Die größten Klassiker der deutschen Literatur: Sturm und Drang. Johann Gottfried Herder

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Die größten Klassiker der deutschen Literatur: Sturm und Drang - Johann Gottfried Herder

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Neigungen der menschlichen Natur gepfropft sind. Diese Eigenschaft ist dem schönen Geschlecht vorzüglich eigen, und ihm sehr anständig. Es ist auch eine plumpe und verächtliche Ungezogenheit, durch die Art pöbelhafter Scherze, welche man Zoten nennet, die zärtliche Sittsamkeit desselben in Verlegenheit oder Unwillen zu setzen. Weil indessen, man mag nun um das Geheimniß so weit herumgehen, als man immer will, die Geschlechterneigung doch allen übrigen Reizen endlich zum Grunde liegt, und ein Frauenzimmer, immer als ein Frauenzimmer der angenehme Gegenstand einer wohlgesitteten Unterhaltung ist, so möchte daraus vielleicht zu erklären seyn, warum sonst artige Mannspersonen sich bisweilen die Freiheit nehmen, durch den kleinen Muthwillen ihrer Scherze einige seine Anspielungen durchscheinen zu lassen, welche machen, daß man sie lose oder schalkhaft nennet, und wo, indem sie weder durch ausspähende Blicke beleidigen, noch die Achtung zu verletzen gedenken, sie glauben, berechtigt zu seyn, die Person, die es mit unwilliger und spröder Mine aufnimmt, eine Ehrbarkeitspedantinn zu nennen. Ich führe dieses nur an, weil es gemeiniglich als ein etwas kühner Zug vom schönen Umgange angesehen wird, auch in der That von jeher viel Witz ist darauf verschwendet worden; was aber das Urtheil nach moralischer Strenge anlangt, so gehöret das nicht hieher, da ich in der Empfindung des Schönen nur die Erscheinungen zu beobachten und zu erläutern habe.«

      Ich finde die Beobachtungen meines Philosophen so genau und unterscheidend, daß ich sie auf der Bahn meines Zweckes als ein würdiges Vorbild, nachzuahmen und zu erreichen wünsche. – Es giebt sich also die Frage; wie fern und worinn die Schaamhaftigkeit eines Schriftstellers sich äußern solle?

      Wie gutherzig ist nun die Bewunderung unsres Schriftstellers, der hinter allen Proben, die Quintilian von den verderbten Witze seiner Zeit, Lüderlichkeiten zu finden, selbst nicht ohne Widerwillen giebt, ausruft: »Tantum in Romanisverecundiae studium! tam diligenter castistis auribus pepercerunt!« – Scilicet! Als wenn deßwegen die Französische Nation und Sprache die züchtigste Matrone wäre, weil sie einen Ueberfluß solcher Anständigkeiten hat, daß, wenn nicht jeder Ausdruck sehr sorgfältig, und nach der neuesten Modebedeutung gewählt würde, der ehrbarste, ernsthafteste Mensch jeden Augenblick in die Verlegenheit kommt, eine Gesellschaft Zweideutigkeitenkrämer lachen zu machen! Als wenn sich diese Sprache an Zucht und Ehrbarkeit so hoch heraufgeschwungen, als jetzt ein junger Witzling nach der Mode keinen ihrer alten Schriftsteller mehr, ohne Lächeln und Verlachen, ohne hundert anstößige und niedrige Ausdrücke zu finden, lesen kann! O die züchtige Nation! die züchtige Sprache! Tantum fuit in Gallis verecundiae studium! tam diligenter castis auribus pepercerunt! wird einst ein künftiger Klotz des neunzehnten Jahrhunderts sagen können.

      Ich will den Unterschied ins Licht setzen. Zur Zeit einer einfältigen Unschuld hat jede Sache, die genannt werden soll, einen Namen, und das ist ihr Name. Darf die Sache nicht genannt werden: gut! so wird von selbst der Name auch nicht genannt werden; muß jene, warum nicht auch dieser? Michaelis, dieser Philolog von sehr richtigem Gefühle, hat Stellen aus Morgenländern angeführt, aus denen ihre Freiheit in Liebesausdrücken erhellet; er hat aber nicht den Urteilsspruch über sie gefället, daß sie deßwegen Leute ohne Ehrbarkeit und Schaam wären: denn bei ihnen waren einmal solche Redarten, Gleichnisse, Worte, insonderheit in der Sprache des Affekts, des Zorns, der Eifersucht nichts Schändliches. Schlimm gnug! wird man sagen; meinetwegen! schlimm gnug! aber wenn eine solche freie Offenheit keinen weitem Nutzen hätte, so wäre es der, daß neben ihr keine seine Zweideutigkeiten in der Sprache statt fänden. Wie sollte ein Volk schmeichelnde Feinde, verlarvte Freunde, listige Diebe brauchen, das sich aus einem Raube, aus Gewaltthätigkeit nichts machet? und wie sollte eine Sprache ein geheimes feines κακοφατον sorgfältig zu verhüten haben, da es kein offenbares κακοφατον hat, da es in den Schranken seiner Naturbedürfnisse jedes nennet, was es nennen muß; und nichts weiter nennen will? Wer wird mehr verstehen wollen, als was der andre sagt; er hätte ja, wenn dieser mehr hätte sagen wollen, es gerade aus gesagt!

      Wenn Homer für unsre Zeiten gesungen; freilich! so hätte er sich aus dem anständigen: non probo! eines ehrbaren Kunstrichters, was machen, oder nicht machen sollen; was geht es mich an? Aber jetzt, zu seiner Zeit auf eine so simple unschuldige Art, als ers erzählet: nein! da finde ich keine Spur vom Anstößigen, Unehrbaren, Schaamlosen: nichts, was die Ehrbarkeit seiner Zuhörer verletzt, und die Wangen seiner Epischen Muse mit Schaamröthe färben darf: nichts, als einen sehr charakterisirenden

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