Eisblaue Sehnsucht. Ute Dombrowski

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Eisblaue Sehnsucht - Ute Dombrowski

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dort lagern alte Akten und alles, was es über diese Geschichte zu wissen gibt. Ich hoffe, ich habe Ihnen keine Angst gemacht, wenn Sie jetzt durch den Park zur Uni laufen.“

      „Angst … ähm nein, nicht direkt. Der Park wirkt so friedlich …“

      In dem Moment musste sie an den Mann denken, der sie gegen die Mauer gestoßen hatte und plötzlich hatte die Szene einen unangenehmen Beigeschmack bekommen. Sie hatte immer nur an ihren Retter gedacht und die Figur des Angreifers war verblasst. Jetzt stand alles wieder vor ihrem inneren Auge. Sie musste sich zusammenreißen, um dem Professor weiter zuhören zu können.

      „Tja, als die Polizei ihn gefasst hatte, fanden sie die Leichen in seinem Keller. Er kam ins Gefängnis und wurde in seiner Zelle getötet. Den sogenannten Rächer hat man nie gefunden und man gab sich auch keine große Mühe.“

      Er machte eine Pause und war nun sehr ernst.

      „Die Leute behaupteten lange Zeit, dass sein böser Geist auf dem Grundstück umherspukte und daher kam einer der Stadtväter auf die Idee, die Villa abzureißen und etwas Gutes aus dem Grundstück zu machen. Gesagt, getan, das Haus wurde abgerissen, jeder Stein verschwand, und wenn ich JEDER sage, dann meine ich es auch so. Wo das Haus einmal stand, ist jetzt der Weiher, tief und düster wie diese Geschichte. Vor dem Haus gab es drei Eichen, die ihm Schatten gespendet hatten. Eines Tages hatte sie jemand abgesägt. Die Baumstümpfe sind von den Büschen rund um den Weiher verdeckt, wenn man danach sucht, findet man sie im Unterholz. Heute spukt es wahrscheinlich nicht mehr und die Geschichte geriet in Vergessenheit. Aber das Schild erinnerte wohl immer an den Mörder und seine Villa, also war es irgendwann endgültig verschwunden.“

      „Das ist eine krasse Geschichte. Wie kann man denn gute Menschen zu bösen machen? Medikamente? Folter?“

      „Ja, so in etwa. Er hat seine Opfer seelisch und körperlich gefoltert. In den alten Unterlagen ist ein Schriftstück des Pathologen, das die ganze Grausamkeit zeigt. Ich weiß, dass Sie ins Archiv gehen und nachforschen werden. Darum habe ich Ihnen einen Ausweis machen lassen, der Ihnen freien Zutritt gewährt.“

      Professor Bimberger lächelte.

      „Und wenn Sie das getan haben, möchte ich, dass Sie den Park mit dem Haus und all ihren Gedanken dazu malen.“

      „Aber …“

      „Sie malen Porträts, das weiß ich, und diese sind besonders. Aber ich glaube, es gibt nur einen Menschen in diesem Raum, der die Stimmung von damals einfangen kann.“

      „Warum soll ich das tun? Sagten Sie nicht, dass die Menschen keine Erinnerung an diese Geschichte wollen? Nachher hassen sie mich!“

      „Die Bilder wird der psychiatrischen Abteilung zur Verfügung gestellt. Es gibt eine kleine Gruppe, die den Fall nochmal aufrollt. Unter psychologischen Gesichtspunkten, und dafür gibt es einen Grund.“

      „Welchen?“, hauchte Kira aufgeregt.

      „In diesem Jahr werden wieder junge Menschen vermisst und einer wurde tot aufgefunden.“

      „Oh mein Gott. Sie denken …“

      „Ich denke nichts. Der Professor, der der Polizei bei den Ermittlungen zur Seite steht, ist ein guter Freund von mir. Sie vermuten, dass es ein Nachahmungstäter ist, denn bei den Toten gab es Spuren derselben Medikamente, die damals verabreicht wurden. Obwohl der Student an einem Herzinfarkt gestorben ist, vermutet man einen Zusammenhang. Mein Freund fragte mich, ob ich nachforschen kann, aber ich denke, Sie können das besser als jeder andere.“

      „Okay, ich … ich muss … darf ich noch darüber nachdenken?“

      Professor Bimberger sprang auf.

