Geh's noch Gott?. Paulus Terwitte
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Es ist uns alles geschickt, und wir haben uns nichts selber genommen.
Was wir uns selber genommen haben, konnten wir uns nehmen, weil uns vorher etwas geschickt worden ist.
Was kann ich als Einzelner tun, damit sich die Welt zum Besseren entwickelt?
„Sei du selbst die Veränderung, die du von der Welt erwartest“, so hat Mahatma Gandhi einmal gesagt, und das bleibt ein grundlegender Satz: dass ich eingeladen bin, in meinem Bereich und in dem, wofür ich Verantwortung trage, meine Entscheidungen zu treffen. Ich bin ja kein Staatspräsident und auch kein Politiker, dann kann man sich schnell die Frage stellen: „Ja, was nützt es denn? Wieso soll ich jetzt Plastik trennen und Biomüll trennen, wenn das sowieso alles wieder in eine Tonne kommt?“ So höre ich dann. Oder: „Warum soll ich jetzt eigentlich gerecht sein, wenn alle ungerecht sind? Warum soll ich jetzt etwas aushalten, wenn alle anderen es nicht aushalten?“ Diese Frage beschäftigt jeden Menschen, der einigermaßen ethisch verantwortlich handeln will. Wir brauchen die anderen, die uns ermutigen, besser zu leben.
Aber was ist eigentlich dieses bessere Leben? Was ist dieses gute Leben? Zusammengefasst besteht es darin, dass ich versuche und mich entscheide, nicht mehr auf dem Standpunkt der Selbstsucht zu stehen. Das ist eine Entscheidung. Das hat mit Gefühlen gar nix zu tun, denn wenn man diese Entscheidung gefällt hat, dann wird man auf jeden Fall plötzlich anfangen, neu nachzudenken: Ist das, was ich gerade tue, eigentlich wirklich dienlich – dem Nächsten, der Schöpfung, meiner Zukunft, den Kindern? Und ich werde mich immer weniger fragen: Was habe ich davon?
Viele Menschen sagen ja: Die ganze Welt ist voller Egoisten, warum soll ich da kein Egoist sein? Und doch ist es ein lohnenswertes Unterfangen, dass ich mich auf den Standpunkt stelle, nicht selbstsüchtig sein zu wollen, dass ich diesen Standpunkt der Selbstsucht verlassen will, weil ich nur so dazu beitragen kann, dass das Netzwerk des Dialoges wächst und nicht ständig zerschnitten wird von dieser schrecklichen Selbstsucht, die Menschen einholen kann.
Wenn ich selber anfange, wie ein Heiliger zu leben in einer unheiligen Welt, beinhaltet das ja auch eine gewisse Arroganz, weil ich damit sage: „Ich bin der Heilige, die anderen sind unheilig.“ Dann wäre doch vielleicht der erste Schritt, um aus dieser Arroganz rauszukommen, dass ich mich mit anderen verbünde. Denn auch wenn du selber denkst, du seist der Einzige, der die Welt verbessern will, dann stimmt das ja eigentlich gar nicht. Es gibt vorbildliche Leute, die, egal, was passiert, einfach entschieden ihren Lebensstil leben. Da gibt es viele Menschen, und Gott sei Dank gibt es durchaus auch Möglichkeiten, im Internet Gruppierungen zu finden, Menschen zu finden. Die Website www.nebenan.de zum Beispiel ist so ein Netzwerk, das ich sehr schätze, wo man sich richtig mit Klarnamen registrieren muss, mit Personalausweisdaten und allem. Da kann ich dann auch mal sagen: „Hallo Nachbarn, ich würde gerne etwas mehr tun, dass bei uns nicht ständig so viel Dreck in der Nachbarschaft rumfliegt. Wer von euch ist noch daran interessiert?“ Solche allgemeinen Fragen sind möglich bis hin zu der Frage: „Ich würde gerne mal darüber nachdenken, ob wir eine Fahrgemeinschaft bilden können, wenn wir einkaufen fahren, denn ich überlege, mein Auto abzuschaffen, und frage mich: Können wir mit fünf Leuten gemeinsam ein Auto haben? Wer hat Lust, mit mir darüber zu reden?“
Das Gute, das sich vernetzen will – und das Gute will sich vernetzen –, aussprechen und diesem Guten auch dienen wollen, darum geht es. Man wird dann auf jeden Fall Freundinnen und Freunde finden für die gemeinsame Sache. Das hat nur einen ganz kleinen Haken: dass man die Leute persönlich vielleicht nicht immer so toll findet. Ich komme aus einem Orden, in dem auch Brüder sind, die sich alle etwas vorgenommen haben. Menschlich ist das immer neu eine Herausforderung. Für die gemeinsame Sache will man kämpfen, aber dann ist der eine eben so und der andere so … Ich muss die Unterschiedlichkeiten der Menschen einfach anschauen. Und auch sagen: Wir dürfen unterschiedlich sein, wenn wir diese gemeinsame Sache verwirklichen. Es braucht für diese Motivation zum Guten also das Miteinander mit anderen, die ähnlich sind, und es ist wichtig, dass ich das nicht abwerte. (Ich bin der Einzige, der etwas verändern will – der bin ich ja gar nicht! Ich gehöre zu den anderen, eine große Portion Demut ist schon vonnöten.)
