Geh's noch Gott?. Paulus Terwitte

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Geh's noch Gott? - Paulus Terwitte

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meine ich nicht Partner oder Partnerin. Einen Freund, eine Freundin. Ein Freund ist der Kenner meines Herzens, und wenn ich beim Freund bin, ihn nach drei Jahren besuche, dann ist es nach einer Minute schon so, als wären wir gar nicht auseinander gewesen. Ein Freund ist jemand, der meinem Herzen eine Zuflucht gibt, ohne dass ich da anklopfen muss. Ein Freund ist jemand, bei dem ich mich hinsetzen kann, und ich muss mich nicht erklären. Ein Freund ist jemand, der mich zu Worten hinführt, die ich sonst nie ausspreche. Ein Freund ist jemand, von dem ich nichts will und der auch nichts von mir will. Ich würde einen Freund nie um Geld anpumpen. Nie. Ich würde auch nicht zu ihm hingehen und sagen: „Ich brauche ein Bett, ich habe kein Obdach mehr.“ Ich würde als Obdachloser zu ihm kommen und dann wieder weggehen. Ein Freund ist jemand, der mir in allen Situationen meines Lebens sagt, dass ich ihm nicht zu viel bin. Und da hat man als Mensch eigentlich nur einen oder zwei Freunde. Vielleicht drei. Und die hat man sich auch nicht ausgesucht, die sind einem passiert. Man kann nicht sagen: „Ich will jetzt einen Freund haben!“ Sondern der wird einem ins Leben gestellt. Und bitte nicht übersehen: Es gibt auch Leute, die lassen Freundschaften plötzlich auslaufen. Denn Freundschaften werden nicht beendet, die schleifen sich aus. Die brauchen schon Pflege! Lege doch gleich mal eben das Buch hin und ruf einen Freund an, das wär’ doch mal was!

      Wir haben jetzt die Stille, die Wahrhaftigkeit und den Freund – das Vierte ist Gemeinschaft. Ein Mensch braucht Eingebundensein. Wir können ohne Eingebundensein nicht leben. Tritt zum Beispiel in einen Verein ein. Das ist in unserer Gesellschaft sehr unbeliebt geworden, denn wir sind ja Projektmenschen geworden. Ein Jahr machen wir mal da mit und ein Jahr da – aber in einen Verein eintreten ist so uncool wie nur was. Mitglied in einer Partei werden – das ist noch schrecklicher! Aber wie sollen wir sonst die Welt voranbringen, wenn wir sie nicht miteinander voranbringen? Wenn wir uns nur noch auf der Autobahn oder nur noch im Supermarkt treffen? Das ist ja keine Gemeinschaft. Das Viertwichtigste im Leben ist tatsächlich Gemeinschaft. Und die muss gepflegt werden, am besten möglichst lokal und möglichst real.

      Da kann man ja mal mit der Hausgemeinschaft anfangen. Man kann in einem Haus mit acht Mietparteien leben, die einem alle gestohlen bleiben können. Kann man machen. Man kann sich aber auch jeden Samstagnachmittag um drei für zwei Stunden vor die Haustür setzen und ein Buch lesen und dann mal gucken, was passiert. Wer da alles ins Haus reingeht und wieder raus, da kann man Guten Tag sagen … Und wenn man das viermal hintereinander gemacht hat, dann kennt man den einen schon und erlebt: Der beißt ja gar nicht. Und wenn ich jetzt noch einen Tipp geben darf – man darf sich auch mal ein bisschen künstlich bedürftig machen und oben klingeln und sagen: „Oh, bei mir ist leider das Salz ausgegangen, könnte ich mal Salz von Ihnen haben?“ Oder man kann mal runtergehen, ein Ei holen und sagen: „Sie können auch gerne von mir mal was holen.“ Langsam kommt man dann miteinander ins Gespräch, bis man gemeinsam mal im Frühjahr grillt und man auch dann vielleicht die Konflikte löst, die unweigerlich auftreten, weil die Musik zu laut und die Müllecke zu schmutzig ist. Dann kommt man ins Gespräch. Ohne Gemeinschaft können wir nicht leben. Such dir einen Verein, eine Partei oder was auch immer. Engagiere dich für andere.

      Und das Fünftwichtigste im Leben ist Sterben. Seneca sagt: „Ein Leben lang musst du Leben lernen und das wird dich vielleicht noch mehr wundern: Ein Leben lang musst du Sterben lernen.“ Abschied zu nehmen. Der Blick auf die eigene Festplatte genügt ja schon, um zu sehen, was sich da alles ansammelt. Wir tun uns schwer mit dem Löschen. Genauso ist das mit Schubladen, und genauso ist das mit Kellern und Dachböden: Es sammelt sich Zeug und sammelt sich Zeug – wir nehmen zu wenig Abschied. Sterben zu können und Abschied zu nehmen auch von Lebensphasen gehört mit zu den allerwichtigsten Sachen.