      „Ja natürlich, Kira, überschlafen Sie es und teilen Sie mir morgen Ihre Entscheidung mit.“

      Jetzt sah er so traurig aus, als rechnete er mit ihrer Absage. Kira verabschiedete sich und lief wie in Trance heim, nachdem sie ihre Sachen aus dem Atelier geholt hatte. Die verwunderten Blicke der vier anderen Studenten hatte sie nicht wahrgenommen. Auch hatte sie sich nicht verabschiedet.

      Zuhause saß sie mit angezogenen Knien auf der Couch und grübelte. Warum sie? War es eine Ehre, so etwas zu tun? Wollte und konnte sie sich darauf einlassen? Was sprach dagegen, was dafür? Sie holte den Ausweis aus der hinteren Jeanstasche und sah ihn an.

      „Archiv … Kira Krickel, unbeschränkter Zugang.“

      Was würde sie dort finden? Was, wenn sie das nicht aushalten würde und Alpträume bekäme? Sie überlegte mehrfach abzulehnen, aber weil sie sich nicht entscheiden konnte, zog sie sich an und machte sich auf den Weg zu Mariella.

      5

      „Großvater?“

      Alexandro hatte die Tür zum Schlafzimmer leise aufgedrückt und sah zum Bett. Er trat näher und schaute seinen Großvater, dessen graues Gesicht still und entspannt auf dem weißen Kissen ruhte, voller Liebe an. Ein Kranz aus weißen Haaren umrahmte eine Glatze, die wie poliert aussah. Die Sommersprossen hatte der Großvater an seine Tochter weitergegeben. In Alexandros Erinnerung hatte er immer versucht, die Sommersprossen seiner Mutter zu zählen, bis sie ihn so gekitzelt hatte, dass er lachend von ihrem Schoß rutschte.

      Er setzte sich auf den Sessel neben dem Bett. Immer, wenn sein Großvater so ruhig dalag, befürchtete er, dass er zu spät kam. Aber jetzt sah er, wie sich die Bettdecke leicht hob und senkte und die Erleichterung stellte sich rasch ein. Was sein würde, wenn der Tod den Großvater holte, konnte und wollte er sich nicht ausmalen. Gregor Liebert war krank, todkrank, ein bösartiger Knochenkrebs fraß den alten Mann von innen her auf. Es war schlimmer geworden seit dem Unfall.

      Eine Welle von Traurigkeit rollte über Alexandro hinweg, als er an den Tag vor dreizehn Jahren dachte. Er hatte die Ferien bei seinem Großvater verbracht und mit ihm Museen und Konzerte besucht. Es waren die schönsten Ferien seines Lebens gewesen, bis eines Abends die Polizei vor der Tür stand. Sie waren mit dem Großvater in die Küche gegangen. Ein paar Minuten, nachdem sie das Haus verlassen hatten, rief Gregor seinen Enkel zu sich und nahm seine Hand. Alexandro hatte die Tränen in den Augen des Großvaters gesehen und gespürt, dass etwas Schreckliches geschehen war. Dann hatte er zugehört und ernst genickt.

      „Und sie kommen nie mehr wieder?“

      „Nein, sie kommen nie mehr wieder.“

      Alexandros Leben hatte sich daraufhin rasant verändert. Gregor hatte ihn zu sich genommen und sich liebevoll um ihn gekümmert. Sie gingen regelmäßig auf den Friedhof und nachdem der Junge seinen achtzehnten Geburtstag mit Freunden gefeiert hatte, rief der Großvater ihn noch in der Nacht an sein Bett. Er erzählte ihm vom Krebs, der sich rasch ausbreitete. Das hatte Alexandro erschüttert, obwohl er schon gesehen hatte, dass sein Großvater unter großen Schmerzen litt. Immer öfter war der alte Mann ans Bett gefesselt gewesen. Eine Chemotherapie hatte mit dem ratlosen Kopfschütteln des Arztes geendet.

      Was ihm sein Großvater in dieser mondhellen Nacht noch offenbarte, hatte Alexandro vollends aus der Bahn geworfen. Bis zum Morgen hatte er im Zimmer seines Großvaters am Fenster gestanden und dessen Worten gelauscht, die so ungeheuerlich waren, dass alles nur ein Traum sein konnte.

      Am nächsten Morgen hatte er in sich gespürt, dass alles der Wahrheit entsprach. Er hatte in den Spiegel geschaut und die Veränderung seiner Augen gesehen.

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