Gottes kleiner Partner. Leo Gold
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Julius war der erste, dem die Zwänge der bürgerlichen Welt wieder bewusst wurden: Der Zug wartete nicht. Geschwind versicherten sie sich, nicht zu viel Zeit verstreichen zu lassen, ehe sie sich erneut über ihr gemeinsames Hobby austauschten. Und bereits auf dem Weg zum Bahnhof wurde Julius bewusst, welches Geschenk es war, auf einen Literaturliebhaber innerhalb des Verbands gestoßen zu sein.
Nachdem Julius am Donnerstagabend seinen Teil zu einer lustigen Chorprobe beigetragen hatte, erlebte er am Freitagmorgen eine böse Überraschung. Frau Eichhorn stand am Bahngleis und schien auf ihn zu warten. Aufgeregt verlagerte sie ihr Körpergewicht von einem auf das andere Bein. Sie sah aus, als habe sie die Nacht über kein Auge zugetan. Als sie Julius begrüßte, brach Folgendes aus ihr heraus:
„Herr Dr. Zey, ich bin seit zehn Jahren gewohnt, alleine im Zug zu sitzen. Ich möchte, dass das so bleibt. Setzen sie sich bitte woanders hin! Ich brauche den Platz für mich allein. Und ich brauche meine alte Routine wieder. Das Reden morgens möcht ich nicht. Ich find es aufdringlich, dass sie das nicht von selbst merken. Also, jetzt. Jetzt ist die Sache ja klargestellt. Das ist nichts gegen sie persönlich.“
Perplex hatte ihr Julius zugehört. Er war von dieser Zurückweisung kalt erwischt worden, weil er Frau Eichhorn anders eingeschätzt hatte. Sie hatte gutmütig auf ihn gewirkt. Julius schwenkte ein:
„Entschuldigen sie, dass ich ihnen zu nahe gekommen bin. Ich werde mich natürlich woanders hinsetzen.“
Danach versuchte Frau Eichhorn noch nette Worte zu sagen. Glücklicherweise kam der Zug bald eingefahren, die beiden stiegen ein und setzten sich in unterschiedliche Waggons.
Julius dachte darüber nach, was wenige Minuten zuvor geschehen war. Im Grunde gab es an Frau Eichhorns Verhalten nicht viel auszusetzen. Auch er wollte morgens lieber allein im Zug sitzen. Und dass er das nun tun konnte, bevorzugte er, als schweigend auf einem Vierersitz mit Frau Eichhorn zu sitzen, während jeder seiner Beschäftigung nachging. Doch er verstand die Art und Weise nicht, in der ihn Frau Eichhorn bloßgestellt hatte. Besonders weil es in einer Phase erfolgte, in der er bemüht war, sich den Gepflogenheiten bei seinem neuen Arbeitgeber anzupassen.
Der Zug näherte sich der Bischofsstadt. Wie sollte sich Julius nach der Ankunft des Zuges verhalten? Die Tage zuvor war er mit Frau Eichhorn vom Bahnhof zum Verband gelaufen. Das wollte er nicht mehr. Er wollte sich dem Willen Frau Eichhorns nicht anpassen, der vorsah, im Zug getrennt zu sitzen und den Weg vom Bahnhof zum Verband gemeinsam zu laufen. Er blieb also im Zug und wartete bis alle anderen Passagiere ausgestiegen waren. Als er selbst aufstand und am Ausgang des Zuges ankam, sah er Frau Eichhorn am Bahnsteig nach ihm Ausschau halten. Julius trat zurück in den Zug und beobachtete Frau Eichhorn durch ein Fenster. Noch einige Augenblicke dann wartete Frau Eichhorn nicht länger. Julius stieg aus und lief noch einen Umweg, bevor er zu seinem Büro ging.
Julius Telefon klingelte. Direktor Saalfelds und Pfarrer Schatz Assistent Herr Pappel bat ihn, zum Sitzungsraum zu kommen. Er nahm den überarbeiteten Ausdruck der Vorlage, sein Notizheft und den USB-Stick mit, auf dem die Präsentation gespeichert war.
Im Sitzungssaal saßen neben Direktor Saalfeld, Pfarrer Schatz und Herrn Pappel die sechs Sektionsleiter. Sie diskutierten noch über den vorangehenden Tagesordnungspunkt, während Julius Herrn Pappel den USB-Stick gab. Direktor Saalfeld und Pfarrer Schatz saßen an einem Tischende, Herr Molitor, Frau Eichhorn, Frau Larson sowie Julius zu ihrer linken-, Herr Pappel, Herr Karstrop, Herr Dankmeier sowie Herr Sonnenzweig zu ihrer rechten Seite.
