Herzenswut. Eva Markert
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„Aber wie soll ich ihr verklickern, dass ich dreimal zu spät gekommen bin? Darüber regt sich bestimmt furchtbar auf.“
„Hm.“ Jörg dachte kurz nach. „Was hältst du davon, wenn ich es ihr schonend beibringe? Nachher, wenn wir entspannt zu zweit bei einem Glas Wein im Restaurant sitzen?“
Dankbar nahm Sina sein Angebot an. Eine Last war ihr von der Seele genommen. Jörg würde das schon hinkriegen!
Normalerweise mochte sie es nicht, wenn er und ihre Mutter allein ausgingen. Sie fühlte sich dann ganz elend, von aller Welt verlassen und grenzenlos einsam.
Auch jetzt, trotz Jörgs Angebot, pikste dieser Stachel wieder. Warum konnten sie nicht entspannt zu dritt bei zwei Gläsern Wein und einem Glas Mineralwasser im Restaurant sitzen? Oder noch besser im Wohnzimmer?
Am allerschönsten wäre es ja, wenn sie allein mit Jörg entspannt irgendwo sitzen könnte, wenn es sein musste, sogar in einem Restaurant, obwohl sie nur ungern hinging, weil es dort immer so schrecklich nach Essen stank.
Was den Tadel anging, schaffte es Jörg, ein Drama abzuwenden. Am nächsten Morgen sagte ihre Mutter nur: „Stell deinen Wecker demnächst auf zehn Minuten früher“, und damit war die Sache erledigt.
Sina atmete auf. „Danke, wegen des Tadels“, flüsterte sie ihm später in einem unbeobachteten Moment ins Ohr, und er zwinkerte ihr zu.
„Wann guckst du dir Jörg an?“, fragte sie ihre Freundin, als die ausnahmsweise einmal nicht von ihrem Daniel redete, und erstaunlicherweise antwortete Jenny: „Ich kann nachher bei dir vorbeikommen.“ Im selben Atemzug fügte sie hinzu: „Daniel muss nämlich zum Handballtraining.“
Jörg war wirklich unheimlich nett zu Jenny. Er begrüßte sie herzlich mit: „Hi, Jenny!“, und es klang wie: „Endlich lerne ich dich mal kennen!“ Als ob er schon ewig darauf gewartet hätte und sich riesig darüber freuen würde! Dabei kannte er Jenny doch bloß vom Hörensagen! Vielleicht interessierte er sich für sie, weil sie ihre Freundin war?
Sina wartete begierig darauf, Jennys Meinung über Jörg zu hören. Als sie später in ihrem Zimmer hockten, überfiel sie sie sofort: „Und? Wie findest du ihn?“
„Wirklich ein cooler Typ!“, antwortete Jenny.
Sofort fing Sina wieder an zu schwärmen: „Der ist sooo nett! Und lustig. Und fair. Und immer gut gelaunt. Dazu sieht er noch klasse aus!“
„He, he, he!“ Jenny grinste. „Pass bloß auf, dass du dich nicht in ihn verguckst!“
Sina schwieg verdutzt.
Jenny hatte das mehr zum Spaß gesagt, aber ihre Bemerkung ging Sina nicht mehr aus dem Kopf. Wäre es möglich, dass sie sich in Jörg verliebte? Oder – ihr wurde ganz flau – war es am Ende schon passiert?
„Nein, nein“, beruhigte sie sich selbst, „das ist kompletter Blödsinn.“
War es das wirklich? Sina lag im Bett und dachte nach. Jörg und ihre Mutter waren ins Kino gegangen. Sie gingen oft donnerstags hin, wenn die neuen Filme in die Kinos kamen. Sie stellte sich Jörg vor, wie er aussah: seine Augen, seinen Mund, sein dunkles Haar. Und wie er sie anlachte. Sie in den Arm nahm und an sich drückte. Leider nur, um sie zu trösten. Zum Beispiel neulich, weil sie wegen einer Fünf in Mathe fix und fertig war. Sie versuchte, sich dieses Ereignis in allen Einzelheiten ins Gedächtnis zu rufen. Wie seine Arme sich angefühlt hatten, der Druck seiner Hand. Plötzlich wünschte sie sich heftig, sie könnte ihren Kopf an seine Brust legen.
