Blut für Gold. Billy Remie
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Er fühlte sich, als wäre eine Armee über ihn drüber getrampelt, seine Augen brannten, seine Zunge war pelzig und sein Atem schmeckte sauer. Er hatte Durst und Hunger, ihm war kalt und er wusste, dass in wenigen Stunden sein Vater hingerichtet wurde.
Alles in ihm schrie danach, einen Ausweg aus diesem Loch zu suchen, sich eine Waffe zu besorgen und seinen Vater zu befreien. Doch er war nicht allein, er hatte eine Verantwortung für Veland, den er nicht einfach in den Selbstmord mitziehen konnte. Er hatte ein Versprechen gegeben. Außerdem würde er ohnehin nichts ausrichten können, selbst wenn Veland nicht bei ihm wäre.
Er blieb noch eine Weile sitzen, streichelte den Rücken seines kleinen Bruders, dessen Brust sich unter ruhigen Atemzügen dehnte und senkte. Das Gefühl, wie er auf ihm lag, atmete, lebendig war und Schutz suchte, tröstete Darcar. V roch so gut, immer schon, nach Zuhause, nach Familie, dass es Darcar beinahe die Tränen in die Augen trieb.
Vor dem Fenster erhob sich das erste Licht des Tages. Ein schicksalhafter Tag. Darcar lehnte den Kopf an die Wand, von der die Verkleidung abgeplatzt war, und beobachtete, wie sich die Sonne über dem Rattenloch erhob. Er hatte einen dicken Kloß im Hals, und doch wollten ihm keine Tränen kommen. Es wäre leichter gewesen, hätte er weinen können. Denn an diesem Morgen würde man ihn seines Vaters endgültig berauben. Und er saß fest.
*~*~*
Mit dem Topf unter dem Arm und dem Messer unter dem Mantel wagte er es schließlich, im trüben Winterschein hinaus zu gehen. Der Tau hatte die Ruinen weiß getüncht, die Straßen waren glatt vom Frost, und der Himmel hatte sich nach dem Sonnenaufgang beinahe augenblicklich mit hellgrauen Wolken zugezogen. Doch es war windstill geworden, wodurch die feuchte Kälte einigermaßen erträglich war.
Dennoch spürte Darcar deutlich bei jedem Schritt, wie steif seine Gliedmaßen waren, als ob sich der Frost auf seine Gelenke gelegt hätte. Er wusste, dass er und sein Bruder dringend ins Warme und Trockene mussten, eine weitere Nacht würden sie nicht überstehen. Nicht, ohne Schäden zu nehmen. Und er ahnte, dass bereits eine Erkältung sie umbringen könnte, denn sie würden hier wohl kaum eine Apotheke oder einen Arzt finden.
Nein, ihr Leben hatte sich von Grund auf verändert. Es war, als ob man sie in der Wildnis ausgesetzt hätte. Die Gebäudekulisse war nur ein Trugschluss, ebenso gut hätten sie im Wald gestrandet sein können. Bis auf, dass sie in der freien Natur vermutlich viel mehr Pflanzen und Tiere, aber vor allem saubere Wasserquellen gefunden hätten. Das Rattenloch war ein Todesloch.
Seit dem Morgen knurrte Darcars Magen lautstark und unaufhörlich. Obwohl sich seine Glieder steif anfühlten, war er schwach auf den Beinen. Doch er verspürte noch immer keinen Appetit, wenn er an Essen dachte, wurde ihm übel. Nur der Durst war nagend.
»Bleib dicht an meiner Seite«, sagte er zu Veland. Er hatte ihn nicht noch einmal allein lassen können, vermutlich hätte Veland ohnehin lautstark protestiert und wäre ihm einfach gefolgt. Nun liefen sie dicht an dicht durch die leergefegten Straßen. Darcar fühlte sich bei Tag wesentlich sicherer als bei Nacht. Er hoffte darauf, dass die Banden erst bei Einbruch der Dämmerung aus ihren Löchern krochen. Dann würden er und Veland längst wieder in ihrem Versteck sein. Er überlegte auch, die Bibliothek zu verlassen und jeden Tag ein neues Lager in einem anderen Unterschlupf zu suchen, immer wandernd, um das Risiko, entdeckt zu werden, zu minimieren.
