Die größten Klassiker der deutschen Literatur: Sturm und Drang. Johann Gottfried Herder
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Geschmack und Geruch sind in unsrer Natur durch ein geheimes Band der Organisation vereinigt: die Stärke des Einen pflegt nicht ohne die Stärke des andern zu seyn, und der Verlust des Einen den Verlust des andern nach sich zu ziehen. Zunächst also kommt der Ekel dem Geruche zu, durch eine widrige Bewegung der Geruchsfibern; darf ich aber sagen, daß er ihm blos zukomme, durch das Band der ähnlichen Organisation mit dem Geschmacke? Ich glaube fast: auch ein ekelhafter Geruch erregt Erbrechen, d.i. widrige Berührung der Geschmacksorgane. Er äußert sich also durch den Geschmack: er kommt dem Geruche zu, blos als einem mit dem Geschmacke verbundnen Sinne: jeder andere unangenehme z.E. zu starke, zu betäubende Geruch heißt nicht ekelhaft.
Dem Gefühle kommt Ekel schon sehr uneigentlich zu. »Eine zu große Weichheit der Körper, die den berührenden Fibern nicht gnug widerstehen,«10 z.E. ein Antasten des Sammets, feiner Haare, etc. kann im eigentlichen Verstande eben so wenig ekelhaft heißen, als das sogenannte Kitzeln: es ist Widrigkeit, ein heterogenes Gefühl, eine heterogene Berührung, als ich mag: und zwar Widrigkeit durch das zu Sanfte. Nun giebts eine andere Widrigkeit, das Gefühl einer heterogenen Nervenspannung, durch das zu Heftige, zu Gewaltsame. So kreischt uns ein Griffel ins Ohr, der einen Stein hin unter krallet: wir fühlen unser ganzes Nervengebäude widrig erschüttert: wir wollen aus der Haut fahren; aber erbrechen wollen wir uns nicht. Widrig ist der Gegenstand für unser fühlendes Ohr; nicht aber ekelhaft.
Dem Gehöre, als solchem, kommt Ekel noch minder zu: denn »eine unmittelbare Folge von vollkommenen Consonanzen«11 kann Ueberdruß; aber eigentlich nur dem Ekel erwecken, bei dem Geschmack der Hauptsinn wäre, und die Süßigkeit der Töne nur empfände, so fern sie mit der Süßigkeit, in Ansehung des Geschmacks, Aehnlichkeit hätte. Ein solcher allein würde in der übermäßigen Consonanz auch eine Aehnlichkeit mit übermäßiger Süßigkeit, folglich an Tönen, Ekel empfinden; kein andrer! Ich sage mit Fleiße, empfinden, dunkel empfinden; denn von dem klaren Hinzudenken ist hier nicht die Rede.
Endlich: ekelhafte Gegenstände fürs Auge. Hr. L. glaubt,12 »daß ein Feuermaal in dem Gesichte, eine Hasenscharte, eine gepletschte Nase mit vorragenden Löchern, ein gänzlicher Mangel der Augenbraunen, sich wohl so nennen ließen: daß wir etwas dabei empfinden, was dem Ekel nahe komme, daß, je zärtlicher das Temperament ist, wir desto mehr von den Bewegungen im Körper fühlen werden, die vor dem Erbrechen vorhergehen.« Ich mag bei so unsichern Sachen des dunkelsten Gefühls über Namen nicht streiten: indessen dünkt mich, daß das zärtlichste Temperament, und dazu im zartesten Zustande der Empfindung, z.E. eine schwangere Frau, solche Gegenstände eher widrig, als ekelhaft nennen, eher davor zurück schaudern, und in Ohnmacht fallen, als sich drüber erbrechen werde: daß die unangenehme Empfindung immer also eher Widrigkeit des Gefühls, Abscheu des Anblicks, als Ekel, zu nennen sey. Es sey indessen darum, daß ein solcher Anblick Bewegungen erregen kann, die vor dem Erbrechen voraus gehen: giebt Hr. L. eben damit das Erbrechen nicht für die sicherste Wirkung des Ekels an? Und da das Erbrechen eigentlich nur dem Sinne des Geschmacks zukommt: so muß, wenn das Auge Ekel empfände, es blos durch eine Association von Geschmacksideen solchen empfinden, und über die Zärtlichkeit des Temperaments mag ich nicht streiten.
Gnug für mich: daß Ekel eigentlich nur dem Geschmacke, und dem Geruche, als einem mit dem Geschmacke verbundnen Sinne, zukomme. Das grobe Gefühl der übrigen Sinne empfindet Widrigkeit, und nicht Ekel; es sey denn, daß in diesem und jenem Subjekte das Gefühl eines Sinnes in der körperlichen Organisation, oder in dem zur Natur gewordnen Laufe der Begriffe mit dem Geschmacke, und dem Geruche, gleichsam in näherm Bande stehen. Es giebt nämlich Menschen, bei denen der Geschmack, mithin auch der Geruch, unter den groben Sinnen gleichsam die herrschendsten sind, und den sinnlichen Empfindungen insgesamt also Ton zu geben vermögen: bei solchen kann sich ein widerlicher Anblick, ein widriger Schall, ein widriges Gefühl mehr dem Ekel nähern: d.i. Bewegungen erregen, die vor dem Erbrechen voraus zu gehen pflegen. Allein, diese Besonderheit in der Stimmung des Nervengebäudes hindert nicht, daß auch in ihnen unmittelbare Widrigkeit des Gefühls, Gesichts, Gehörs, von der mittelbaren Widrigkeit in diesen Sinnen durch Hülfe eines fremden Sinnes, des Geschmacks, unterschieden seyn sollte. Das Ekelhafte kann sich mehr oder weniger, nach dem die Organisation gestimmt ist, in jede unangenehme sinnliche Empfindung einmischen; nicht aber jede unangenehme sinnliche Empfindung, jede Widrigkeit in einem Sinne ist deßhalb Ekel.
Kommt also der Ekel vorzüglich dem Geschmacke, und andern Sinnen nur so fern zu, als sie mit ihm verbunden sind, oder sich an seine Stelle setzen können: so –
Gilt erstlich auf die Frage: Warum ist in den schönen Künsten und Wissenschaften der Ekel nicht schön? die Ursache13 so allgemein nicht; weil der Ekel blos den dunkeln Sinnen zukommt: denn dem dunkelsten Sinne unter allen, dem Gefühle, kommt er nicht zu.
Noch minder ist der Widerwille, den Häßlichkeit wirket, so gänzlich von der Natur des Ekels, als Hr. L. meinet;14 denn Häßlichkeit äußert sich blos dem Auge; Ekel eigentlich nur dem Geschmacke.
Am mindesten also kann sich zur Nachahmung das Ekelhafte vollkommen so, wie das Häßliche, verhalten.15 Lasset uns jede der dreierlei Nachahmungen des Lächerlichen, Häßlichen, Ekelhaften durchfragen.
1 Laok. p. 232. 233.
3 Die meisten Homerischen Götter sind schrecklich; aber deßwegen auch häßlich?
4 Laok. p. 238.
5 Laok. p. 237
6 p. 236.
7 Laok. p. 247.
8 Litt. Br. Th. 5. S. 107.
9 Litt. Br. eb. das.
10 Litt. Br. eb. das.
11 Litt. Br.
12 Laok. p. 247. 48.
13 Litt. Br. Th. 5. eb. das.
14 Laok. p. 247.
15 Laok. p. 258.
XXIII.
Das Häßliche kann in der Dichtkunst gebraucht werden, um das Lächerliche zu erwecken, und,