Die größten Klassiker der deutschen Literatur: Sturm und Drang. Johann Gottfried Herder
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Und allerdings ist auch bei der Mythologie für mich der Unterschied oft zweifelhaft gnug, wo die Redart aufhöre, und ein Gedanke anfange? Es hat Hrn. Kl. gefallen5, bei Vida so gar zu billigen, daß das heilige Brot Ceres heißen könne, und daß, der poetischen Phrasis wegen, zu billigen, daß Christus dem Volke liba Cerealia ausgetheilet, bloß der Nachahmung Virgils wegen; und gilt das, was sollte nicht gelten? So wird mich immer die unmythologische Sprache platt, gemein, unpoetisch dünken können; und so wird endlich ein Lateinisches Gedicht eine Seifenblase, wo viel schöne Farben in der Sonne mir vorspielen; ich greife darnach, und sie sind nichts! – Es waren Lateinische Phrases.
Auch Hrn. Kl. so genannte Horazische Oden6 sind nicht ohne Mythologie: sie reden vom Gravidus, und von der Venus, von Musis und Camoenis, vom pater Lyaeus, dem ein ganzer Dithyrambe Mythologisch gesungen wird, von Faunen und Dryaden, von Nymphen und Najaden, von Pierinnen, von Diis und Deabus, vom Phoebus, und vom Pindus, von Mavors und Bellona, von Cynthia und Flora, ein ganzes Heer Allegorischer Personen ungerechnet. Fragt man mich, was alle diese Namen hier sollen? nach der Manier Hrn. Kl. in seinen Homerischen Briefen muß ich entweder sagen: unschicklich, eitle Gelehrsamkeit: verdrüßliches, fremdes Geschwätz: oder ich sage: schöne. Poetische Phrases! Nun danke, mein lieber Leser!
Als die schöne Lateinische Poesie nach jener langen Barbarei wieder erwachte: als die Sannazars und Vida's, und Bembo's und Fracastor's, geweckt vom Geiste der wieder aufgelebten Römer, sangen: welcher Phöbus Apollo hätte ihnen damals das Ohr zupfen können? »Dieser Ausdruck ist zu Mythologisch, dieses Römische Bild hat noch nicht gnug durch den Gebrauch, und durch die Gewohnheit seine Mythologische Natur abgelegt – weg damit! Aber hier mein lieber Vida! stehe Ceres statt panis; dort Musa statt poetica facultas: Neptunus pro mari: Vulcanus pro igne: Lyacus pro vino. In his licet originem suam superstitioni debeant, tamen amissa fere est, ut ita dicam, prima vis & abolita: carmini vero Latino non exiguam elegantiam eadem conciliant!«7 O der artige Phöbus Apollo! Wenn diese abergläubischen Wörter ihre erste Kraft verlohren haben, wenn sie ihre Natur ausgezogen, wenn ihr Gewicht weg ist; so mögen alle solche elegantiæ non exiguæ in den Orkus! Sie sind ein elender Flitterstaat, eine Poetische Sprache ohne Poetischen Sinn, ein Schulgeschwätz. Ist nur dann ein Mythologischer Ausdruck brauchbar, wenn ihm die Gewohnheit, der alltägliche Gebrauch seine ursprüngliche Bildvolle Bedeutung entnommen: so ist er ein Redezierrath ohne Wesen; und vor solcher Poesie behüt' uns liebe himmlische Muse!
Nein! für Schulmäßige Phrasesjäger will ich die Erwecker der Lateinischen Dichtkunst nicht nehmen; aber um so schwerer wird mir die Entscheidung: »wie weit kann eine wirklich Poetische, und in ihren Horaz und Virgil verzückte Seele, in ihrer Poetischen Begeisterung, auch gleichsam an seine Götter und geistigen Wesen gläubig werden? Wie weit kann sich die Horazische Laune, der Virgilianische Geist, insonderheit, wenn ich in ihrer Sprache singe, einstellen, daß ich Mythologie von ihrer Dichtungsart unabgetrennet und unabtrennlich erblicke, daß ich, indem ich, wie sie, singen will, auch mit ihrer Mythologie singe.« Wer kann hier aus dem Stegreife antworten? wer kann in der Seele derer, die wirklich mit Enthusiasmus dichteten, Grenzen ziehen, wie Römische Begeisterung, Begeisterung aus den Römern geschöpft, Begeisterung, die sich selbst in Römische Sprache ergoß, hie und da einen Schritt weiter im Ausdrucke zurück bleiben, hie und da etwas vorsichtiger in der Mythologie seyn sollten: denn sie dichteten doch heilig. Nun ja denn! immerhin heilig; aber Vida und seine Mitgefährten dichteten auch Lateinisch, und, zum Unglücke, wollten sie auch Römisch dichten; nun stehen wir vor einer dreifachen Wegescheidung – wer kann alle drei mit einmal gehen, ohne auf keiner zu weit hin zu wanken?
