Musen und mit der Philosophia in keinem Umgange, in keiner Bekanntschaft stehen, die die Wissenschaften blos als Handwerk gelernt, die da schreien u.s.w. – «Wehe mir! dieser scheltende sehr ernsthafte Ton geht eilf Seiten durch, und wie sollte ichs nun wagen, einen Thersites Homers zu retten, der ohne Grund und Ursache verurtheilt ist. Wehe mir! so gehöre auch Ich alsdenn unter die Leute, die mit den alten Jungfern, den Musen, und mit der ehrbaren Dame Philosophia in keinem Umgange stehen, denn ich hätte geglaubt, Thersit wäre zu viel geschehen. Ich lege also voll ernsthafter Ehrerbietung die Hand auf den Mund, und reiche blos mit geziemender Achtung dem h.t. größten Kenner Homers in Deutschland diesen alten Dichter zum nochmaligen Durchlesen dar: denn aus diesen und andern Urtheilen, die er über Homer hie und dort gefället, haben viele Leser mit Recht gemuthmaßet, er kenne denselben vielleicht nur noch aus dem ersten flüchtigen Durchlaufe, den er, wie er uns selbst mit der liebenswürdigsten Offenherzigkeit erzählt,25 einmal mit seinem Stubenburschen in 24 Tagen durch den ganzen Homer hin angestellet, um nur ohngefähr etwas von der Form des ganzen Werks zu wissen, und sich eine Copiam vocabulorum anzuschaffen. Nun kann dies freilich noch nicht heißen Homer in Homers Sinne lesen, und es scheint aus diesem flüchtigen Durchzuge ihm manches aus Homer entwischet zu seyn, manches aber sich in ihm angeklebet zu haben, was nur Er so bemerket. Künftig kann ich davon mehr Proben geben; jetzt wiederhole ichs von Thersites. Wie ich ihn kenne, ist er nicht da, um lächerlich zu seyn, um uns die Schleppe zu zerreißen, um uns zum ungeziemenden unartigen Lachen zu bringen. Noch ist er da, um blos häßlich zu seyn, damit doch nicht lauter schöne Leute vor Troja seyn mögen. Noch ist er am unrechten Orte da, daß man ihm das Genick umdrehen dörfte. Er gehört mit zur Handlung des Gedichts, und ist der Mund des Griechischen Pöbels, der sich jetzt erklären soll oder gar nicht. Er ist nicht lächerlich, sondern häßlich, und um nur dies Häßliche einiger maßen zu lindern, so läßt es Homer auf Einen verkleinernden Zug hinauslaufen: statt ihn als Kronverbrecher zu tödten, ihn nur gelinder strafen; statt ihn ganz zum Abscheue zu machen, versöhnt er ihn durch einen Nebenzug zuletzt mit dem Herrn. Ihm einen andern Charakter zu geben, heißt aus der Lateinischen Uebersetzung urtheilen, und in Homerischen Briefen dieses an Tag zu legen, ist26 – Doch ich kehre lieber zu meinem lieben Leßing, bei dem ich überall unterhaltende Gründe finde –
25Hortabatur vero idem (Baumeisterus) me inprimis ad studium graecarum litterarum, quarum in me erat levis cognitio. Hinc una cum Neomanno, aequali et familiari meo, divina Homeri carmina non tam legi, quam deuoraui, ut intra viginti circiter quatuor dierum spatium omnia perlegeremus. Fuit enim tum nobis illud tantum modo propositum, ut formam aliquam magni operis et speciem animo informaremus atque verborum nobis compararemus copiam. In praef. Eleg. p. 8.
26 Die lateinische Uebersetzung freilich spricht von verbis scurrilibus, von dem non prout decebat, von dem quodcunque videtur ridiculum Argiuis; und aus ihr kann man also sicher den Thersites, so in lateinische Phrases übersetzen: hic homo scurram agere, risum reliquorum Graecorum captare solebat, dedecet carminis grauitatem etc. Alles nach der lateinischen Uebersetzung gut und richtig; wer wird aber Homer in einer lateinischen Uebersetzung lesen?
Und zwar jetzt zu ihm als Psychologen. »Der Dichter nutzt die Häßlichkeit, um die vermischten Empfindungen des Lächerlichen und Schrecklichen hervorzubringen.«1
Zuerst bemerke ich: daß so verschieden an sich diese zwo Gattungen