Darcar versuchte, sichere Wege zum Kanal zu finden, doch dadurch verlief er sich, da die Ruinen bei Tageslicht anders aussahen als bei Nacht. Wobei er gestehen musste, dass er nicht so clever gewesen war, gestern auf seinen Weg zu achten, er war schlicht vor jedem Geräusch davongelaufen, ohne sich etwas einzuprägen. Schließlich mussten sie doch einige Male über Sackgassenmauern oder durch eingeschlagene Fenster klettern und auf Zehenspitzen verlassene Gebäude durchqueren, um zum Rande des Viertels zu gelangen. Veland beklagte sich nicht darüber, dass Darcar ihn durch die Ruinen führte und ihn immer wieder hochhob, um über Hindernisse zu klettern. Er war dick eingepackt in seinen dunklen Wollpullover und seinen langen Schal, den Darcar so oft um seinen kleinen Hals gewickelt hatte, dass der bauschige Stoff Vs kleinen Kopf regelrecht verschluckte. Rosig, lieblich leuchteten seine zarten Wangen und die Stupsnase, Atemwolken traten aus seinen rissigen Lippen. Darcar wünschte, er hätte Melkfett auftreiben können, um Vs blutige, rissige Lippen damit einzucremen. Hin und wieder blieb er trotzdem stehen, um im warmen Schutz eines verlassenen Hauses Velands kleine Hände in seine zu nehmen, sie sacht zu reiben und solange anzuhauchen, bis sie sich nicht mehr wie Eiszapfen anfühlten. Es war beängstigend, wie schnell sie eiskalt wurden, doch Veland behauptete, es gar nicht zu bemerken, wehrte sich jedoch auch nicht gegen Darcars Führsorge.
Als sie endlich am Kanal ankamen, stahl sich ein Sonnenstrahl durch die Wolkendecke und glitzerte auf dem Wasser. Die Nacht war wärmer gewesen als die Nächte zuvor, denn die Eisdecke war aufgebrochen und auf der Wasseropferfläche schwammen nur noch vereinzelte Platten dünnes Eis.
»Bleib hier«, sagte Darcar zu Veland und deutete auf die verrostete Eisenstühlen in romantischer Optik, die noch vor einem verlassenen Kaffeehaus standen. V ging zögerlich dorthin, aber blickte immer wieder zurück zu Darcar, als befürchtete er jeder Zeit, dieser könnte davonlaufen.
»Ich bin direkt hier«, versicherte Darcar und deutete zum Bordstein, der neben dem Wasserkanal entlangführte. »Ich bleib in deinem Blickfeld.« Er wollte nur nicht, dass Veland in das eiskalte Wasser fiel.
Dieser Ort wirkte bei Tag viel größer, die andere Seite, wo sich die Mauer auftat und einen langen Schatten ins Viertel warf, wäre nur mittels eines Bootes oder einer Brücke zu erreichen gewesen. Darcar stand bei diesem Wetter wenig der Sinn, zu schwimmen. Doch selbst, wenn er wagemutig genug gewesen wäre, hinüber zu gelangen, hätte ihn die hohe Mauer vor ein buchstäblich unüberwindbares Hindernis gestellt.
Es gab keinen Ausweg.
Und dennoch konnte Darcar nicht aufhören, die Mauer immer wieder kritisch zu betrachten, wie einen Feind, den er studierte. Er ging zum Wasser und hockte sich an den Rand des Kanals. Er musste sich nicht weit hinunter bücken, er war randvoll. Allerdings war der Topf so stark geschwärzt, dass er ihn erst einmal auswaschen musste. Das dauerte länger als vermutet und Darcar verzweifelte bereits, weil er den Ruß trotz aller Mühe nicht weggewaschen bekam. Und das Wasser war so eiskalt, dass es ihm die Finger abzufressen drohte. Immer wieder musste er innehalten und seine Hände unter seinen Achseln aufwärmen. Dass es mal solch eine Tortur sein würde, nur um etwas zu Trinken zu bekommen, hätte er in seinem Leben niemals gedacht. Ein Glas Wasser. Es war für ihn selbstverständlich gewesen, ein Glas Wasser zu bekommen und es auszutrinken, wann immer er Durst hatte. Nun würde er beinahe töten dafür, um seinen und Velands Durst zu stillen.
Eine Bewegung im Augenwinkel ließ ihn erschrocken das Gesicht herumwerfen, sodass ihm seine schwarzen Haarspitzen in die Stirn fielen. Er blinzelte, da er das Gesehene für eine Illusion hielt. Doch er irrte sich. Was er sah, war vollkommen real.
Ein Junge, etwa siebzehn, aschblondes Haar, das dringend an den Seiten und im Nacken gestutzt werden müsste, balancierte mitten auf dem Kanal auf einem Floß und stach mit einer selbst gebauten Harpune aus alten Eisenresten und einem Fahnenmast nach Ratten, die im Wasser schwammen.
Als Darcar die Tiere bemerkte, die fast so groß wie Katzen waren und von dem anderen Jungen unabsichtlich in seine Richtung getrieben wurden, schnellte er vor dem Kanal zurück, als hätte das Wasser nach ihm geschnappt. Er verlor das Gleichgewicht und fiel auf den Hintern, den Topf hatte er in der Luft losgelassen, sodass er lautscheppernd neben ihm auf den Boden schlug.
Mit