Middlemarch. George Eliot

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Middlemarch - George Eliot

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war es ihr freilich so vorgekommen, als ob Dora einen Mann vielleicht nicht glücklich machen würde, der nicht ihre Art, die Dinge anzusehen, teilte, und im tiefsten Inneren ihres Herzens schlummerte der Gedanke, daß ihre Schwester sich zu ausschließlich in religiösen Ideen bewege, um für das Familienleben gemacht zu sein. Religiöse Ideen und Gewissensskrupel erschienen ihr wie verschüttete Nadeln, aus Furcht vor welchen man sich scheut, auf den Fußboden zu treten, sich niederzusetzen und selbst zu essen.

      Als »die Herren sich zum Tee wieder zu den Damen gesellten, setzte sich Sir James, welcher Dorotheen's Art, ihm zu antworten, durchaus nicht als verletzend empfunden hatte, zu ihr. Warum sollte er auch. Er schmeichelte sich mit der Hoffnung, daß Dorothea ihn gern habe, und wenn wir Jemandem eine vorgefaßte, sei es günstige oder ungünstige Meinung, entgegenbringen, so muß das Benehmen desselben schon sehr prononciert sein, wenn unsre Meinung in dem einen oder dem andern Sinne dadurch erschüttert werden soll. Er fand sie durchaus liebenswürdig gegen ihn; aber natürlich sah er sich doch veranlaßt, über seine Neigung ein wenig nachzudenken.

      Er war eine durchaus gesunde Natur und hatte die seltene Eigenschaft der Selbsterkenntnis. Er war sich vollkommen bewußt, daß er mit seinen Talenten, auch wenn er sie zur vollsten Geltung bringen könnte, nichts in der Welt ausrichten würde. Daher lächelte ihm die Aussicht auf den Besitz einer Frau, zu der er sagen könnte: »Was sollen wir in dieser oder jener Angelegenheit tun,« welche ihrem Manne mit Argumenten aushelfen und diesen Argumenten durch ihr Vermögen den gehörigen Nachdruck geben könnte.

      Was das von den Leuten gegen Dorothea erhobene Bedenken religiöser Exzentrizität betraf, so hatte er eine sehr vage Vorstellung von dem Wesen dieser Exzentrizität und hielt dafür, daß dieselbe sich in der Ehe ganz verlieren würde. Kurz, er glaubte sich sagen zu dürfen, daß der Gegenstand seiner Neigung ganz für ihn gemacht sei, und war vollkommen daraus gefaßt, sich in der Ehe von seiner Frau ein gut Teil Herrschaft gefallen zu lassen, die ja ein Mann doch am Ende jederzeit wieder abschütteln könne.

      Aber es schien Sir James völlig unmöglich, daß er je in den Fall kommen könnte, sich der Herrschaft dieses schönen jungen Mädchens, dessen Geist ihn entzückte, entziehen zu wollen. Warum auch? Der Geist eines Mannes, mag er übrigens beschaffen sein, wie er will, hat doch immer den Vorzug, männlich zu sein, – wie die kleinste Birke immer einer höheren Gattung angehört als eine noch so hoch in die Lüfte strebende Palme, – und selbst seine Unwissenheit hat doch immer etwas Gesünderes.

      Sir James würde vielleicht nicht von selbst auf diese Würdigung seiner Persönlichkeit gekommen sein, aber die gütige Vorsehung versieht auch die Schwächsten an Geist mit einem kleinen Halt in Gestalt von überkommenen Vorstellungen.

      »Ich darf doch wohl hoffen, Fräulein Brooke,« sagte ihr beharrlicher Bewunderer, »daß Ihr Entschluss in Betreff des Pferdes nicht unwiderruflich ist. Ich versichre Sie, Reiten ist die gesündeste Körperbewegung.«

      »Das weiß ich,« erwiderte Dorothea kalt. »Ich glaube, es würde für Celia sehr gut sein.«

      »Aber Sie sind eine so vorzügliche Reiterin.«

      »O nein, ich habe sehr wenig Übung gehabt und Ihr Pferd würde mich sehr leicht abwerfen.«

      »Das wäre ja nur ein Grund mehr für Sie, sich zu üben. Jede Dame sollte eine perfekte Reiterin sein, um ihren Mann auf seinen Ausflügen zu Pferde begleiten zu können.«

      »Sehen Sie nur, wie weit unsere Ansichten auseinandergehen, Sir James. Ich bin zu der Überzeugung gelangt, daß es sich für mich nicht schicken würde, eine perfekte Reiterin zu sein, und so würde ich Ihrem Muster einer Dame niemals entsprechen können.«

      Dorothea sagte das, indem sie gerade vor sich hinblickte, in einem kalten schroffen Tone und sah dabei in ergötzlichem Kontraste zu der beflissenen Liebenswürdigkeit ihres Bewunderers wie ein trotziger Junge aus.

