eine Geschichte weltlicher Lüste, sondern weil sie in seinem heiligen Poem seinem Zwecke, seiner Laufbahn der Gedanken fremde, und dem Poetisch anschauenden Leser widrig seyn muß. Auf einem andern Schauplatze könnte eben derselbe Leser diese unchristlichen, gottlosen Geschöpfe der Lügen ganz behaglich sehen, und vielleicht eben der Dichter, wenn er ein Wieland ist, mit Feuer bearbeiten; aber auf diesen gehören sie nicht »der Poetischen Wahrscheinlichkeit halben.« Denn wenn die Maschinen der heidnischen Religion bis zur Täuschung geglaubt werden sollen; wie denn aus eben der Maschine Christliche Wesen? Sie wirken, dem anschauenden Auge gegen einander, sie heben an Wahrscheinlichkeit einander auf.
2. Auch wenn der Dichter allein spricht: so spreche er in Einem Gedichte von beiden nicht ganz auf Eine Art; als wenn er an beide gleich glaubte, und sie beide mit einerlei Wahrheit behandelte. Eine Anruffung an den heil. Geist und an die Kalliope zugleich ist ungereimt; nicht wieder als Gottlosigkeit, als Sünde wider den heil. Geist, sondern der Poetischen Täuschung halben. Entweder sind beide dem Dichter alsdenn Wesen von gleicher Poetischen Exsistenz; dies wiederspricht sich – oder beide nur Redezierrath, nur Poetische Figuren: dies beleidigt den Leser noch mehr, denn er kommt dadurch zu sich zurück, um den Wortkünstler ohne inneres Wesen und Leben gewahr zu werden – oder Eins von beiden hat nur Poetische Wahrheit; und warum steht alsdenn das Andere da? Es hindert die Wirkung des Ersten. In diesem Stücke hat freilich niemand so gesündigt, als Sannazar; ich wiederhole es aber nochmals – gesündigt, nicht wider den heil. Geist, sondern wider die Poetische Wahrheit und Illusion.
3. Wo dies nicht ist, wo die Poetische Wahrheit und Wahrscheinlichkeit nicht darunter leidet, wo es der Congruität des Gedichts nicht entgegen ist, an Mythologische Namen, an erdichtete Gegenden zu denken – immerhin! Die Mythologie ist einem guten Theile nach historisch, oder Allegorisch; selbst das Fabelhafte in ihr mischet sich mit Geschichte und Allegorie; warum sollte sie als solche nicht auftreten? Wenn sie bekannt gnug, anschauend, und eine Schöpferin großer Begriffe zur Würde eben des Christlichen Objekts ist: so kniet sie als ein Opfer vor dem Altare der Religion. Selbst Religion wollte sie hier nicht seyn, sie ward als Geschichte, als Allegorie, als alte Sage, oder als bekannte Dichtung gebraucht: und da oft mit einer Wirkung, die anders woher nicht ersetzt werden konnte – vortreflich! So Milton, so Young, so oft die Dichter der Offenbarung!
Es kann nichts, als ein Rest der Lieblingssekte seiner Jugend2 gewesen seyn, wenn Hr. Kl. jeden Mythologischen Namen, jedes fabelhafte Gleichniß aus Christlichen. Gedichten, als gottlos, falsch, ungereimt, lächerlich, abergläubisch auskratzen will. Abergläubisch? Muß ich denn einen Pluto glauben, wenn ich mich mit Milton an die schöne Flur (und an nichts mehr, als an die schöne Flur,) erinnere, wo er seine Proserpine entführt haben soll? Lächerlich? Nun warum denn, wenn ich mit einer Erinnerung an den küssenden Jupiter große Ideen erwecke? Lasset Jupiter vorjetzt nur der höchste Held seyn, den ein Dichter, denken konnte; wie erhöht das Miltons Adam! Ungereimt? Falsch? An sich selbst immer! aber der historische oder Allegorische Sinn, in dem ich sie anziehe, der ist nicht ungereimt, der ist nicht falsch! Und endlich gottlos? Nun ja doch, ja! und ich glaube es Herrn Klotzen so, als wenn ich ihn noch in der Vorstadt zu Görlitz3 predigen hörte; allein Hr. Klotz wird alsdenn seinen Collegen kennen, der Abbten auch der Sünde wider den heil. Geist beschuldigte, weil er eine nichtswürdige Satyre verdeutschet hatte? Ich sehe in Milton, Young, und im vierzigsten Kapitel Jesaia, was mich anbetrifft, nichts Gottloses.
4. Aber viertens: wo in einem Christlichen Gedichte die Mythologie keinen Poetischen Nutzen schaffet; allerdings, da bleibe sie weg, denn jedes Müßige, jedes der Poetischen Wirkung Widrige muß wegbleiben. Ich danke also im Namen aller wahren Poeten eines h. Sujets Hrn. Klotzen freundlich für die Erlaubniß; »doch Neptun für das Meer, und Ceres statt Brot, und Vulkan statt Feuer, und Lyäus statt Wein, auch im geistlichen Gedichte sagen zu können; denn diese Worte hätten schon ihre Mythologische Kraft verlohren; sie brächten aber eine nicht geringe Eleganz in das Gedicht.« Elende Eleganz! eben wo sie ihre alte Kraft abgelegt haben, und blos als Wortschmuck gelten; da wirds gerade das erste Gesetz des wahren Dichters, zumal des heiligen Dichters, den Bettel wegzuwerfen.
Ich sammle das Herausgebrachte, und da zeige ich ja doch beinahe ein Facit mit Hrn. Klotzen auf? Nicht völlig; und am meisten ist die Rechnungsart verschieden, wie wir unser Facit herausbringen. Hr. Kl. thut einen Machtspruch: kein Zug der Mythologie komme in ein geistliches Gedicht! ich nehme nur die Freiheit, den Satz so einzuschränken, daß er bei jedem Unwahrscheinlichen in der Poesie gelten muß. Hr. Kl. giebt statt Gründe die Namen: heidnisch, gottlos, fälsch, abergläubisch, dumm, lächerlich, ungereimt; ich darf sagen: immerhin! wenn es nur hier nicht unwahrscheinlich, unpoetisch, der Illusion entgegen ist; befördert es diese – vortreflich! Hr. Kl. tadelt die größesten Dichter; ich entschuldige einige, und rette sie aus ihrer Zeit; andre lobe ich, und könnte eine Abhandlung geben: »von der vortreflichen Würkung fremder Religionsideen in einem Christlichen Gedichte!« Hr. Kl. erlaubt die Mythologie nirgends, als wo sie aus dem gradu ad Parnasum geborgt, eine Blumenlese Poetischer Phrases ohne Mythologischen Sinn sey; ich warne vor nichts so sehr, als vor solcher sinnlosen Mythologie, vor solchem Mythologischen Unsinne! Hr. Kl. hat fromm und Christlich geschrieben; ich wünschte, als Kunstrichter der Poesie, gründlich, und nach dem Gefühle Poetischer Leser geurtheilt zu haben. So gehe ich über diese Materie