Herausforderungen der Wirtschaftspolitik. Dirk Linowski
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Rosen und Gayer beschreiben den Inhalt ihres 600 Seiten-Buches zu Public Finance (das oft, aber nichtsdestotrotz nicht korrekt, mit der deutschen Finanzwissenschaft gleichgesetzt wird) schlicht durch „This book is about taxing and spending activities of government.“ Sie werden kein deutsches Lehrbuch finden, dass sich derart „hart“ und präzise äußert. Das bedeutet übrigens nicht, dass ein Ansatz a priori besser oder schlechter ist, die Herangehensweise ist unterschiedlich.
Es lohnt in diesem Zusammenhang sich allgemein klarzumachen, dass eine jede Wissenschaft bzw. eine Teildisziplin derselben nicht statischer Natur ist, sondern dass sich ihre Untersuchungsgegenstände und die verwendeten Methoden im Laufe der Zeit verändern. Dies gilt für die Sozial- und die Naturwissenschaften. Man denke hier zum Beispiel an die Chemie, die erst durch die Untersuchungen Lavoisiers (1743-1794) zu einer exakten Wissenschaft wurde und die sich, nachdem sie den Ruf, eine „Hilfswissenschaft der Medizin“ zu sein, im späten 18. Jahrhundert abgeschüttelt hatte, erst in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts ein zweites Mal, diesmal von der Physik, „emanzipierte“. In jeder Wissenschaft gibt es, frei nach einer mehr als drei Jahrzehnte zurückliegenden Feststellung von Roger Penrose, Physiknobelpreisträger des Jahres 2020, großartige, nützliche, vorläufige und irreführende Theorien: Uns ist dabei fast nie bewußt, dass sich irreführende Theorien nicht nur über lange Zeiträume halten können (wie z.B. die „Feuerstoff“ Phlogiston-Theorie), sondern dass sie bzw. ihre Repräsentanten auch mitten unter uns sind bzw. sein müssen.
Tatsächlich fällt auch in der Mathematik oder Physik kein Resultat vom Himmel; Grundlage jeder mathematischen Theorie sind Axiome, also Aussagen, die nicht begründet werden müssen oder können und auf deren Basis sich mathematische Sätze beweisen lassen.
Wenn Sie für sich nur kurz die Namen einiger die Ökonomie prägender Geistesgrößen wie Adam Smith, Karl Marx, John Maynard Keynes und Milton Friedman aufrufen, dann sollte Ihnen sofort klarwerden, dass hinter den Gedankenwelten dieser Denker unterschiedliche Axiome bzw. Werte stehen, die im Gegensatz zur Mathematik nicht immer widerspruchsfrei sind.
Zu jeder Teildisziplin der Ökonomie existieren „schwere Wälzer“; die jeweils für die Komplexität ihrer Teilwissenschaft stehen und die für die „Tiefenausbildung“ verfasst wurden. Ein schönes Beispiel dafür, das man komplexe Zusammenhänge dennoch so darstellen kann, dass die Sicht auf den Wald vor lauter Bäumen nicht verloren geht, ist Walter Euckens aus weniger als 100 Textseiten bestehende Monographie aus dem Jahr 1938 „Nationalökonomie wozu“, in der Eucken seine grundlegenden Gedanken in einer einfachen und für gebildete Nichtexperten verständlichen Sprache darlegt. Wie in der Einleitung bereits erwähnt, geht Wissen auch verloren: Eucken ist der Mehrheit jüngerer Ökonomen, wenn überhaupt, nur noch im Zusammenhang mit dem Begriff Ordnungspolitik (für den es übrigens keine sinnvolle englische Übersetzung gibt!) bekannt.
Übung 1.1:
Was versteht man unter dem Begriff „Arabischer Frühling“?
Übung 1.2:
Was versteht man unter „Entsolidarisierung“?
Übung 1.3:
Recherchieren Sie die Entwicklung der Börsenwerte der Firmen
VW
Bayer
Exxon Mobil
Canon
seit dem Jahre 2000 und versuchen Sie darauf basierend, die jeweilige Entwicklung bis zum Jahre 2030 zu prognostizieren.