      Ich sehe hier in der Großstadt manchmal diese Junggesellenabschiede. Dann sehe ich 35-jährige Frauen mit ihren Freundinnen durch die Straßen ziehen und denke: „Die haben sie nicht mehr alle!“ Wie Leute kindisch einfach an dem Alten festhalten und einfach nicht zu dem stehen, was gerade geworden ist, und keinen Schritt nach vorne machen. Weil sie sich nicht vom Vergangenen lösen können. Ob das nun Eltern sind, die schon acht Jahre in einem viel zu großen Haus wohnen, wo die Kinder schon zehn Jahre ausgezogen sind, und die Eltern können sich nicht von diesem Haus lösen. Statt in eine Dreizimmerwohnung zu ziehen, lebt man immer noch im Haus mit Garten, man hat schon bald keine Kraft mehr, das ganze Haus zu putzen, man macht’s aber trotzdem.

      Sterben lernen heißt, dass ich maßvoll werde und auf diese Weise auch leichter leben kann. Viele Menschen sind deswegen so unbeweglich auch im Denken geworden, weil sie alles Mögliche mit sich herumschleppen an Erinnerungen und was alles wichtig gewesen ist. Sterben lernen heißt, dass ich bereit bin zu sagen: „Das war jetzt wichtig, aber ich möchte mich etwas Neuem zuwenden und will etwas Neues ausprobieren.“ Abschiede müssen gelebt werden. Auch aus der Gemeinschaft, von der ich gesprochen habe. Man muss nicht ewig in solchen Gemeinschaften sein, man darf auch da Abschiede leben und sagen: „Das war für mich eine wichtige Phase, lieber Kegelklub, aber jetzt gehe ich.“ Man darf auch etwas enden lassen, und das halte ich für eine sehr, sehr große Kunst. Sterben zu lernen, diese Ars moriendi, wie die Kirchenväter sagen, die Kunst des Sterbens heißt, dass ich bereit bin, loszulassen zur rechten Zeit und mich nicht für Gott halte, bei dem alles ewig ist.

      Die Stille ist der Anfang des Staunens, und die Stille macht demütig.

      Darum gehört zu den allerwichtigsten Dingen im Leben die Stille.

      Flutkatastrophen, Waldbrände, Vulkanausbrüche, Erdbeben, … Geht’s noch, Gott? Oder ist das alles unsere eigene Schuld?

      Offensichtlich sind die Katastrophen, die die Menschheit über Jahrhunderte und Jahrtausende erlebt hat, kein Grund gewesen, dass der Glaube an Gott aufgegeben wurde. Ganz im Gegenteil, der ist meistens noch geschärft worden. Weil Menschen in dem Abhängigsein von der Natur und dem Abhängigsein von der Zeit, in der man lebt, in den kleinen und großen Katastrophen des Lebens erkennen, dass sie selber sich nicht gemacht haben. Das ist natürlich eine furchtbare Demütigung für uns Menschen, wenn wir merken: Wir sind nicht die Schöpfer der Welt. Wir haben sie nicht gemacht. Diese Erkenntnis in Demut, dass wir uns nicht in der Hand haben, führt Menschen dazu, dass sie sich dann einfach sagen: Wer hat uns denn diese Welt in die Hand gegeben? Daraus können dann Fragen und Klagen werden: Warum hast du sie uns so in die Hand gegeben? Warum fügt sie uns so viel Leid zu? Alles überfordert uns, und warum überforderst du uns? Das sind berechtigte Klage-Fragen, die oft genug gestellt worden sind und die auch immer wieder gestellt werden. Dahinter steckt nicht die Vorstellung, Gott könnte da oben auf seinen Knopf drücken und sagen: „Die Flut ist jetzt mal zu Ende“ oder „Es gibt jetzt einfach keine Klimakatastrophe mehr, ich mach das jetzt alles ganz harmonisch“, sondern hinter dem Klagen steckt eigentlich: „Mach du uns klug, mit dieser Welt gut umzugehen.“ Soll heißen: Beten will klüger machen, und Beten will den Egoismus vermeiden. Und dass wir uns in unserem Leben auf das Unverfügbare einstellen müssen, ist eine Lebensherausforderung.

      Wenn ich mal an die kleinen Katastrophen erinnern darf, die so passiert sind: Ich habe mir nicht ausgesucht, wer mein Vater und meine Mutter sind. Ich nicht. Und ich habe mir auch nicht ausgesucht, in welchem Land ich geboren werde. Ich muss das Unverfügbare, das, was ich nicht verfügen kann, annehmen lernen und darin auch reifen lernen. Und darum sind auch die Katastrophen, die in dieser Welt da sind und die uns jetzt vor Augen sind, die uns alles nehmen, einfach nur schrecklich. Das darf man ja gar nicht kleinreden. Am Ende muss man aber sagen, dass die ganze Welt voller Katastrophen ist und dass offensichtlich das „Stirb-und-Werde“ ein Grundgesetz in dieser Welt ist. Dass es uns so schrecklich vorkommt, liegt vielleicht daran, dass wir als Menschen so eine Art Gottesgen in uns haben nach dem Motto: Eigentlich müssten wir aber doch ewig leben. Eigentlich müssten wir allmächtig sein, eigentlich müssten wir alles bewältigen können. Aber wir sehen ja, wohin eine Hybris des Menschen führt, der glaubt, er könne alles selber machen und er müsse alles selber machen. Der soll sich auch alles leisten.

      Von daher ist die Klage über die Katastrophen, die wir in dieser Welt hatten und die wir haben, eine berechtigte

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