Die größten Klassiker der deutschen Literatur: Sturm und Drang. Johann Gottfried Herder
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Wer kann nun ohne Rücksicht auf Zeit, Land, und Sprache Sannazar und Vida, Dante und Petrarca, Ariosto und Tasso, und wen weiß ich mehr? tadeln9, ohne sie zu erklären, ohne uns auf ihre Jahrhunderte aufmerksam zu machen, da die scholastische Wortgrüblerei, und die Sprache der Mönchsandacht der Geist der Religion war, da das Land von dieser Seite unter Nacht und Dunkel lag, oder da der hellere Geschmack an den Antiken in Poesie, Kunst und Sprache überwand, sich in Alles hineindrängen, und dem Ganzen der schönen Litteratur seine neue Bildung geben mußte. Da also konnte Dante in seiner Göttlichen Komödie Christen Juden und Heiden, Götter, Engel und Teufel durch einander mischen: da konnte Ariost
le Donne, i Cavalier, l' arme, gli amori
le cortesie, l' audaci imprese – – –
che furo al tempo, che passaro i Mori
d' Africa il mare u.s.w.
besingen, und mitten inne auch des Styx und Acherons erwähnen. So unbillig die Brittischen Prose-Critiks dem Spenser seine Feen, und Shakespear seine Hexen vorgerückt: so unbillig alte Italiener und Portugiesen, und Engländer nach dem Zeitbegriffe meiner Religion und Wissenschaft beurtheilen – auf die Weise wird alles ein Chaos.
Klopstock (ich weiß keine höhere Instanz!) Klopstock sang dem Messias seinen ewigen Gesang im Geiste der Religion seiner Zeit, nach den Gesichtspunkten seines Horizonts, nach den Eindrücken seines Herzens; wer einerlei Natur, einerlei Mittel der Bildung, Seiten der Anschauung, Ein Herz und Eine Seele mit ihm hat, wird ihn aus ganzer Seele lesen. Einem Oest, z.E. werden schon viele Vorstellungsarten Talmudisch dünken; einem Christlichen Schüler des Korans werden manche aus Arabien entlehnt vorkommen: einem Foster oder Sterne in England, und auch das sind Christen! werden manche noch weit befremdender erscheinen; und endlich einem orthodoxen Christen des zwölften oder zwanzigsten Jahrhunderts? – dessen Urtheil über den Meßias möchte ich lesen. Wie? wenn nun ein solcher nach seiner Zeit fromm und selig urtheilte? Unbilliger Richter! er sollte sich in unsre Zeit zurücksetzen, aus ihr denken und sprechen: er sollte mehr als des Nikomachus Auge haben, um Helena anzuschauen. So wie der oberste Richter allwissend seyn muß, um gleichsam die eigenthümliche Moralität eines jeden Herzens zu kennen: so sey (man erlaube mir die kleine Blasphemie vom Gleichnisse!) so sey der Richter über Zeiten und Völker, auch des Geschmacks dieser Zeiten und Völker kundig, oder er greift blind in den Loostopf der Jahrhunderte, um nichts als ein mageres kritisches Regelchen herauszulangen.
Und Milton! – Wer Milton mit allen vorigen Mischern der Religionen in einen glühenden Ofen zusammen werfen will,10 hat nicht bedacht, daß bei ihm diese Mythologischen Vorstellungsarten nicht wesentlich zum Baue seines Gedichts, sondern nur zur Auszierung desselben gehören. Er bringt sie nicht (wenigstens nie offenbar!) in die Zeit, aus welcher, sondern in die Zeit, für welche er singet: und so werden sie Gleichnisse, Schmuck, Verzierung seiner Gegenstände; nicht eigentlich Gegenstände selbst. Er singt für seine Zeit; dieser schweben unter andern auch aus heidnischen Schriftstellern Vorstellungen im Gedächtnisse, die seine heilige Vorstellung zehnfach verstärken, und einprägen – einprägen, daß es kaum in seiner heiligen Geschichte solche starke und Nachdrucksvolle Hülfsvorstellungen gäbe – warum also sollte er jene wartende Ideen in der Seele seiner Leser nicht wecken? warum sie nicht aufruffen, um seinen heiligen Gedanken desto tiefer in die Seele zu prägen? Und das thut Milton!