Ich sehe keinen andern Rath, als daß man über ein heiliges Sujet niemals Latein, ich meine Römisch Latein, gedichtet hätte! denn immer ist eine Mischung von Sprach- und Denkarten unvermeidlich. Der Orient soll sich in den Occident stürzen, Geist der Religion, und der Altrömischen Poesie sollen sich umarmen; ein seltnes Paar! aus Cicero soll ein Compendium der Theologie geschöpft, und doch kein Römischer Begriff dahin übertragen, und keinem Begriffe der Orthodoxie etwas von seiner systematischen Strenge benommen werden – schwere Verbindung! Sannazaro will de partu Virginis schreiben, und zugleich nie seinen Virgil verlassen: Buchanan einen Baptistes schreiben, und doch seine Juden Römisch sprechen lassen – widrige Vermischung! Ueberläßt sich der Dichter dem Geiste seiner Religion; so wird er Jüdisch- so wird er Christlichlatein zu sprechen in Gefahr kommen; folgt er dem Geiste der Römischen Poesie, Denkart und Sprache; wie weit von Judäa ab wird der ihn hinführen! Will er, als ein Helleniste, auf beiden Wegen gehen, und Gleichgewicht halten – unwürdige, ermattende Wachsamkeit! drückendes Joch des Geistes, der in der Poesie nichts so sehr, als Freiheit, liebet. Der furchtsame matte Dichter wird an der Erde kriechen, und nie sich aufschwingen können: denn er schrieb für die Censur zweier Inquisitionen, eine Christliche (oder Jüdische) und eine Römische! – Mein Rath also, daß man nie den Vogen der Römischen Poesie nach so weit von Rom entlegnen Gegenständen spannen wollte, wenn man auch Pindarische Pfeile hätte: man trift nicht!
Es versteht sich, daß die Dichtungsarten nicht alle gleiche Schwierigkeiten haben. Eine Hymne, ein Lehrgedicht, eine Cantate ist eher geistlich und doch Lateinisch zu liefern; als ein Trauerspiel, eine Dichtung, ein Lustspiel, eine Epopee. Buchanans Juden treten als Juden auf; Lateinische, Römische Juden in Galiläa! Frischlins Ismael in Mesopotamien, und daselbst mit Classenlatein! Sannazars Cerberus, Centauren, Hydern, Proteus, im Stalle zu Bethlehem! bei einem Trauerspiele, Lustspiele, Heldengedichte, welche Disharmonie, und doch fast wie unvermeidlich! Hr. Kl. also hätte über alle diese Dichter nicht bloß sein kritisches Urtheil vom Throne hinunter sprechen, das von andern schon so oft gesprochen ist, sondern lieber auf die Ursachen dringen sollen, die diesen Männern Zwang auflegten. Ohne dieses ist seine Kritik eine gute lange Classenlektion,8 und wem ist damit gedient?
Zweitens, auch die Zeiten und Länder muß man unterscheiden, in denen ein Dichter lebte, in denen und für welche er schrieb. Die meisten der gerügten Poeten sind Italiener, aus dem Lande der Alterthümer also, aus oder vor den Zeiten, da der Geschmack des alten Gräciens und Latiums wieder auflebte: Wer wird nun einen Dante, Petrarca, Sannazar, Vida, Ariosto, Tasso, Marino aus allen diesen Zeitverbindungen rücken, und so schlechthin vor das Gericht einer fremden Zeit, eines fremden Landes fodern; daß sie das Heilige mit dem Unheiligen vermischet? Der Geist der alten Griechischen Mythologie, aus seinem Vaterlande vertrieben, floh nach Italien: Italien gab er die Denkmaale seiner Größe in Poesie und Kunst und Weisheit: in Italien erwachte er wieder; erwachend aber fand er ein Land, mit einer fremden, der Christlichen Religion bedeckt. Indessen strebte er in die Höhe, schaffte sich Bewunderer, Anbeter und Nachahmer; Nachahmer, die in den Begriffen einer andern Religion, Denkart, und Sprache erzogen waren: was anders also, als eine Vermischung zweener fremder Ströme, die gegen einander brauseten, und endlich zusammen flossen. Der Christliche Künstler, dem Apollo profan war, fiel doch vor ihm, als vor dem höchsten Denkmaale der Kunst, nieder: die Statuen der Götter waren Geschöpfe des Aberglaubens, aber auch Geschöpfe der schönsten Griechischen Kunst: Horaz und Virgil waren Dichter einer fremden Religion; zugleich aber Dichter der edelsten Natur, der vortreflichsten Sprache: die Mythologie eine Sammlung von Fratzenmärchen; aber auch eine Welt voll sehr Poetischer Ideen. Unter solchen also lebten damals Dichter und Künstler: sie wandelten unter heidnischen Statuen, und heidnischen Dichtern, und heidnischen Sprachen: das Neue, die Morgenröthe des Geschmacks, hatte dreifach stärkere Wirkung auf sie: sie wurden selbst Römische Dichter, und neugriechische Künstler und Christliche Heiden. Der Cardinal der Römischen Kirche war ein heidnischer Bembo, der neue Horaz Vida Bischof von Cremona: das Kind mit Christlichem Wasser