Herzenswut. Eva Markert
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Jörg fasste das Tischtuch am anderen Ende an. „Du kannst ruhig du zu mir sagen, wenn du willst.“
Und ob sie das wollte! Sie freute sich über das Angebot, obwohl es sie gleichzeitig ein wenig verlegen machte.
Als alles aufgeräumt war, ging Frau Paulsen mit Jörg ins Wohnzimmer. Wie selbstverständlich folgte Sina ihnen. Die beiden setzten sich auf die Couch und Jörg legte den Arm um ihre Mutter. Aus irgendeinem Grund störte Sina das und sie versuchte wegzusehen.
Sie sprachen über einen Film, den sie zufällig alle drei kannten. Er handelte von der Tochter einer Deutschen und eines Japaners. Die ersten fünfzehn Jahre ihres Lebens verbrachte sie in Japan, danach zog die Familie nach Deutschland. Das Mädchen wusste nicht, wohin sie gehörte, konnte sich für keine der beiden Kulturen entscheiden. Erst am Ende begriff sie, dass sie beide Mentalitäten in sich vereinigte und dass es genau das war, was ihre unverwechselbare Persönlichkeit ausmachte.
Der Film gefiel Sina wirklich sehr gut. Im Nachhinein wunderte sie sich, dass sie nie mit ihrer Mutter darüber gesprochen hatte. Wahrscheinlich, weil sie automatisch annahm, dass die sich nicht für ihre Meinung interessierte. Jörg hingegen interessierte sich sehr dafür. Er stellte viele Fragen, hörte ihr aufmerksam zu und nahm sie richtig ernst. Man konnte wunderbar mit ihm diskutieren.
Sina erzählte, dass sie ein Mädchen mit einer deutschen Mutter und einem türkischen Vater kannte.
„Hat deine Mitschülerin ähnliche Probleme wie das Mädchen in dem Film?“, wollte Jörg wissen.
„Ich glaube nicht“, antwortete sie nach einigem Nachdenken. „Melissa fühlt sich wie eine Deutsche und sie lebt hier ganz normal. Sie fährt nur in den Ferien in die Türkei und möchte nach der Schule in Deutschland bleiben.“
„Wer weiß, was in ihrem Innern vorgeht“, gab Jörg zu bedenken. „Der Deutsch-Japanerin im Film hat man von außen auch nicht angesehen, wie sehr sie sich quälte. Möglicherweise hätte es ihr geholfen, wenn sie sich jemandem anvertraut und offen über ihre Probleme gesprochen hätte.“
„Meinst du, das hätte was geändert?“
„Bestimmt. Gefühle in sich hineinzufressen, ist das Verkehrteste, was man tun kann.“
Sina konnte sich nicht erinnern, jemals ein derartig anregendes Gespräch geführt zu haben. Sie wollte Jörg gerade fragen, ob sein Rat für alle Probleme galt, als die kalte Dusche kam. Ihre Mutter schaute auf die Uhr. „Die Spülmaschine müsste inzwischen durchgelaufen sein. Du könntest sie ausräumen, bevor du ins Bett gehst.“
Sina war natürlich klar: Ihre Mutter sagte das nur, weil sie allein sein wollte mit Jörg, und das nahm sie ihr gewaltig übel. Protestieren konnte sie ja wohl kaum. Das hätte die Peinlichkeit nur noch verschlimmert. Notgedrungen stand sie auf und reichte Jörg die Hand.
Er erhob sich ebenfalls. Richtig höflich. „Gute Nacht, Sina“, sagte er. „Schlaf schön!“ Dabei zwinkerte er ihrer Mutter zu und die lachte zurück, als ob sie ein Geheimnis teilen würden. Wahrscheinlich war er ebenfalls froh, dass sie verschwand. „Bis bald!“, rief er ihr nach.
„Bestimmt knutschen sie jetzt“, dachte Sina voll Groll, während sie in der Küche laut mit dem Geschirr herumklapperte. Eine grässliche Vorstellung! Obwohl sie ihre Mutter verstehen konnte. Jörg war wirklich ein super Typ. Einer, der ihr gefallen könnte – nein, der ihr gefiel.
