Die größten Klassiker der deutschen Literatur: Sturm und Drang. Johann Gottfried Herder

Чтение книги онлайн.

Читать онлайн книгу Die größten Klassiker der deutschen Literatur: Sturm und Drang - Johann Gottfried Herder страница 251

Die größten Klassiker der deutschen Literatur: Sturm und Drang - Johann Gottfried Herder

Скачать книгу

Fehlern, die Hr. Klotz ihm zeigen will, noch immer groß bleibe,14 daß – und dies alles in so erregendem Tone, mit so viel, ob gleich längst bekannten, Beispielen und Allgemeinsätzen, daß man keinen andern, als jenen cyklischen Dichter15 liest, und jedes Blatt mit der bewundernden Frage umschlägt: was will aus dem Männlein werden? Was hat dieser große Mann dem fehlerhaften Homer Unerhörtes zu zeigen, das so viel Vorbereitung und Aufmerksamkeit verdiente?

      Vielleicht ist mein Leser so ungeduldig, als ich, und auf mich unwillig, daß ich den neuen Homeromastix noch nicht selbst reden lasse; allein, wenn Hr. Kl. zween Bogen lang vorbereitet, wie würde es denn dem Tone meines Werks entsprechen, nicht auch vorzubereiten? Ich muß also Schritt halten: sonst kommen wir alle drei, Hr. Klotz, der Leser und ich aus dem Takte.

      Wie nun? Ists wohl so leicht, Homer zu tadeln? ich meine so leicht für uns, in unsrer Zeit, Denkart und Sprache? Es sollte scheinen. Denn sind wir nicht in Gelehrsamkeit und Wissenschaft, und Stuffe der Cultur ungleich höher, als das Zeitalter Homers? Ist die Welt nicht drei tausend Jahr älter, und also auch vielleicht drei tausendmal erfahrner und klüger geworden? Kniet also nicht der Altvater Homer vor dem Geschmacke und Urtheile unsers Zeitalters, wie vor dem Tribunal des jüngsten Gerichts? Und wie denn nicht vor einem Vorsitzer und geheimen Rathe desselben? Ich sollte fast glauben! oder beinahe nicht glauben: denn unser Jahrhundert mag in allem, was Gelehrsamkeit heißt, so hoch gekommen seyn, als es will und ist; so ists doch in allem, was zur poetischen Beurtheilung Homers gehört, nicht höher; ja ich behaupte, daß es hierinn dem Jahrhunderte geborner Griechen, die Homers Zeitgenossen, oder wenigstens Landsleute und Brüder einer Sprache mit ihm waren, weit hinten nach sey. Wir sind nicht nur nicht höher hinauf, wir sind gewisser maßen aus der Welt hinaus gerückt, in der Homer dichtete, schilderte und sang.

      Homers Sprache ist nicht die unsre. Er sang; da dieselbe noch blos in dem Munde der artikulirt sprechenden Menschen, wie er sie nennet, lebte, noch keine Bücher-, noch keine Grammatische, und am wenigsten eine wissenschaftliche Sprache war. Er bequemte sich also den Artikulationen der Zunge seiner Menschen, den Beugungen, und dem Wortgebrauche der lebenden Welt, in aller Unschuld und Einfalt seines Zeitalters. Wer kann ihn nun hören, als ob er spräche? Tausend Wörter haben ihren Sinn allmälich umwandeln, oder sich in ihrem Gebrauche seitwärts biegen und verfeinern müssen. Müssen, ohne daß es jemand wollte, und bemerkte; denn der Geist der Zeit veränderte sich. Man behielt immer das Wort, man glaubte auch immer, denselben Begriff zu haben; denn in der gemeinen Sprache des Umganges wechselt man klare, und nicht deutliche Ideen: und doch so, wie sich Lebensart, und der Geist des Jahrhunderts änderte, so hatte sich auch der inwohnende Geist vieler Wörter verändert. Sehr spät endlich ward die Sprache wissenschaftlich. Der Wörtersammler, der die Begriffe aus einander setzen, deutlich machen sollte, fand einige vielleicht schon gar nicht in seiner lebenden Sprache; er mußte rathen, und die Muse gebe, daß er unter hunderten nur einmal übel gerathen hätte. Bei einem andern definirte er nach dem Begriffe seiner Zeit: wie aber, wenn dieser blos ein jüngerer, ein abstammender Begriff gewesen wäre? Bei einem dritten nahm er vielleicht gar nur eine verfeinernde Bedeutung des Philosophen, eine Nebenbestimmung dieser und jener Schule, Provinz, Sekte, Menschengattung, und trug sie ein. Nun komme nach drei tausend Jahren ein Mensch aus einer fremden Sprache, aus einer ganz andern Welt, urtheile und richte, und mäckle Wörter, sicherer würde er die Bücher der cumäischen Sybille in Ordnung bringen!

