Middlemarch. George Eliot

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Middlemarch - George Eliot

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Eindruck richtig gewesen sei. Er war wirklich so, wie sie sich ihn nach der ersten Bekanntschaft vorgestellt hatte; fast jedes Wort, das er gesprochen hatte, erschien ihr wie ein aus den Tiefen eines Bergwerks zu Tage gefördertes Stück Erz oder wie eine Inschrift über der Eingangstür eines Museums von Schätzen vergangener Jahrhunderte; und dieses unbedingte Vertrauen auf seinen geistigen Reichtum befestigte sich bei Dorotheen nur um so mehr und wirkte nur um so nachhaltiger auf ihre Neigung, als es ihr jetzt klar war, daß seine Besuche ihr galten.

      Dieser ausgezeichnete Mann ließ sich herab, an ein junges Mädchen zu denken, sich die Mühe zu geben, sich mit ihr zu unterhalten, nicht in absurden Komplimenten, sondern mit einem Appell an ihr Verständnis und bisweilen mit instruktiven Berichtigungen. Welch eine köstliche Gesellschaft! Herr Casaubon schien nicht einmal zu wissen, daß es Trivialitäten gebe, und ließ sich niemals herbei, jenes kleine Geschwätz ernster Männer zu debitieren, welches ungefähr so angenehm ist, wie ein Stück altgewordenen Hochzeitskuchens, das nach dem Schranke riecht. Er sprach nur, wenn ihn etwas interessierte, sonst schwieg er oder verneigte sich, wo es das Gespräch unerläßlich machte mit melancholischer Höflichkeit.

      In Dorotheen's Augen war das eine verehrungswürdige Aufrichtigkeit und eine religiöse Enthaltung von jener Künstlichkeit des Wesens, welche mit ihren Anstrengungen, etwas zu scheinen, was man nicht ist, die Seelenkraft aufzehrt. Denn sie blickte zu Herrn Casaubon's religiöser von ihr unerreichter Hoheit nicht minder ehrfurchtsvoll auf, als zu seiner geistigen Bedeutung und zu seinem Wissen. Er stimmte ihren Ausdrücken frommer Empfindung und zwar gewöhnlich mit einem passenden Zitate bei, ließ sich so weit herab, zu sagen, daß er in seiner Jugend einige Seelenkonflikte durchzumachen gehabt habe; kurz Dorothea sah, daß sie bei diesem Manne auf Verständnis, Sympathie und geistige Führung würde rechnen können.

      In Betreff eines, aber auch nur eines ihrer Lieblingsthemata fand sie sich enttäuscht. Herr Casaubon hatte augenscheinlich kein Interesse für die Errichtung von Wohnungen und lenkte das Gespräch auf die außerordentliche Beschränktheit der Wohnungen der alten Ägypter, als wolle er der Anlegung eines zu hohen Maßstabes absichtlich entgegentreten.

      Als er sie wieder verlassen, dachte Dorothea nicht ohne Aufregung seiner Indifferenz in Betreff dieser Angelegenheit nach; sie suchte eifrig nach Argumenten zu Gunsten ihres Lieblingsplans und fand dieselben in den Verschiedenheiten des Klima's, mit ihren, die menschlichen Bedürfnisse modifizierenden Wirkungen und in der bedrückenden Grausamkeit heidnischer Despoten. Sollte sie nicht diese Argumente gegen Herrn Casaubon geltend machen, wenn er sie wieder besuchen würde?

      Aber bei weiterem Nachdenken erschien es ihr anmaßend, seine Aufmerksamkeit für einen solchen Gegenstand in Anspruch zu nehmen; er würde nichts dagegen haben, daß sie sich damit in freien Augenblicken beschäftige, wie andere Frauen sich mit ihrer Toilette und mit Handarbeiten beschäftigen, – er würde es nicht verbieten, wenn – Dorothea konnte sich eines Gefühls der Scham nicht erwehren, als sie sich auf diesen Gedanken ertappte. Aber ihr Onkel hatte eine Einladung erhalten, ein paar Tage in Lowick zuzubringen! War es anzunehmen, daß Herr Casaubon an der Gesellschaft des Herrn Brooke, mit oder ohne Dokumente, um seiner selbst willen, Gefallen finde?

      Inzwischen ließ diese kleine Enttäuschung sie die Bereitwilligkeit Sir James Chettam's, die von ihr so sehnlich herbeigewünschten Verbesserungen ins Werk zu setzen, nur um so höher schätzen. Er kam jetzt viel öfter als Herr Casaubon, und Dorothea fand ihn nicht mehr unangenehm, seit er es mit der guten Sache so ernst nahm; denn er war bereits mit vielem praktischen Geschick auf die Voranschläge Lovegood's eingegangen und zeigte sich von einer höchst liebenswürdigen Gelehrigkeit. Sie schlug ihm vor, ein paar kleine Arbeiterwohnungen bauen zu lassen und dieselben zwei Familien einzuräumen, deren Hütten man dann niederreißen könnte, um auf demselben Grund und Boden neue Wohnungen zu errichten. Sir James sagte »Vollkommen richtig,« und dieses Mal war ihr das Wort nichts weniger als fatal.