Sina überlegte, wie sie ihn unauffällig dazu bewegen könnte, sie in den Arm zu nehmen. Sollte sie einfach den ersten Schritt tun und ihn umarmen? Wer weiß, möglicherweise würde ihm das sogar gefallen.
Da hörte sie, dass Jörg und ihre Mutter zurückkamen. Sie tuschelten und lachten leise auf dem Flur. Jetzt oder nie! Sina schwang die Beine aus dem Bett. Sie würde beide mit einer Umarmung begrüßen. Plötzlich wurde es draußen ganz still. Sicher küssten sie sich gerade. Nein, das musste sie nicht haben! Schnell schlüpfte Sina wieder unter die Bettdecke.
Sie schloss die Augen. Ihre Mutter, die Glückliche, hatte es gut! Es musste herrlich sein, von Jörg geküsst zu werden! Ehe sie es sich versah, fing sie an zu träumen: Sie schmiegte ihre Wange an sein Gesicht, Jörg sagte: „Mein Liebling!“ Und dann ...
Stopp! Erschrocken riss sie die Augen auf. Das ging zu weit! Entschieden zu weit! Sie durfte keinesfalls vergessen, dass er der Freund ihrer Mutter war! Wohlgemerkt: ihrer Mutter! Sie knipste das Licht an, um noch ein wenig zu lesen.
Am nächsten Morgen war Jörg noch da. „Ich muss übrigens am Samstag zu einer Fortbildung“, teilte die Mutter ihnen beim Frühstück mit.
Es machte Sina nichts aus, einen Tag allein zu sein. Im Gegenteil, sie fand es ganz angenehm, wenn sie tun und lassen konnte, was sie wollte: im Bett liegen, stundenlang mit Jenny telefonieren, Mahlzeiten ausfallen lassen – und niemand war da, der ihr Vorschriften und Striche durch irgendwelche Rechnungen machte oder Sachen sagte, die sie nicht hören wollte.
„Jörg hat angeboten ...“, begann die Mutter.
Sina horchte auf.
„... sich am Samstag um dich zu kümmern.
„Natürlich nur, wenn du einverstanden bist“, setzte Jörg hinzu.
„Ich bin einverstanden“, antwortete Sina hastig. Es klang ganz gequetscht, weil sie verbergen wollte, wie überwältigt sie von diesen Aussichten war. Einen ganzen Tag lang allein mit Jörg! Das war beinahe zu schön, um wahr zu sein!
„Nett, dass du mir Gesellschaft leisten willst“, sagte Jörg. „Dann können wir gemeinsam auf deine Mutter warten.“
„Mm“, murmelte Sina und hoffte, dass sie sehr, sehr lange auf sie würden warten müssen.
In den folgenden Tagen dachte sie oft an diese Verabredung. Dabei ging ihr einiges durch den Kopf. Zum Beispiel, dass es Jörgs Idee gewesen war, die Zeit mit ihr zu verbringen. Das war der Beweis, dass er sie gut leiden mochte. Nur gut leiden? Oder bedeutete sie ihm mehr, als er sich eingestehen wollte?
Einerseits konnte sie den Samstag kaum noch erwarten, andererseits war sie ziemlich aufgeregt. Hoffentlich langweilte er sich nicht mit ihr! Hoffentlich passierte ihr kein Missgeschick! Hoffentlich kam nichts dazwischen. Hoffentlich ...
„Hör auf, dir ständig Sorgen zu machen“, rief sie sich selbst zur Ordnung. „Kümmere dich lieber darum, dass es ein Erfolg wird!“
Zunächst mal das Wichtigste: Was sollte sie anziehen? Es musste etwas Schickes sein. Er hatte neulich gesagt, dass ihm ihr rosa T-Shirt mit der großen, schwarzen Blume vorne drauf und den Pailletten gefiel. Das würde sie nehmen. Und Jeans. Die passten zu jeder Gelegenheit. Er trug ebenfalls meistens Jeans.
Als der Samstag endlich kam, wachte Sina vor lauter Aufregung schon gegen fünf auf. Jörg würde sie erst gegen Mittag abholen, deshalb versuchte sie wieder einzuschlafen. Es klappte nicht. Notgedrungen stand Sina kurz vor halb sieben auf.
Je mehr es auf zwölf Uhr zuging, desto zappeliger