Herausforderungen der Wirtschaftspolitik. Dirk Linowski

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Herausforderungen der Wirtschaftspolitik - Dirk Linowski

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und William Wascher „Minimum Wages and Employment: A Review of Evidence from the New Minimum Wage Research” vs. Dale Belman und Paul J. Wolfson „What does the Minimum Wage do?“

      Klar ist jedoch geworden: Den eindeutigen Einfluss eines Mindestlohnes gibt es nicht. So wird ein Unternehmen, wie durch das klassische Angebots- und Nachfragediagramm für den Arbeitsmarkt suggeriert, nicht notwendigerweise weniger Arbeit nachfragen, wenn der Preis der Arbeit steigt. Relevant sind ebenfalls die Arbeitseffizienz der Mitarbeiter, die Möglichkeit, die eigenen Kosten für hergestellte Güter bzw. Dienstleistungen an Kunden weiterzugeben u.v.m.

      Ergebnis „normativer Forschung“ ist üblicherweise ein Vorschlag. Hier ist sehr allgemein Vorsicht angebracht: Die vorschlagende Seite hat üblicherweise ein Interesse, ihre Pro-Argumente zu überzeichnen und Gegenargumente zu ignorieren bzw. zu diskreditieren. Das bedeutet nicht, dass es keinen intellektuellen Anstand wie in der guten alten Zeit (die übrigens nicht so gut war) mehr gibt, es genügt an dieser Stelle eine Erinnerung an die mehr als 2000 Jahre alte Frage „Cui bono?“, auf Deutsch „Wem nützt es?“, und der Hinweis, dass es in der Wirtschaft keine Monokausalität gibt. Zudem werden viele Gesetze, wie übrigens auch Autos (Stichwort Rückrufaktionen) oft schnell produziert und sie weisen somit leider ebenso oft handwerkliche Mängel auf.

      Wichtig ist in diesem Zusammenhang die enge Beziehung der WirtschaftspolitikWirtschaftspolitik zurFinanzwissenschaft Rechtswissenschaft, da diese den Rahmen vorgibt, „was erlaubt ist“. Denken Sie in diesem Zusammenhang zum Beispiel an das NetzdurchdringungsgesetzNetzdurchdringungsgesetz (NETZDG) und die Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) und machen Sie sich klar, dass rechtliche Aspekte bzw. Urteile die (Finanz-)PolitikFinanzpolitik leiten können.

      Der auf den ersten Blick erfolgversprechendste Weg, um herauszufinden, inwieweit Regierungshandeln die Bürger betrifft, ist selbige zu befragen. Das geschieht auch fast ständig; es werden im Stakkato Studien veröffentlicht, die aber oft Diametrales zu sagen scheinen. Dabei werden nicht selten Suggestivfragen gestellt.

      Wenn Menschen ihr Verhalten beschreiben, sagen bzw. schreiben sie noch lange nicht die Wahrheit. Beachten Sie, dass Umfragen bzw. deren Ergebnisse das Verhalten vieler Menschen wiederum beeinflussen. Die Konzeption von Interviews und psychologischen Tests sowie deren Auswertung erfordern somit nicht nur viel Wissen, sondern auch Vorsicht. Um wirtschaftliches Verhalten zu studieren, werden seit den 1990er Jahren verstärkt soziale Experimente verwendet: Aber auch diese haben Grenzen; Menschen wissen fast immer, dass sie an einem Experiment teilnehmen. So ist es praktisch dauerhaft unmöglich, echte Zufallsstichproben (englisch: random sample) zu erhalten.

      Exkurs: Ökonomie als Wissenschaft

      Für die historisch junge Disziplin Volkswirtschaftslehre gibt es eine fast unüberschaubare Anzahl von Definitionen oder Definitionsversuchen (genau wie für die „alte Religion“). Dies ist insoweit nicht überraschend, als die drei wichtigsten ökonomischen Denker Adam Smith und Karl Marx Philosophen waren und John Maynard Keynes aus der Mathematik kam.

      Eine Hauptrichtung der Volkswirtschaftslehre stellt auf sozialwissenschaftliche Aspekte ab, indem z.B. neben der Produktion ebenso auf die Verteilung Bezug genommen wird. Die in der Lehre an Hochschulen dominantere Strömung – jedenfalls für die Studenten, für die VWL nur ein Nebenfach ist – geht auf Lionel Robbins aus den frühen 1930er Jahren zurück: Ökonomie ist hier „die Wissenschaft, die das menschliche Handeln als Verhältnis zwischen Zwecken und knappen Mitteln, für die es alternative Verwendungen gibt, untersucht.“[16]Anders ausgedrückt: Ökonomie wird verkürzt auf knappe Ressourcen, die eingesetzt werden in dem Bestreben, a priori grenzenlose Begierden zu befriedigen. Beachten Sie, dass Argumentationen, die auf Knappheit beruhen, keiner Werturteile bedürfen.