      Solche Männer, die so wenig eigene Ideen hatten, konnten gewiß sehr nützliche Mitglieder der Gesellschaft werden, wenn sie in der Wahl ihrer Schwägerinnen glücklich waren! Es möchte schwer zu sagen sein, ob nicht ein wenig Eigensinn dabei im Spiele war, wenn Dorothea sich dem Gedanken an die Möglichkeit, daß es sich bei Sir James in Bezug auf sie um etwas anderes als um Verschwägerung handele, beharrlich verschloss. Aber ihr Leben war grade jetzt voll Hoffnung und Tätigkeit; sie beschäftigte sich nicht nur mit ihren Plänen, sondern holte sich gelehrte Bücher aus der Bibliothek ihres Onkels, las rasch vielerlei, um etwas weniger unwissend in ihren Unterhaltungen mit Herrn Casaubon erscheinen zu können, und sah sich fortwährend von Gewissensskrupeln darüber heimgesucht, ob sie sich nicht die Verdienstlichkeit ihrer armseligen Tätigkeit maßlos übertreibe, wenn sie auf dieselbe mit einer Genugtuung blicke, welche das Zeichen der tiefsten Unwissenheit und Torheit sei.

      4

      1st Gent. Our deeds are fetters that we forge ourselves.

      2nd Gent. Ay, truly: but I think it is the world

      That brings the iron.

      Sir James scheint entschlossen, Alles zu tun, was Du wünschest,« sagte Celia zu Dorotheen, als sie von einer Besichtigung des neuen Baugrundes nach Hause fuhren.

      »Er ist ein guter Mensch und verständiger, als man es ihm zutrauen würde,« erwiderte Dorothea unbedachterweise.

      »Du findest also, daß er den Eindruck eines dummen Menschen macht.«

      »O nein,« entgegnete Dorothea, indem sie der Unvorsichtigkeit ihrer Äußerung inne wurde und Celia's Hand einen Augenblick mit der ihrigen bedeckte, »er spricht nur nicht über alle Dinge gleich gut.«

      »Das tun auch, glaube ich, nur unangenehme Menschen,« sagte Celia in ihrer gewöhnlichen schnurrenden Weise. »Es muß schrecklich sein, mit solchen Menschen zu leben, denke doch nur, vom frühen Morgen bis zum späten Abend gut reden hören!«

      Dorothea lachte. »O, Kitty, Du bist einzig!« Dabei kniff sie Celia ins Kinn und war ganz in der Stimmung, sie höchst anmutig und liebenswürdig zu finden, zu denken, daß sie recht dazu gemacht sei, dereinst im Himmel ein Cherub zu sein, und wenn es nicht unchristlich gewesen wäre, einer solchen Vorstellung Raum zu geben, daß sie der Erlösung kaum bedürftiger erscheine als ein Eichhörnchen. »Natürlich brauchen Menschen nicht immer gut zu sprechen. Nur schließt man aus der Art, wie ihnen der Versuch, gut zu reden, gelingt, auf ihren geistigen wert.«

      »Du willst damit sagen, daß Sir James seine Versuche, gut zu reden, mißlingen.«

      »Ich rede ganz im Allgemeinen. Warum katechisierst Du mich über Sir James? Es ist ja nicht seine Lebensaufgabe, mir zu gefallen.«

      »O, Dora, glaubst Du das wirklich?«

      »Gewiß. Er sieht mich wie eine künftige Schwester an, das ist Alles.«

      Dorothea hatte diese ihre Auffassung bisher nie gegen Celia auch nur angedeutet; sie wollte, aus einer gewissen Scheu, solche Dinge zu besprechen, damit warten, bis irgend ein entscheidendes Ereignis die Veranlassung dazu böte.

      Celia errötete, erwiderte aber sofort:

      »Ich bitte Dich, Dora, gib Dich dieser Täuschung nicht länger hin. Tantripp erzählte mir neulich beim Frisieren, Sir James' Diener wisse von Frau Cadwallader's Dienstmädchen, daß Sir James das älteste Fräulein Brooke heiraten werde.«

      »Wie kannst Du Dir von Tantripp solches Zeug vorschwatzen lassen, Celia?« rief Dorothea entrüstet und nicht weniger erzürnt, weil Celia's Mitteilung in ihrem Gedächtnis schlummernde Erinnerungen geweckt hatte, welche die Wahrheit der unwillkommenen Enthüllung bestätigten. »Du

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