Middlemarch. George Eliot

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Middlemarch - George Eliot

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unergründlichen Wissenschaft, welche wie ein Auslöscher auf ihr ganzes geistiges Bewusstsein wirkte, geneckt zu werden.

      »Sie reiten gern, Fräulein Brooke,« sagte Sir James gleich darauf, bei einer sich darbietenden Gelegenheit. »Ich hatte gehofft, Sie würden auch an dem Vergnügen der Jagd Geschmack finden. Wollen Sie mir nicht erlauben, Ihnen meinen Braunen zu schicken, um ihn einmal zu versuchen? Er ist darauf trainiert, von Damen geritten zu werden. Vorigen Sonnabend sah ich Sie die Anhöhe auf einem Gaule hinanreiten, der Ihrer nicht würdig war. Mein Reitknecht kann Ihnen den Corydon jeden Tag herbringen, wenn Sie nur die Güte haben wollen, die Zeit zu bestimmen.«

      »Ich danke Ihnen, Sie sind sehr gütig. Aber ich will das Reiten ganz aufgeben. Ich will gar nicht mehr reiten,« erwiderte Dorothea, die sich zu diesem brüsken Entschluss durch einen kleinen Verdruss darüber gedrängt fühlte, daß Sir James es versuchte, ihre Aufmerksamkeit in Anspruch zu nehmen, während sie dieselbe ganz Herrn Casaubon zuzuwenden wünschte.

      »Nein, das wäre zu hart,« entgegnete Sir James in einem Tone des Vorwurfs, der von einem lebhaften Interesse zeugte. »Ihre Schwester gefällt sich in Selbstquälerei, nicht wahr?« fuhr er fort, indem er sich an Celia wandte, welche an seiner rechten Seite saß.

      »Ich glaube ja,« antwortete Celia, mit allerliebstem Erröten ängstlich besorgt, nichts zu sagen, was ihrer Schwester nicht angenehm sein möchte. »Sie liebt es, Dinge aufzugeben.«

      »Wenn das wahr wäre, Celia, so wäre ja mein Aufgeben eine Nachgiebigkeit gegen mich selbst und keine Selbstquälerei. Aber es kann sehr gute Gründe geben, sich zu entschließen, etwas sehr Angenehmes nicht zu tun,« sagte Dorothea.

      Zu gleicher Zeit sprach auch Herr Brooke; aber Herr Casaubon war augenscheinlich ganz in die Beobachtung Dorotheen's vertieft, was dieser keineswegs entging.

      »Vollkommen richtig,« erwiderte Sir James auf die letzte, Bemerkung Dorotheen's. »Sie geben die Dinge aus edlen und großen Motiven auf.«

      »Nein, das ist doch nicht ganz richtig. Das habe ich keineswegs von mir behauptet,« entgegnete Dorothea errötend.

      Anders als Celia errötete sie nur selten und nur, wenn sie entzückt oder zornig war. In diesem Augenblick war sie entrüstet über Sir James' zudringliche Verbindlichkeit. Warum machte er nicht Celien den Hof und ließ sie in Ruhe Herrn Casaubon zuhören? – Wenn dieser gelehrte Mann nur selbst reden wollte, anstatt sich von ihrem Onkel etwas vorreden zu lassen, der ihm eben jetzt auseinander setzte, daß man sich bei dem Worte: »Reformation« etwas oder nichts zu denken habe, daß er selbst zwar mit Leib und Seele Protestant, daß aber der Katholizismus eine Tatsache sei und daß, wenn es sich frage, ob Jemand Recht tue, einen Acker seines Landes für eine römisch-katholische Kapelle zu verweigern, man bedenken müsse, daß alle Menschen des Zügels der Religion, welche genau genommen die Furcht vor dem Jenseits bedeute, bedürften.

      »Ich habe mich auch einmal sehr ernst mit Theologie beschäftigt,« sagte Herr Brooke, wie wenn er sich über den Erwerb der eben kundgegebenen tiefen Einsicht von dem Wesen der Religion, ausweisen wollte. »Ich bin so ziemlich über die Lehren aller theologischen Schulen unterrichtet. Ich habe Wilberforce in seiner besten Zeit gekannt. Kennen Sie Wilberforce?«

      Herr Casaubon verneinte die Frage.