Ein anderer Gedanke durchzuckte sie: Hatte ihre Mutter sie mehr oder weniger auffällig ins Bett geschickt, weil sie ein bisschen eifersüchtig war, dass Jörg ihr so viel Beachtung schenkte? „Quatsch! Spinn hier nicht rum!“, rief sie sich sofort selbst zur Ordnung.
Und Jörg? „Bis bald“, hatte er zum Abschied gesagt. War das nur eine Floskel, oder meinte er es ernst? Wünschte er sich echt, ihr schnell wieder zu begegnen?
Bevor sie ins Bett ging, rief sie noch eben Jenny auf dem Handy an, wie sie es ihr versprochen hatte. „Der Typ ist klasse“, erzählte sie. „Ich hätte nichts dagegen, wenn der jetzt öfter käme.“
„Prima“, erwiderte Jenny. „Halte mich weiter auf dem Laufenden!“
Kapitel 3
Auf dem Laufenden hielt Sina ihre Freundin tatsächlich, manchmal mehr, als der lieb war. Jörg verbrachte inzwischen fast jeden Abend und die Wochenenden bei ihnen. Und jedes Mal schwärmte Sina ihr hinterher was vor. Jenny musste sich ausführliche Berichte darüber anhören, was er gesagt, gemacht, getan, gefragt und wie er ausgesehen hatte.
„Gibt’s eigentlich noch ein anderes Thema für dich als Jörg?“, erkundigte sie sich einmal spitz.
Sina war bisher nicht aufgefallen, dass sie dermaßen oft von ihm sprach.
„Ich bin mal gespannt“, sagte Jenny, „ob ich ihn genauso sensationell finde wie du, wenn ich ihm mal begegne.“
„Du bist bestimmt hin und weg“, antwortete Sina im Brustton der Überzeugung. „Du kannst gar nicht anders. Jeder muss Jörg cool finden.“
Je länger sie ihn kannte, desto mehr hing sie an ihm. Sie wartete abends auf ihn, freute sich, wenn er kam, und kaum dass er wegging, fehlte er ihr bereits.
„Ich kann mir nicht mehr vorstellen, wie es ohne Jörg war“, sagte sie einmal zu ihrer Mutter.
„Das möchte ich mir gar nicht vorstellen“, erwiderte die.
Jörg war unglaublich herzlich zu ihr. Er fragte jeden Abend, wie es ihr ging, und Sina wusste, das war nicht nur so dahergeredet, er wollte es wirklich wissen. Er merkte auch immer sofort, wenn sie etwas bedrückte. Dabei war er keineswegs aufdringlich, er bohrte nie nach, trotzdem schaffte er es, dass sie sich ihm anvertraute. Sie erzählte ihm beinahe alles, was sie bewegte. Sogar mehr als ihrer Mutter.
Zum Beispiel, dass Jenny sich in den Nachbarsjungen verknallt hatte und der sich in sie. Darüber war Sina alles andere als glücklich. „Jenny ist meine beste Freundin“, klagte sie. „Und jetzt zähle ich kaum noch für sie. Ich höre nur noch „Daniel, Daniel“, den ganzen Tag. Und sie hat nachmittags nie mehr Zeit für mich.“
Jörg legte den Arm um sie. „Ich denke, das ist normal, wenn man frisch verliebt ist. Das ändert sich bestimmt bald wieder.“
„Meinst du?“ Sie schaute ihn zweifelnd an.
Er drückte sie kurz an sich. „Ich bin doch auch verliebt“, fügte er lächelnd hinzu. „Und trotzdem habe ich ein gutes Verhältnis zu meinen Freunden.“
Einen winzigen Moment – nur den Bruchteil eines Augenblicks – stellte Sina sich vor, er wäre in sie verliebt. Schnell verscheuchte sie den Gedanken wieder.
Erst hinterher begann sie zu überlegen: War dieser Einfall wirklich so abwegig? Manchmal hatte sie nämlich den Eindruck, dass Jörg mehr zu ihr hielt als zu ihrer Mutter und sie gegen sie in Schutz nahm.
Wie neulich zum Beispiel. Da bekam sie einen Eintrag ins Klassenbuch, weil sie zum dritten Mal zu spät zum Unterricht erschien. Möglicherweise würde ein schriftlicher Tadel folgen, das stand noch nicht