Middlemarch. George Eliot
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»Ich wenigstens glaube zuversichtlich,« sagte sich Celia, »daß das Tragen eines Halsbandes mich nicht in meinen Gebeten stören wird und ich sehe nicht ein, warum ich mich jetzt, wo wir Gesellschaften besuchen werden, durch Dorotheen's Ansichten gebunden fühlen sollte, wenn sie selbst auch natürlich durch dieselben gebunden ist. Aber Dorothea ist nicht immer konsequent.« Das waren Celiens Gedanken, als sie den Kopf auf ihre Stickerei gesenkt wieder dasaß, bis sie sich von ihrer Schwester gerufen hörte.
»Komm, Kitty, sieh Dir einmal meinen Plan an; ich werde mich für eine große Architektin halten, wenn ich nicht unmögliche Treppen und Kamine angelegt habe.«
Als Celia sich, dieser Aufforderung entsprechend, über das Blatt neigte, lehnte Dorothea liebkosend ihre Wange an den Arm ihrer Schwester. Celia verstand den Sinn dieser Liebkosung. Dorothea hatte eingesehen, daß sie Unrecht gehabt habe, und Celia verzieh ihr. So lange sie denken konnte, hatte in der Stimmung Celia's gegen ihre ältere Schwester eine Mischung von Ehrfurcht und Kritik gelegen. Die jüngere Schwester hatte stets ein Joch getragen; aber es gibt kein Geschöpf, welches ein Joch trüge, ohne wenigstens in seinen Ansichten seine Freiheit zu behaupten.
2
»›Dime; no ves aquel caballero que hacia nosotros viene sobre un caballo rucio rodado que trae puesto en la cabeza un yelmo de oro?‹ ›Lo que veo y columbro‹, respondio Sancho, ›no es sino un hombre sobre un as no pardo como el mio, que trae sobre la cabeza una cosa que relumbra‹. ›Pues ese es el yelmo de Mambrino‹, dijo Don Quijote.« – Cervantes.
»›Seest thou not yon cavalier who cometh toward us on a dapple-grey steed, and weareth a golden helmet?‹ ›What I see‹, answered Sancho, ›is nothing but a man on a grey ass like my own, who carries something shiny on his head‹. ›Just so‹, answered Don Quixote: ›and that resplendent object is the helmet of Mambrino.‹«
Mit Sir Humphrey Davy,« sagte Herr Brooke bei der Suppe in seiner behaglich lächelnden Weise, indem er an die Bemerkung Sir James Chettam's, daß er mit dem Studium von Davy's Agrikulturchemie beschäftigt sei, anknüpfte, »mit Sir Humphrey Davy habe ich vor Jahren bei Cartwright gegessen, und Wordsworth war auch da – Sie wissen der Dichter Wordsworth. Das war nun sonderbar. Ich hatte zugleich mit Wordsworth in Cambridge studiert und hatte ihn dort nie getroffen, und nun saß ich zwanzig Jahre später bei Cartwright mit ihm zu Mittag. Es passieren doch oft eigentümliche Dinge! Also Davy war da, und er war auch ein Dichter; oder, richtiger würde ich wohl sagen: Wordsworth war der Poet Nummer eins und Davy der Poet Nummer zwei. Das ist in jedem Sinne wahr.«
Dorothea fühlte sich bei diesen Reden ihres Onkels noch etwas unbehaglicher als gewöhnlich. Gerade im Anfang des Mittagessens bei einer so kleinen Gesellschaft, wo es noch still im Zimmer war, machten sich die Ergüsse des Herrn Brooke gar zu bemerklich. Sie fragte sich, wie wohl solche Trivialitäten auf einen Mann, wie Herrn Casaubon wirken müßten. Sein Wesen machte ihr einen sehr würdigen Eindruck. Sein stahlgraues Haar und seine tiefen Augenhöhlen ließen ihn dem Porträt Locke's ähnlich erscheinen. Seine Magerkeit und seine Blässe verkündeten den Gelehrten. Alles in Allem bildete er den schärfsten Gegensatz zu Sir James Chettam, welcher ein echter Repräsentant der Gattung blühender, rotbärtiger Engländer war.