Das Gute zu tun, demütig zu tun – Mahatma Gandhi habe ich am Anfang genannt, der ja sehr viel Kraft aufgrund seiner Demut entfaltet hat, weil er bei seinem Stiefel geblieben ist. Der hat einfach das gemacht, was er wollte. Die anderen Heiligen, die wir aus der Geschichte kennen – eben auch Franziskus von Assisi – haben das einfach gelebt, wozu sie sich entschieden haben, und haben dann Gefährten gefunden. Letztlich gründen sich Vereine, Parteien, Organisationen ja von Leuchtturmmenschen, die gesagt haben: Diese Idee ist gut, die möchte ich verwirklichen – und dann hatten sie plötzlich Menschen an ihrer Seite, die sie nicht im Regen stehen lassen haben. Dann sind sie gar nicht mehr so allein. Die Vergemeinschaftung des Guten zu betreiben scheint mir eine große Hilfe zu sein, wenn man in diesem Gefühl versinkt: „Ja, bin ich denn eigentlich nur noch der einzige Prophet in diesem Land?“ Nein, ist man bestimmt nicht. So toll bist du auch nicht, darf ich dir das mal so deutlich sagen? Es gibt noch andere tolle Leute.
Und das Zweite ist: Wie bleibe ich auf Kurs mit meiner Entscheidung für ein gutes Leben und dafür, die Welt zu verbessern? Da sagt jetzt der fromme Kapuziner und Priester: Das wird wohl nur durch Gebet gehen. Wenn du beim Gebet noch nicht angekommen bist, dann sind es letztlich Zonen des Schweigens und Zonen des Denkens, in denen du selber deinen eigenen Quellen nachgehst und dich daran freust, dass du so weltbezogen bist, dass du der Welt Gutes willst. Und wenn es denn auch alleine ist.
Die Einsamkeit gehört mit zu dem Guten. Es gibt keine Heiligen, die nicht einsam gewesen wären, und darum ist deine Entscheidung am Ende auch eine einsame Entscheidung, die Welt verbessern zu wollen, und du darfst dich nicht davon abhängig machen, ob du Gefährten findest. Ich bin sicher, du findest welche, das habe ich schon gesagt, aber mach dich nicht davon abhängig nach dem Motto: „Erst wenn zwanzig Leute das mit mir machen, dann mache ich das auch“ oder: „Erst wenn das genügend Resonanz hat und ein Buch darüber geschrieben wird und ich auch noch ins Fernsehen komme, dann will ich das weitermachen.“ Das wäre ja schon wieder sehr, sehr selbstsüchtig. Darum brauchst du diese Seelenpflegemomente der Stille, der Ästhetik, der Kultur, in denen deine Seele befeuert wird aus der Beziehung heraus, die sie zu der Welt hat (das habe ich auch schon bei der Frage nach der Seelenverwandtschaft angesprochen), um das Gute und Richtige wählen zu wollen. Diese persönlichen Momente der Einkehr und der Meditation braucht jeder, der sich zu großen Taten der Veränderung aufmachen will.
Und ein Drittes vielleicht noch: Mach dir einen Plan. Und wenn du dir einen Plan machst für das eine, was du tun willst, dann musst du auch anderes lassen. Für mich ist oft das Schwierigste, die vielen guten Ideen, die ich habe, zu verabschieden, damit die eine Idee was wird. Dabei haben wir vielleicht alle so ein Gottes-Gen in uns: Ja, was wir alles machen könnten/wollten/sollten, ein konjunktivisches Träumen davon, was wir alles verbessern wollen, und dann haben wir davon geträumt und am Ende nichts gemacht. Wenn du alleine die Welt verbessern willst, brauchst du also auch einen Plan, was du anfangen willst, damit du nicht bei dir selber versinkst.
Frère Roger Schutz hat mal gesagt: „Lebe den Satz des Evangeliums, den du verstanden hast, das ist genug!“ Manche sagen ja, das ganze Evangelium und alles Gute zu tun – das kann ja auch wirklich keiner! Also mach doch das, was du verstanden hast. Und ich sage dir deutlich: Mach bitte nur das eine. Zum Beispiel: Du sagst dir: Ich möchte gerne etwas Gutes tun. Du hast entdeckt, dass in deinem Haus im siebten Stock ein älterer Herr ganz alleine lebt. Er trägt sein Essen durch die Gegend und geht einkaufen. Du machst dir zum Programm, die nächsten drei Monate den Mann anzusprechen, zum Beispiel bei der Kehrwoche, wenn du bei seiner Haustür