Er thuts an weit mehr Stellen, als mein Lateinischer Autor anführet; doppelt aber ärgerts mich, daß er eben die süßesten im ganzen Milton tadelt, aus einem Buche,11 das die größesten Gegner desselben mit Lobsprüchen haben überhäufen müssen; nämlich »die selige Liebe der Stammväter des Menschengeschlechts in Eden.« Auch Winkelmann, der in Griechische Schönheiten entzückt, die Miltonischen Beschreibungen für schöngemalte Gorgonen erklärte, nimmt diese Scene von seinem zu Griechischen Urtheil aus,12 und in der Sprache Miltons insonderheit selbst herrschet hier eine Süßigkeit, eine Anmuth, die uns in das Paradies selbst versetzet – und siehe! in diesem Paradiese eben zeigt sich eine kalte Hand des Critikus, um uns einige der schönsten Früchte Todbringend zu berühren.
Milton hat sein Eden mit aller Pracht und Schönheit geschildert: Bäume, Flüsse, Quellen, Lustwälder, murmelnde Wasserfälle, das Chor der Vögel, der Hauch der Frühlingslüfte, der Geruch der Wiesen und Wälder – eins nach dem andern fließt wie Balsam in unsre Seele: meine Phantasie ist erfüllet: mein Auge, Ohr, und alle Sinne gesättigt: ich schwimme im Traume der Wollust. Und Milton will mich in diesem Traum erhalten! Da meine Sinne gesättigt sind; so spricht er zu meiner Seele: er rufft alle Ideen schöner Gegenden und Lustörter, die in meiner Einbildungskraft schlafen, auf: und wo giebt es mehr, als aus Griechenland und seinen Dichtern des Vergnügens? Diese sollen mich in meinem Traume fortwiegen, ich soll die Freude der Wiedersehung genießen, und so nachdem auf sanften und unmerklichen Stuffen meine Seele von dem Leblosen sich immer lebender hin, aufgeschwungen, und jetzt in dem Musikalischen Chore der Vögel und der Lüfte, und der zitternden Wälder schwebet: so fängt sie, wie aus einem sanften Schlaf erwacht, an, die holden Bilder voriger Zeiten, die Erinnerungen der Jugend zu sammlen:13
– – while universal Pan
Knit with the Graces and the Hours in dance
Led on th' eternal spring. Not that fair field
Of Enna, where Proserpin gathering flowers
Herself a fairer flowr etc. – – –
– – – – – nor that sweet grove
Of Daphne by Orontes, and th' inspir'd
Castalian spring, might with this Paradise
Of Eden strive; nor that Nyscian ile
Girt with the river Triton etc. – –
So schwebt unsre berauschte Einbildungskraft weiter, und kommt endlich vom Berge Amara aus Aethiopien zurück, um im Paradiese unendlich mehr, als in allen diesen Zaubergegenden zu finden. Ist dies eine Entheiligung des Gedichts? so ists eine Entheiligung des Höchsten unter den Propheten, des Poetischen Jesaias, Jehovah einen Gott der Götter zu nennen, und ihn Gesänge lang mit diesen heidnischen Klötzen zu vergleichen! aber wie erhaben!
Milton hat uns das erste Paar bis zum Entzücken geschildert, den Bau ihrer Glieder, und ihre vergnügte Mahlzeit, und ihre Liebkosungen, und die holde Umarmung der Eva und – das Lieblächeln Adams.14
– – as Jupiter
On Juno smiles, when he impregns the clouds
That shed May flow'rs – –
Welch ein Bild! Ists Erniedrigung für Adam, in ihm den küssenden Jupiter zu sehen? Adam führt Eva zur Brautlaube, und da unsre Seele durch den sichtbaren Anblick derselben mit Freude und Ehrfurcht gleichsam erfüllet worden; da das Auge nicht mehr sprechen kann: siehe! so spricht die Phantasie,