Die größten Klassiker der deutschen Literatur: Sturm und Drang. Johann Gottfried Herder

Чтение книги онлайн.

Читать онлайн книгу Die größten Klassiker der deutschen Literatur: Sturm und Drang - Johann Gottfried Herder страница 6

Die größten Klassiker der deutschen Literatur: Sturm und Drang - Johann Gottfried Herder

Скачать книгу

Geschicklichkeit? Diese Frage möchte man an alle Gelehrte thun, welche die Werke der Alten nicht klüger, als jener die Linsen, zu brauchen wißen. Wenn wir mehr hätten, als uns die Zeit hat schenken wollen; so würden wir selbst genöthiget werden unsere Ladungen über Bord zu werfen, unsere Bibliothecken in Brand zu stecken, oder es wie die Holländer mit dem Gewürz zu machen.

      Mich wundert daß noch keiner soviel über die Historie gewagt, als Bacon für die Physik gethan. Bollingbroke giebt seinem Schüler den Rath, die ältere Geschichte überhaupt wie die heydnische Götterlehre und als ein poetisch Wörterbuch zu studieren. Doch vielleicht ist die ganze Historie mehr Mythologie, als es dieser Philosoph meynt, und gleich der Natur ein versiegelt Buch, ein verdecktes Zeugnis, ein Räthsel, das sich nicht auflösen läßt, ohne mit einem andern Kalbe, als unserer Vernunft zu pflügen.

      Meine Absicht ist es nicht, ein Historiograph des Sokrates zu seyn; ich schreibe blos seine Denkwürdigkeiten wie Düclos dergleichen zur Geschichte des XVIIIten Jahrhunderts für die lange Weile des schönen Publicums herausgegeben.

      Es liesse sich freylich ein so sinnreicher Versuch über das Leben Sokrates schreiben als Blackwell über den Homer geliefert. Sollte der Vater der Weltweisheit nicht dieser Ehre näher gewesen seyn als der Vater der Dichtkunst? Was Cooper herausgegeben ist nichts als eine Schulübung, die den Eckel so wohl einer Lob- als Streit-Schrift mit sich führt.

      Sokrates besuchte öfters die Werkstätte eines Gerbers, der sein Freund war, und wie der Wirth des Apostel Petrus zu Joppe Simon hieß. Der Handwerker hatte den ersten Einfall die Gespräche des Sokrates aufzuschreiben. Dieser erkannte sich vielleicht in denselben besser als in Platons, bey deren Lesung er gestutzt und gefragt haben soll: Was hat dieser junge Mensch im Sinn aus mir zu machen? – – Wenn ich nur so gut als Simon der Gerber meinen Held verstehe!

      Erster Abschnitt.

       Inhaltsverzeichnis

      Sokrates hatte nicht umsonst einen Bildhauer und eine Wehmutter zu Eltern gehabt. Sein Unterricht ist jederzeit mit den Hebammenkünsten verglichen worden. Man vergnügt sich noch diesen Einfall zu wiederholen, ohne daß man selbigen als das Saamkorn einer fruchtbaren Wahrheit hätte aufgehen lassen. Dieser Ausdruck ist nicht blos tropisch, sondern zugleich ein Knäuel vortreflicher Begriffe, die jeder Lehrer zum Leitfaden in der Erziehung des Verstandes nöthig hat. Wie der Mensch nach der Gleichheit Gottes erschaffen worden, so scheint der Leib eine Figur oder Bild der Seelen zu seyn. Wenn uns unser Gebein verholen ist, weil wir im Verborgenen gemacht, weil wir gebildet werden unten in der Erde; wie viel mehr werden unsere Begriffe im Verborgenen gemacht, und können als Gliedmassen unsers Verstandes betrachtet werden. Daß ich sie Gliedmaassen des Verstandes nenne, hindert nicht, jeden Begrif als eine besondere und ganze Geburt selbst anzusehen. Sokrates war also bescheiden genung seine Schulweisheit mit der Kunst eines alten Weibes zu vergleichen, welches blos der Arbeit der Mutter und ihrer zeitigen Frucht zu Hülfe kommt, und beyden Handreichung thut.

      Die Kraft der Trägheit und die ihr entgegengesetzt scheinende Kraft des Stolzes, die man durch so viel Erscheinungen und Beobachtungen veranlasset worden in unserm Willen anzunehmen, bringen die Unwissenheit, und die daraus entspringende Irrthümer und Vorurtheile nebst allen ihren schwesterlichen Leidenschaften hervor. Von dieser Seite ahmte also Sokrates seinen Vater nach, einen Bildhauer, der, indem er wegnimmt und hauet, was am Holze nicht seyn soll, eben dadurch die Form des Bildes fördert. Daher hatten die grossen Männer seiner Zeit zureichenden Grund über ihn zu schreyen, daß er alle Eichen ihrer Wälder fälle, alle ihre Klötzer verderbe, und aus ihrem Holze nichts als Späne zu machen verstünde.