»Ich studiere die Agrikulturchemie,« sagte der vortreffliche Baronet, »weil ich im Begriff stehe, die Bewirtschaftung eines meiner Pachthöfe selbst zu übernehmen, um zu sehen, ob ich nicht durch Herstellung einer Musterwirtschaft auf meine Pächter wirken kann. Halten Sie das für richtig, Fräulein Brooke?«
»Sehr verkehrt, Chettam,« schaltete Herr Brooke ein. – »Ich halte es für ganz verkehrt, Ihre Elektrizität und mehr dergleichen Geschichten in Ihren Boden hinein zu praktizieren und einen Salon aus ihrem Kuhstall zu machen. Ich tue so etwas nicht. Ich habe mich seiner Zeit selbst sehr viel mit der Wissenschaft beschäftigt, aber ich habe eingesehen, daß die Sache nicht geht. Wenn man einmal mit dem Experimentieren anfängt, so ist gar kein Ende abzusehen. Nein, nein, achten Sie nur darauf, daß Ihre Gutsleute Ihr Stroh nicht verkaufen und was dergleichen mehr ist; und geben Sie ihnen Drainir-Röhren, wissen Sie. Aber mit Ihrer Musterwirtschaft ist es nichts, das ist das teuerste Spielzeug, das Sie sich anschaffen können; dafür können Sie sich eine Meute Hunde halten.«
»Es ist aber doch sicherlich besser,« bemerkte Dorothea, »Geld für Versuche auszugeben, die man anstellt, um zu erproben, wie die Menschen den Boden, der sie Alle ernährt, am ergiebigsten machen können, als für Hunde und Pferde, die diesen Boden nur zerstampfen. Es ist keine Sünde, sich bei der Anstellung von Versuchen zum Wohle Aller arm zu machen.«
Sie drückte sich energischer aus, als man es von einer so jungen Dame erwartet haben würde, aber Sir James hatte sich ja direkt an sie gewendet. Er tat das gewöhnlich, und sie hatte schon oft daran gedacht, daß sie ihn zu vielen guten Handlungen würde bewegen können, wenn er erst ihr Schwager wäre.
Herr Casaubon heftete seine Blicke sehr fest auf Dorothea, während sie sprach, und schien sie auf's Neue zu beobachten.
»Junge Damen verstehen nichts von Nationalökonomie, wissen Sie,« sagte Herr Brooke, indem er Herrn Casaubon zulächelte. »Ich erinnere mich noch sehr wohl der Zeit, wo wir Alle Adam Smith lasen, das ist ein Buch! Ich nahm seiner Zeit alle die neuen Ideen in mich auf, die menschliche Vervollkommnungsfähigkeit, wissen Sie. Aber Einige behaupten, daß die Geschichte einen Kreislauf beschreibe, eine Behauptung, für welche sich gewiß sehr viel sagen läßt. Ich habe mich selbst zu dieser Ansicht bekannt. Die menschliche Vernunft läßt uns wirklich gar zu leicht über das Ziel schießen, wirklich gar zu leicht. Ich habe mich auch seiner Zeit zu weit von ihr hinreißen lassen, aber ich sah ein, daß es damit nicht geht, ich zog die Zügel noch rechtzeitig an, aber nicht zu heftig. Ich bin immer ein Freund von ein wenig Theorie gewesen. Wir können die Ideen nicht entbehren, sonst würden wir uns bald wieder in die finsteren Zeitalter zurückversetzt sehen. Aber da wir einmal von Büchern reden. Da ist ›Southey's Krieg in Spanien‹. Ich lese das des Morgens. Kennen Sie Southey?«
»Nein,« antwortete Herr Casaubon, welcher mit Herrn Brooke's sprudelndem Vortrag nicht Schritt zu halten vermochte und nur an das Buch dachte. »Es fehlt mir gerade jetzt an Muße für die Lektüre derartiger Bücher. Ich habe meine Augen letzthin bei der Entzifferung von alten Lettern sehr anstrengen müssen und suche jetzt einen Vorleser für die Abende, aber ich habe ein sehr empfindliches Ohr und würde es nicht ertragen können, mir mangelhaft vorlesen zu lassen. Das ist in mehr als einer Beziehung ein Unglück für mich; es macht auch, daß ich zu viel grüble und mich zu viel mit der Vergangenheit beschäftige. Mein Geist gleicht gewissermaßen dem abgestorbenen Geist eines Alten, der die Welt durchwandert und sie trotz aller Ruinen und verwirrenden Veränderungen zu rekonstruieren sucht, wie sie einstmals war. – Aber ich bin auf die äußerste Schonung meiner Sehkraft angewiesen.«
Es war das erste Mal, daß Herr Casaubon sich etwas ausführlicher ausgesprochen hatte. Er drückte sich mit großer Präzision aus, wie wenn er aufgefordert wäre, öffentlich etwas zu konstatieren; seine wohlerwogene monotone Redeweise, welche er mit einer gleichmäßigen Kopfbewegung begleitete, frappierte um so mehr, als sie den schärfsten Gegensatz zu der unordentlich abspringenden Manier des guten Herrn Brooke bildete. Dorothea dachte bei sich, Herr Casaubon sei der interessanteste Mann, der ihr noch je vorgekommen, selbst Herrn Liret, einen Waadtländischen Geistlichen, welcher in Lausanne Vorlesungen über die Waldenser gehalten hatte, nicht ausgenommen. Eine vergangene Welt im Hinblick auf die höchsten Zwecke der Wahrheit zu rekonstruieren – das war eine Arbeit, bei welcher zugegen und, – wäre es auch nur durch das Halten der Lampe – behilflich sein zu dürfen, des höchsten Preises wert erschien.
Dieser