      Die Volkswirtschaftslehre wird klassischerweise in die Teilgebiete Mikro- und Makroökonomie unterteilt. Eine alternative „Aufteilung“ der Volkswirtschaftslehre ist die in WirtschaftstheorieWirtschaftstheorie, WirtschaftspolitikWirtschaftspolitik und FinanzwissenschaftFinanzwissenschaft. An deutschen Hochschulen wird üblicherweise die Mikroökonomie zuerst gelehrt, bevor die Makroökonomie Gegenstand des Studiums wird. Der Begriff Makroökonomie ist historisch gesehen noch sehr jung; er wurde das erste Mal in den 1930er Jahren verwendet.

      Bemerkung:

      Es ist in der Tat immer eine Frage der Perspektive(n), wie sich einem Gegenstand wissenschaftlich genähert wird: Die Steuerwissenschaft als Querschnittsteilwissenschaft von Volkswirtschaftslehre und Betriebswirtschaftslehre wird üblicherweise in die drei Teildisziplinen Finanzwissenschaftliche Steuerlehre, Steuerrechtswissenschaft und Betriebswirtschaftliche Steuerlehre unterteilt. Gelegentlich wird als vierter Bereich die Staats- bzw. Verfassungslehre genannt. Eine „trennscharfe“ Abgrenzung der einzelnen Fachwissenschaften ist dabei praktisch unmöglich.

      Ökonomie ist immer auch eine historische Wissenschaft. Das kann man gut nachvollziehen, wenn man die erste und die letzte Auflage von Paul Samuelsons Buch „Economics“ nebeneinanderlegt. Samuelsons Buch, das 1948 in erster Auflage erschien, ist „die Mutter“ aller modernen VWL-Lehrbücher, d.h., dass fast alle zeitgenössischen einführenden Lehrbücher der VWL durch das Buch von Samuelson und seinen späteren Co-Autor William Nordhaus geprägt sind. Bis zu Samuelsons Tod im Jahr 2009 konnte das Werk, das immer noch überarbeitet und verlegt wird, somit auf 60 Jahre eigene Entwicklung zurückblicken. Paul Samuelson war einerseits einer der Väter der „mathematisierten“ modernen VWL, anderseits konnte er aber ein Lehrbuch schreiben, in dem nicht nur eine einfache Sprache verwendet und auf „zu komplizierte“ Mathematik verzichtet wurde und dafür die ökonomischen Fragestellungen im Vordergrund stehen.1 Auch machte er Probleme einer verkürzten Lehrbuchökonomie klar, als er formulierte: „John D. Rockefeller’s dog may receive the milk that a poor child needs to avoid rickets. Why? Because supply and demand are working badly? No. Because they are doing what they are designed to do, putting goods in the hands of those who can pay the most.”[17] Hier ist zunächst nur von Effizienz die Rede, nicht von Fairness (die von Samuelson später behandelt wird).

      Unsere Art zu denken ist naturgemäß von unserer Ausbildung und den unser Studium prägenden Texten bestimmt. Sie können dies rasch verifizieren, wenn Sie über eine hinreichend große „Stichprobe“ von z.B. Juristen, Maschinenbauingenieuren, Musikern, Ökonomen und Ärzten in Ihrem Bekannten- und Freundeskreis verfügen, um festzustellen, dass jede dieser Berufsgruppen bzw. ihr Denken auf besondere Art durch das davor gelegene Fachstudium geprägt wurde. Paul Samuelson war sich der Bedeutung dessen, was er tat, sehr bewusst: So führte er bereits im Jahre 1948 aus „I don’t care who writes a nation’s laws – or crafts its advanced treatise […] if I can write its economics textkooks.”[18]

      Bezüglich der Ökonomie bzw. ihrer Teildisziplinen können wir kurz festhalten, dass sich diese natürlich wissenschaftlicher Methoden vor allem aus der (mathematischen) Statistik und der Optimierung bedient, dass ihr „Fundament“ aber sowohl orts- als auch zeitveränderlich ist und dass es sich um eine Sozialwissenschaft handelt. Experimente können nicht in unverändertem Versuchsaufbau wiederholt werden: Menschen können, frei nach Heraklit, immer noch nicht zweimal in denselben Fluss steigen.

      Gregory Mankiw, Verfasser des in der Einleitung erwähnten Lehrbuchs der Makroökonomie, eröffnet sein Werk mit einem kommentierten Zitat von John Maynard Keynes:

      „‚An economist must be ‚mathematician, historian, statesman, philosopher, in some degree … as aloof as incorruptible as an artist, yet sometimes as near to the earth as a politician.‘[…] No single statement summarizes better what it means to be an economist.”

      Die angelsächsische Sicht- und Betrachtungsweise sozialer Phänomene unterscheidet sich oft fundamental von der kontinentaleuropäischen und im Speziellen der deutschen

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