Übung 1.4:
Definieren Sie die Begriffe
1 Marktwirtschaft
2 soziale Marktwirtschaft
2 Demografie und Demografisierung
Tatsächlich hat in den vergangenen Jahren – nicht erst seit Ausbrechen der Flüchtlingskrise – eine Demografisierung der politischen Diskussion stattgefunden, allerdings bis jetzt mit kaum sichtbaren gesellschaftlichen Auswirkungen. Wenn Sie die aktuelle Presse bzw. andere Medien verfolgen, werden Sie zahlreiche dramatische Darstellungen des Bildungssektors, der Familienpolitik, der Langzeitarbeitslosigkeit, der Rentenproblematik, des Investitionsnotstands, der Finanzierung der Krankenkassen, der Migration aus Ländern außerhalb der EU u.v.m. vorfinden, wobei einerseits oft erschreckend simplifiziert wird und, wie bereits erwähnt, andererseits alles mit allem verbunden zu sein scheint.
In den modernen täglichen Sprachgebrauch wurde der Begriff Narrativ durch Wirtschaftsnobelpreisträger Robert Shiller eingeführt.
Tatsächlich stellte aber bereits der große englische Wirtschaftswissenschaftler John Maynard Keynes fest, dass „einfache“ Menschen komplexe Themen gern durch Narrative, leicht verdauliche Miniaturtheorien, erklären. Diese nicht von diesen einfachen Menschen erdachten Theorien sind in der Tat oft interessengeleitet à la „die Wirtschaft“ ist an billigen Arbeitskräften interessiert bzw. (vermeintlich) moralisch überfrachtet. Oft ist das Narrativ allerdings einfach „nur“ dumm.
Dass die Deutschen im Durchschnitt älter und auch größer, reicher und dicker geworden sind und über die vergangenen Generationen immer weniger Kinder bekommen haben, ist seit mindestens 40 Jahren bekannt. Ebenso ist die „Landflucht“ kein neues Phänomen. Gesellschaftliche Vorstellungen zu den daraus resultierenden Konsequenzen bezüglich eines „zeitgemäßen Lebensstils“ gibt es in Deutschland bisher allerdings nur in Ansätzen, diese vor allem in einigen ländlichen Räumen, die stark unter der Abwanderung junger Menschen in die Ballungszentren leiden. Diese demografischen Veränderungen verbunden mit der rasanten technischen Entwicklung, wichtigste Stichworte sind wiederum DigitalisierungDigitalisierung bzw. Digitale Transformation, sind direkt verbunden mit dem Entstehen neuer Risiken, auf die wir bisher immer noch kaum vorbereitet sind. (Konsultieren Sie hierzu z.B. die Studie der Münchener Rück „Megacities – Megarisks“ aus dem Jahre 2005).
Eine Zwangsläufigkeit der Vergreisung und des Abstiegs Deutschlands in den kommenden zwei bis vier Jahrzehnten ist im Gegensatz zur dominierenden medialen Darstellung keinesfalls determiniert: Fast alle Prognoserechnungen basieren auf ceteris paribus-Bedingungen, die sich isoliert betrachtet kaum als realistisch erweisen dürften. Ferner wird, auch in den allgemein als seriös wahrgenommenen Medien, Bekanntes und Vermutetes oft durcheinandergebracht. So gehörte es bis Mitte des Jahres 2015 zum „Allgemeinwissen“, dass wir Deutschen mit 1,41 Kindern pro gebärfähiger Frau (vs. 2,1 Kinder pro Frau in Frankreich; dies entspricht ziemlich genau der Reproduktionsquote zur Bestandserhaltung einer menschlichen Population, s. weiter unten) am Ende der entwickelten Länder stehen und dass unsere akademisch gebildeten Frauen Geburten „verweigern“. Der medial bejubelte „Geburtensprung“ der letzten Jahre ändert die qualitative demografische Situation indes kaum.
Tatsächlich wissen wir nicht, wie hoch die Geburtenrate der heute lebenden jungen Frauen sein wird: Diese kann erst