Die größten Klassiker der deutschen Literatur: Sturm und Drang. Johann Gottfried Herder
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Von einem Herkules gehts zum andern, vom Spanischen Homer zum Brittischen: von Lopez zum Milton.10 »So wie in großen Vorzügen, so ist auch hierin Milton dem Homer gleich: ich sehe ihn scherzen und spotten, wo er ernsthaft und nachdrücklich sein sollte.« Nun werden Stellen angeführt, die längst in England selbst bessere Tadler und zugleich ihre Vertheidiger gefunden, der Streit Gabriels mit dem Satan, der bittre Spott im Munde Satans, der Limbus der Eitelkeit u.s.w. Hr. Kl. schlage Addison, oder die erste beste Englische Ausgabe Miltons mit Anmerkungen, oder auch nur unsere ältere gute Schweizerübersetzung auf: – er wird finden, daß seine Vorwürfe wiederholt, mit Gründen vorgetragen, und mit Gründen widerlegt – veraltet sind.
Mit Gründen veraltet: und er hat geglaubt, Gründe nicht anführen zu dörfen. Der Satz selbst: »in einem Epischen Gedichte will man ernsthaft seyn, folglich soll man nicht lachen, folglich soll sich auch keine Spur des Lächerlichen einstehlen,« dünkte ihm Grund gnug: er wiederholt ihn also als ein Axiom, das wohl gar ein Hauptgesetz der Epopee werden könnte. Ein solches furchtbares Hauptgesetz über die höchste Dichtungsart des Menschlichen Geistes verdient doch, ehe es so unbestimmt eingeführt würde, eine Berathschlagung.
Deutlich unterschieden hat das Problem verschiedne Seiten. Fodert es die Proprietät des Epischen Gedichts, und die Congruenz aller Theile desselben, daß kein Zug des Lächerlichen erscheine? Oder fodert es meine Empfindung, jede Bewegung meiner Seele, die sich zum Lachen neiget, zu unterdrücken, um nicht die Epische Wirkung in mir zu schwächen? Fodert es die Würde Epischer Personen, daß sie nicht lachen, oder daß ich nicht über sie lache? – Mir scheint die letzte Frage die faßlichste: Lasset uns also die Sache am leichtesten Ende angreifen.
Fodert es die Würde Epischer Personen, daß ich nicht über sie lache? durchweg lache, so lache, daß dies der Ton meiner Empfindung bleibe – wer kann noch fragen? Aus der Epopee wird alsdenn eine Burleske, ein komisches Gedicht: oder wenn der Dichter es eigentlich nicht einmal zum Zwecke hatte, Lachen zu erregen, und erregt es doch: schafft er Ekel, Verachtung, Mißvergnügen. Würdig sey der Epische Held; nicht aber seinem Hauptcharakter nach lächerlich.
Davon also war die Rede nicht; aber kann der Held nicht hie und da eine Blöße verrathen, die lächerlich sey? Ich bitte hier den Unterschied zwischen lä cherlich und belachenswerth zu beobachten. So bald der Held auch nur in einer Handlung eine Seite giebt, die nicht anders, als belachenswerth, seyn kann; aber belachenswerth nach Grundsätzen, und mit Rechte: freilich so hat sich der Dichter mit diesem Zuge selbst geschadet; denn nichts hebt die Würde seiner Person so sehr auf, als dieser Anstrich. Den Belachenswerthen verachten wir zugleich: er dünkt uns niedrig: und wie viel verliert ein Episches Subjekt, eine Epische Handlung, die dies wäre?