      Sokrates wurde vermuthlich ein Bildhauer, weil sein Vater einer war. Daß er in dieser Kunst nicht mittelmässig geblieben, hat man daraus geschlossen, weil zu Athen seine drey Bildsäulen der Gratien aufgehoben worden. Man war ehmals gewohnt gewesen diese Göttinnen zu kleiden; den altväterischen Gebrauch hatte Sokrates nachgeahmt, und seine Gratien wiedersprachen der Costume des damaligen Göttersystems und der sich darauf gründenden schönen Künste. Wie Sokrates auf diese Neuerung gekommen; ob es eine Eingebung seines Genius, oder eine Eitelkeit seine Arbeiten zu unterscheiden, oder die Einfalt einer natürlichen Schaamhaftigkeit gewesen, die einem andächtigen Athenienser wunderlich vorkommen muste; weiß ich nicht. Es ist aber nur gar zu wahrscheinlich, daß diese neugekleideten Gratien so wenig ohne Anfechtung werden geblieben seyn als die neugekleideten Gratien unserer heutigen Dichtkunst.

      Hier ist der Ort die Übersichtigkeit einiger gegen das menschliche Geschlecht und dessen Aufkommen gar zu witzig gesinnter Patrioten zu ahnden, die sich die Verdienste des Bildhauers im Sokrates so groß vorstellen, daß sie den Weisen darüber verkennen, die den Bildhauer vergöttern um desto füglicher über des Zimmermanns Sohn spotten zu können. Wenn sie in Ernst an Sokrates glauben; so sind seine Sprüche Zeugnisse wieder sie. Diese neuen Athenienser sind Nachkommen seiner Ankläger und Giftmischer, abgeschmacktere Verläumder und grausamere Mörder dann ihre Väter.

      Bey der Kunst, in welcher Sokrates erzogen worden, war sein Auge an der Schönheit und ihren Verhältnissen so gewohnt und geübt, daß sein Geschmack an wohlgebildeten Jünglingen uns nicht befremden darf. Wenn man die Zeiten des Heydenthums kennt, in denen er lebte; so ist es eine thörichte Mühe ihn von einem Laster weiß zu brennen, das unsere Christenheit an Sokrates übersehen sollte, wie die artige Welt an einem Toußaint die kleinen Romane seiner Leidenschaften als Schönfleckchen seiner Sitten. Sokrates scheint ein aufrichtiger Mann gewesen zu seyn, dessen Handlungen von dem Grund seines Herzens, und nicht von dein Eindruck, den andere davon haben, bestimmt werden. Er leugnete nicht, daß seine verborgene Neigungen mit den Entdeckungen des Gesichtsdeuters einträfen; er gestand daß dessen Brille recht gesehen hätte. Ein Mensch, der überzeugt ist, daß er nichts weiß, kann, ohne sich selbst Lügen zu strafen, kein Kenner seines guten Herzens seyn. Daß er das ihm beschuldigte Laster gehaßt, wissen wir aus seinem Eyfer gegen dasselbe, und in seiner Geschichte sind Merkmale seiner Unschuld, die ihn bey nahe loßsprechen. Man kann keine lebhafte Freundschaft ohne Sinnlichkeit fühlen, und eine metaphysische Liebe sündigt vielleicht gröber am Nervensaft, als eine thierische an Fleisch und Blut. Sokrates hat also ohne Zweifel für seine Lust an einer Harmonie der äusserlichen und innerlichen Schönheit, in sich selbst leiden und streiten müssen. Überdem wurden Schönheit, Stärke des Leibes und Geistes nebst dem Reichthum an Kindern und Gütern in dem jugendlichen Alter der Welt für Sinnbilder göttlicher Eigenschaften und Fußstapfen göttlicher Gegenwart erklärt. Wir denken jetzt zu abstrakt und männlich die menschliche Natur nach dergleichen Zufälligkeiten zu beurtheilen. Selbst die Religion lehrt uns einen Gott, der kein Ansehen der Person hat; ohngeachtet der Misverstand des Gesetzes die Juden an gleiche Vorurtheile hierinn mit den Heyden gebunden hielt. Ihre gesunde Vernunft, woran es den Juden und Griechen so wenig fehlte als unsern Christen und Muselmännern, stieß sich daran, daß der Schönste unter den Menschenkindern ihnen zum Erlöser versprochen war, und daß ein Mann der Schmerzen, voller Wunden und Striemen, der Held ihrer Erwartung seyn sollte. Die Heyden waren durch die klugen Fabeln ihrer Dichter an dergleichen Wiedersprüchen gewohnt; bis ihre Sophisten, wie unsere, solche als einen Vatermord verdammten, den man an den ersten Grundsätzen der menschlichen Erkenntnis begeht.

      Von solchem Wiederspruch finden wir ein Beyspiel an dem Delphischen Orakel, das denjenigen für den weisesten erkannte, der gleichwol von sich gestand, daß er nichts wisse. Strafte Sokrates das Orakel Lügen, oder das Orakel ihn? Die stärksten Geister unserer Zeit haben für diesmal die Priesterinn für eine Wahrsagerinn gehalten, und sich innerlich über ihre Ähnlichkeit mit dem Vater Sokrates gefreut, der es für gleich anständig hielt einen Idioten zu spielen oder Göttern zu glauben. Ist übrigens der Verdacht gegründet, daß sich Apoll nach den Menschen richte, weil diese zu dumm sind sich nach ihn zu richten: so handelt er als ein Gott, dem es leichter fällt zu philippisiren oder zu sokratisiren

Скачать книгу