      »Nun Wilbersorce war vielleicht kein großer Denker, aber wenn ich je ins Parlament eintreten sollte, wie ich es zu tun gebeten worden bin, würde ich, wie Wilberforce es seinerzeit tat, meinen Platz auf der Seite der Unabhängigen einnehmen und für philanthropische Zwecke wirken.«

      Herr Casaubon verneigte sich zustimmend und bemerkte, das sei ein sehr weites Gebiet.

      »Gewiß,« erwiderte Herr Brooke, behaglich lächelnd, »aber ich kann mich auf Dokumente stützen. Seit Jahren habe ich mir eine Sammlung von Dokumenten angelegt – Sie müssen nur noch geordnet werden. – So oft mich eine Frage frappiert hat, habe ich deswegen an Jemanden geschrieben und immer eine Auskunft erhalten; ich kann mich also auf Dokumente stützen; aber sagen Sie mir doch, wie ordnen Sie Ihre Dokumente?«

      »Teilweise in Fächern,« erwiderte Herr Casaubon mit einem mühsam unterdrückten Ausdruck der Verwunderung.

      »Ach, mit Fächern geht es nicht. Ich habe es mit Fächern versucht; aber in Fächern kommt Alles durcheinander. Ich weiß nie, ob ein Papier in Fach oder in Fach Z liegt.«

      »Ich wollte, Du ließest mich Deine Papiere für Dich ordnen, Onkel,« sagte Dorothea. »Ich würde sie Alle mit Buchstaben versehen, und dann ein alphabetisch geordnetes Verzeichnis der in den Papieren behandelten Gegenstände anlegen.«

      Herr Casaubon gab durch ein feierliches Lächeln seine Zustimmung zu erkennen und sagte zu Herrn Brooke: »Sie sehen, Sie haben einen vortrefflichen Sekretär zu Ihrer Verfügung.«

      »Nein, nein,« entgegnete Herr Brooke kopfschüttelnd, »ich kann junge Mädchen nicht über meine Papiere lassen. Junge Mädchen sind zu flüchtig.«

      Dorothea fühlte sich verletzt. Mußte nicht Herr Casaubon glauben, daß ihr Onkel besondere Gründe zu seiner letzten Äußerung habe, während doch diese Bemerkung unter all den übrigen in dem Geiste des Herrn Brooke abgelagerten Gedankensplittern nicht schwerer wog als ein geknickter Insektenflügel, den ein zufälliger Luftzug gerade ihr zugeführt hätte.

      Als die beiden jungen Mädchen nach Tische allein im Wohnzimmer saßen, sagte Celia:

      »Wie häßlich ist Herr Casaubon.«

      »Celia! ich habe kaum je einen Mann mit einem bedeutenderen Gesichte gesehen. Er sieht Locke's Bild merkwürdig ähnlich.«

      »Hatte Locke auch zwei solche mit Haaren besetzte Muttermale?«

      »Sehr möglich, für die Augen gewisser Leute,« antwortete Dorothea, indem sie sich abwandte.

      »Herr Casaubon hat eine so fahle Gesichtsfarbe.«

      »Desto besser. Du bewunderst wohl Männer, welche so rosig aussehen wie ein Mutterschweinchen.«

      »Dora,« rief Celia, Dorotheen erstaunt nachsehend, »in meinem Leben habe ich Dich noch keinen solchen Vergleich machen hören.«

      »Vermutlich weil ich bis jetzt keine Veranlassung dazu hatte. Der Vergleich ist sehr gut, er paßt vortrefflich.«

      Offenbar vergaß sich Dorothea in diesem Augenblick und das entging Celia keineswegs.

      »Ich begreife nicht, warum Du die Sache persönlich nimmst, Dorothea!«

      »Es verstimmt mich, Celia, daß Du menschliche Wesen nur wie angezogene Tiere betrachtest und keinen Sinn für den Ausdruck einer großen Seele in dem Gesichte eines Mannes hast.«

      »Hat Herr Casaubon. eine große Seele?« fragte Celia, bei der gelegentlich eine Regung von naiver Malice zum Vorschein kam.

      »Allerdings hat er die, nach meiner Ansicht,« antwortete Dorothea im Tone der vollsten Überzeugung. »Jeder Zug seines Wesens, wie es mir erscheint, entspricht dem Bilde, welches man sich von dem Verfasser der Schrift über biblische Kosmologie macht.«

      »Er spricht sehr wenig,« bemerkte Celia.

      »Weil Niemand da ist, mit dem er sich unterhalten könnte.«

      Celia dachte bei sich: Also von Sir James Chettam denkt Dorothea ganz gering, ich glaube nicht, daß sie

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