Hieher der Vorfall Ulysses mit Irus11 – wäre er wirklich niederträchtig und unwürdig von Seiten Ulysses, verminderte er die Hochachtung, die wir für den alten, weit gereiseten, abgehärteten Mann haben, müßten wir in der Folge verwünschen, ihn in dieser Situation gekannt zu haben; allerdings unterschreibe ich alsdenn: Iri cum Ulysse concertatio epici carminis gravitatem minime decet. Wer aber, der Homer auch nur aus der Uebersetzung kennet, wird dies finden? Der arme Ulysses, so weit herunter gekommen, daß er vor seiner eignen Thüre in Ithaka endlich, als ein elender zerlumpter Bettler, anlanget: und, siehe da! stößt ihm ein andrer Bettler in den Weg; ein Bettler von einer ganz andern Art, der fräßige, nichtswürdige Irus. Dieser Lüderliche will jenen ehrwürdigen Greis von der Thüre wegdrängen, wegstoßen, wegschrecken; und Ulysses, jetzt nichts, als ein Bettler, antwortet ihm so ruhig, so unneidisch, aber auch mit solcher gesetzten Fassung, daß der andre, wie es auch bei gelehrten Bettlern gewöhnlich ist, nur zu Schimpf- und Scheltworten seine Zuflucht nimmt. Der anwesende Antinous hört den Bettlergoliath, freut sich nach seinem Charakter darüber, erzälts den Freiern der Penelope, und hat den lustigen Einfall: der Junge und Alte sollten kämpfen – freilich ein Einfall, den nur die Seele eines Antinous für schön halten, und nur Schwelger, wie seine Mitgenossen, billigen konnten. Der unerkannte Greis redet wider die Unbilligkeit des Vorschlages, den man ihm, einem alten Manne, thue; aber, da hier die Sache seiner Ehre, als Bettler betrachtet, und als ein Hungriger die Sache seines Magens im Spiele ist: so fasset er Entschluß. Er gürtet sich, und selbst die üppigen Zuschauer bewundern den Bau seines Heldenkörpers. Er erwäget, ob Ein Schlag seinem zitternden, schwachen, und aus Fräßigkeit entnervten Gegner den Tod geben solle; und seine Großmuth spricht das mildere Urtheil. Er schont des Elenden: ein Backenstreich ist zu seinem Siege, zu der Entwafnung seines unwürdigen Feindes gnug: da liegt der jämmerliche Mensch blutend und ohnmächtig. Ulysses richtet ihn an die Wand auf, und giebt ihm seinen Bettlerstab in die Hand, um Hunde weg zu wehren, nicht um über Bettler den Herrn spielen zu wollen.
Was ist nun in der Geschichte Unwürdiges, Unanständiges für den Ulysses? Daß er zum Bettler herunter gekommen? So muß man den ganzen Lauf der Odyssee, das Subjekt des ganzen Gedichts ändern. So muß die Muse Homers gar nicht den besingen, den sie besingen wollte:
ανδρα πολυτροπον – – ος μαλα πολλα
πλαγχϑη – – –
Πολλων δ᾽ ανϑρωπων ιδεν ασεα, και νοον εγνω
Πολλα δ᾽ ο γ᾽ εν ποντῳ παϑεν αλγεα ον κατα ϑυμον
Αρνυμενος ην τε ψυχην – – –
So schreibe man eine bessere; anständigere, artigere Odyssee, die ihren Helden im Wohlstande lasse, ihn in dem Arme einer Göttin nach Ithaka trage, auf ein weiches Polster setze, und was man mehr für Decenz hinein zu bringen wisse. Ich mag sie nicht lesen, kein Grieche wird sie lesen wollen.
Oder ists unanständig, daß Ulysses sich dem unverschämten Bettler nicht gleich, als Herr des Hauses, als Ulysses, als König entdecket – wahrlich! eine würdige, sehr gelegene, sehr glaubwürdige, sehr Epische Entdeckung!
Oder, daß Ulysses den Freiern bei seiner Penelope sich nach ihrem Zumuthen mit einmal verrathe? Wieder ein würdiger Verrath, der nichts mehr, als den ganzen Lauf der Odyssee, stört.
Oder, daß er keinem Bettler begegne? So wird aber in der sich nähernden Entdeckung eine Lücke; und ein Hauptaugenmerk Homers verschwindet, daß der ανηρ πολυτροπος sich auch in dieser tiefsten Situation, als ein Ulysses πολυτροπος zeigen sollte.
In dem sich zubereitenden Ausgange geschieht ein Sprung – und ich mag diesen Sprung nicht. Ich will gerne den Ulysses, als einen Bettler, sehen, wenn er auch nur in diesen Kleidern meine Achtung, als Ulysses, sich zu erwerben weiß; und wie sehr weiß er dieses? So, wie bei seiner Gürtung und Entblößung, seine Heldenhüfte, seine erhabne Brust, seine starken Arme, sein vester Rücken den Helden auch im Bettlersrocke verrathen:12 so soll dieser Sieg vor der Schwelle, und vor den Augen seiner schwelgerischen Feinde das Vorzeichen seyn von größern Thaten im Hause, von unerwartetern Entwickelungen. Nichts ist, was den großmüthigen und tapfern Ulysses auch hier erniedrigt; vielmehr würde mit Auslassung dieses Auftrittes, die Steigerung seiner Enthüllung, und der sanfte allmäliche Fortfluß der ganzen Odyssee gehemmet.
Wo ist nun das