      Wer mir nicht glaubt, lese hierüber die Vorrede des arbeitsamen Johnsons zu seinem Englischen Wörterbuche, und er wird vor einer Kritik zittern, die ihn drei tausend Jahre zurück, in einen so frühen Zeitpunkt der Griechischen Sprache, als in welchem der Dichter ihrer Jugend Homer sang, werfen will. Wenn schon zur Zeit Aristoteles gebohrne Griechen über einzelne Wörter Homers zweifelhaft waren: werden wir alsdenn nicht weit öfter, wenn es insonderheit auf Würde der Wörter ankommt, in der Sprache des ehrlichen Sancho Pansa sagen müssen: Gott weiß, wie Homer hätte dichten sollen. Ich rede nicht von dem Sinne desselben, sondern von dem Gefühle seiner Epischen Würde in der Sprache: und zum Behufe des letztern, reichen die vielen Hülfsmittel unter den Griechen selbst da zu, Homer beurtheilen zu wollen?

      Ich gebe ein Beispiel, das ich brauchen werde. Das Wort γελοιον hieß in den Zeiten der alten griechischen Einfalt, überhaupt, was Freude, was Lachen erwecket, ohne daß dies Lachen der Freude noch ein Gelächter des Spottes sein dorfte. Das γελοιον in einem Menschen war der Charakter eines süßen innigen Gefallens: das γελοιον in einer Sache, in einer Rede, in einem Auftritte war Annehmlichkeit. Je mehr die Zeiten von dieser unschuldigen Einfalt abwichen; desto mehr wurde der Begriff des »Lächerlichen« daraus. Das γελοιον in einem Menschlichen Charakter ward das »Piquante« des Witzlinges, und endlich ganz die Narrenkappe eines Gecken: das γελοιον in einem Austritte ward das »Lächerliche,« und endlich das »Belachenswürdige.« Welche Umwandlung von Ideen! Wer nun in einem alten Dichter der Einfalt das γελοιον allemal für eine Possenreißerei nehmen will, weil etwa in der lateinischen Ubersetzung »ridiculum« steht, und darnach einen Menschencharakter in Homer längelang beurtheilen, und tadeln, und verdammen wollte, der könnte freilich sein Wörterbuch, und seine Uebersetzung, und die Meinung einiger alten Grammatiker auf seiner Seite haben, nicht aber darum auch den ursprünglichen Homer. Ueber den muß man nicht aus Uebersetzung und Wörterbuche, sondern aus dem lebendigen Gebrauche seiner Zeit urtheilen, oder das sicherste Wort wählen: ουκ οιδα!

      Zweitens. Wenn die todte, die körperliche Natur, die Homer malet, sich seit ihm schon sehr verändert hat, wie viel mehr die Natur der Menschen, die Manier der Charaktere, die Nüancen, in denen sich Leidenschaften äußern! Eine Griechische Seele war gewiß von andrer Gestalt und Bauart, als eine Seele, die unsre Zeit bildet. Wie verschieden die Eindrücke der Erziehung, die Triebfedern des Staats, die Begriffe der Religion, die Einrichtung des Lebens, der Anstrich des Umganges! Wie verschieden also das Urtheil über die Würde der Menschheit, über die Beschaffenheit des Patrioten, über die Natur der Götter, über die Erlaubnisse des Vergnügens, über Anstand und Zucht – wie verschieden damals und jetzt! So weit Athen von Berlin, so weit müssen sich die Jugendeindrücke Homers hierüber von dem Urtheile eines seiner heutigen Kunstrichter entfernen. Wer die Geschichte des menschlichen Geistes in allen Zwischenzeiten zwischen Homer und uns kennet, wer den Umwandlungen und Vermischungen der Begriffe von menschlicher Natur, Religion, Gelehrsamkeit, bürgerlichem Interesse, Sittsamkeit und Wohlstande in allen diesen Zeiten nachgespüret, wer Augen hat, um den Ort zu sehen, auf welchen ihn die zusammen gesetzten Kräfte so vieler Zwischenjahrhunderte geworfen haben, der wird in allem, was Charakter einer Menschenseele ist, ungemein rückhaltend seyn. Er wird Homer, den Schöpfer menschlicher Charaktere, studiren; er wird in den Zeiten desselben nach der damaligen Gestalt dieser so wichtigen Begriffe forschen: aber, wie ein Areopagit im Finstern urtheilen? Kaum!

      Homer mußte sich nach den Sitten der Zeit vor ihm bequemen: denn aus dieser schilderte er seine Helden, und was er also in derselben für Begriffe von Heldengröße, Heldenklugheit und Wohlstand fand, ward die Basis seines Gedichts. Wenn diese Heldengröße ohne Leibesstärke, ohne Schnelligkeit, ohne Wildigkeit der Leidenschaft, ohne eine edle Einfalt in klugen Anschlägen, ohne eine kühne Rauhigkeit nicht bestehen konnte: so wurden auch alle diese Charaktere seinem Gedichte eigen.

      Auf solcher Grundlage stand sein Gebäude: Ein Gedicht für seine Zeit. Die Vorstellungen der verflossenen Jahrhunderte sollten in der Sprache seines Zeitalters, nach dem Gefühle eines Sängers, der in diesem Zeitalter gebildet war, nach dem Augenmerke einer Welt von Zuhörern, die nach ihrer Zeit dachten, vorgestellet werden: so sang Homer,

Скачать книгу