Julius war froh, sich erst an die Atmosphäre im Raum gewöhnen zu können, bis er seine Vorlage vorstellte. Das machte ihn ruhiger. Auch die Sitzordnung, dank der er Frau Eichhorn an dem ovalen Tisch kaum sehen konnte, minderte seine Aufregung. Die Teilnehmer diskutierten eifrig. Erst als Direktor Saalfeld die Diskussion zum Tagesordnungspunkt 6 mittels einer Abstimmung beendete, deren Ergebnis Herr Pappel protokollierte, konnte die „Notwendigkeit von Sanierungsmaßnahmen im Altenheim Meesheim“ beraten werden.
Direktor Saalfeld sagte zu Julius:
„Dr. Zey, ich begrüße sie zu ihrer Premiere in dieser Runde und wünsche ihnen nochmals einen guten Start bei uns.“
Die Gremienmitglieder klopften mit ihren Mittelfingerknochen auf die Tische, um Direktor Saalfelds Worten Nachdruck zu verleihen.
„Um keine Zeit zu verlieren, bitte ich sie, uns ins Thema einzuführen. Sie können dabei ruhig sitzen bleiben.“
Julius gab Herrn Pappel ein Zeichen, die vorbereitete Computerpräsentation zu starten. Die Sektionsleiter folgten Julius Erläuterungen, einige machten sich Notizen, manche tranken Tee oder Kaffee und andere suchten unaufhörlich eine Sitzhaltung, die ihrem Selbstbild entsprach.
Mit Interesse beobachtete Julius die Körperhaltung der männlichen Kollegen. Bereits bei der Diskussion zum vorangehenden Tagesordnungspunkt fiel ihm auf, dass deren Redebeiträge und Argumentation oft phrasenhaft waren. Mehr als die Themen schienen die Charaktere und langjährigen Beziehungsgeflechte der Anwesenden im Zentrum zu stehen.
Julius versuchte, sich wieder ganz auf seinen Vortrag zu konzentrieren, den er schon zur Hälfte präsentiert hatte. Und weil er sich sicherer fühlte als anfangs, glückte es ihm, den zweiten Teil überzeugender darzustellen. Je länger Julius referierte, desto mehr wunderte er sich über einen seiner männlichen Kollegen: Dieser spannte rhythmisch seine Oberarmmuskeln an und testete mit der Hand deren Festigkeit. Er legte seine Arme, weit von sich gestreckt, auf die Rückenlehnen seiner Sitznachbarn, so dass seine Brust gedehnt wurde. Und er konnte seinen Blick nicht lang vom Dekolleté einer Kollegin entfernen.
Nach dem Ende seines Vortrags wollten wieder viele zu Wort kommen.
Zunächst lehnte sich Julius einfach zurück. Direktor Saalfeld moderierte die Diskussion und erteilte das Wort. Die persönlichen Spannungen zwischen einigen Mitgliedern ließen bald Funken sprühen. Besonders knisterte es zwischen Herrn Karstrop und Herrn Molitor. Herr Karstrop hielt die Sanierungsmaßnahmen im Altenheim Meesheim für dringend geboten, Herr Molitor dagegen für überflüssig. Die Diskussion spitzte sich auf einen Dialog der größten Widersacher zu. Frau Larson wandte sich an Julius und sagte:
„So geht das fast immer. Die werden erst aufhören, wenn Direktor Saalfeld dazwischen geht.“
Und es geschah, wie es Frau Larson vorausgesagt hatte. Nach weiteren sieben Minuten, in denen Herr Karstrop und Herr Molitor heftig ihre Positionen verteidigten, ergriff Direktor Saalfeld das Wort, weil die Auseinandersetzung persönlich wurde:
„Lieber Herr Karstrop, lieber Herr Molitor, ich bedanke mich für ihre engagierten Statements. Jetzt können Fragen zum Sachverhalt an Dr. Zey gestellt werden.“
Um sich von ihrem Schlagabtausch zu erholen, ließen Herr Karstrop und Herr Molitor nun erst mal ihren Kollegen den Vortritt, Julius Einschätzung zu der Notwendigkeit von Sanierungsmaßnahmen im Altenheim Meesheim abzufragen. Julius parierte die Einlassungen und stieß bei dem Großteil der Sektionsleiter auf Verständnis, wenn seine Antworten offenbarten, dass er zwar den Sachverhalt nach Aktenlage kannte, aber nicht über einen der vielen Zusammenhänge Bescheid wusste, die es zu berücksichtigen galt. Denn auf die ‚Zusammenhänge‘ kam es an. Sie bestimmten nicht selten, welche Wendung eine Entscheidung nahm. An dieses Grundgesetz des Verbandes musste sich Julius erst gewöhnen. Dahingehend beruhigte ihn