      »Ich möchte wohl Ihre Gründe für diesen grausamen Entschluss kennen. Unmöglich können Sie doch das Reiten für etwas Unrechtes halten«

      »Es ist gar nicht unmöglich, daß ich es für mich als etwas Unrechtes betrachte.«

      »Warum denn das?« fragte Sir James in einem zärtlich vorwurfsvollem Tone.

      Inzwischen war Herr Casaubon, seine Teetasse in der Hand haltend, an den Tisch heran getreten und hörte dem Gespräche zu. »Wir dürfen den Motiven von Handlungen nicht zu neugierig nachforschen,« bemerkte er jetzt in seiner gemessenen Weise. »Fräulein Dorothea weiß, daß Motive leicht schwach erscheinen, wenn sie ausgesprochen werden: ihr Duft vermengt sich dann mit der gröberen Luft. Wir müssen daher den Keim unserer Handlungen sorgfältig vor dem Lichte der Außenwelt schützen.«

      Dorothea errötete vor Vergnügen und blickte dankbar zu Herrn Casaubon auf. Das war ein Mann, der ein höheres inneres Leben zu verstehen im Stande war und mit welchem ein geistiger Verkehr möglich erschien, ja ein Mann, welchem das reichste Wissen zur Unterstützung seiner Prinzipien zu Gebote stand, – ein Mann, dessen Wissen so umfassend war, daß es ihm fast für Alles, was er glaubte, die Beweise an die Hand gab. Dorotheen's Schlüsse mögen gewagt erscheinen, aber ohne diese Kühnheit der Schlussfolgerungen, welche das Eingehen von Ehen in den verwickelten Verhältnissen der Zivilisation so sehr erleichtert haben, würde das Leben zu allen Zeiten gestockt haben.

      »Gewiß,« stimmte der gute Sir James bei. »Ich will Fräulein Dorothea nicht drängen, ihre Gründe anzugeben, sie zieht es vor, dieselben zu verschweigen. Ich bin überzeugt, sie würden ihr, wenn sie sie ausspräche, nur zur Ehre gereichen.«

      Er war durchaus nicht eifersüchtig auf das Interesse, mit welchem Dorothea zu Herrn Casaubon aufgeblickt hatte, es kam ihm nicht in den Sinn, daß ein Mädchen, welchem er seine Hand anzubieten dachte, ein anderes Interesse an einem etwa fünfzigjährigen vertrockneten Bücherwurm nehmen könne, als das einer Art frommer Hochachtung für einen ausgezeichneten Geistlichen.

      Als sich indessen Fräulein Dorothea in eine Unterhaltung über die Geistlichkeit des Waadtlandes mit Herrn Casaubon vertieft hatte, zog Sir James es vor, sich zu Celia zu begeben und sich nun mit dieser über ihre Schwester zu unterhalten; er sprach von einem Hause in London und fragte Celia, ob Dorothea etwas gegen London habe. Von ihrer Schwester entfernt, sprach Celia ganz zwanglos, und Sir James dachte bei sich, das zweite Fräulein Brooke sei doch ein ebenso angenehmes wie hübsches Mädchen, wenn auch nicht, wie einige Leute behaupteten, gescheiter und verständiger als ihre ältere Schwester. Er war überzeugt, die in jeder Beziehung bedeutendere von beiden Schwestern gewählt zu haben, und welcher Mann wäre nicht darauf bedacht, sich die Beste zu sichern.

      3

      Say, goddess, what ensued, when Raphael,

      The affable archangel …

      Eve

      The story heard attentive, and was filled

      With admiration, and deep muse, to hear

      Of things so high and strange.

       Milton: Paradise Lost

      Wenn Herr Casaubon wirklich an Dorothea als an eine für ihn passende Frau dachte, so kam ihm bei dieser eine Geneigtheit entgegen, deren Motive schon ursprünglich in ihrer Seele wurzelten, und am nächsten Tage hatte diese Geneigtheit bereits Knospen und Blüten getrieben. Denn am Morgen dieses Tages hatten sie eine lange Unterhaltung mit einander gehabt, während Celia, welche die Gesellschaft des Herrn Casaubon mit seinen Muttermalen und seiner fahlen Gesichtsfarbe nicht liebte, nach

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