Tod und Schatten. Ole R. Börgdahl

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Tod und Schatten - Ole R. Börgdahl Marek-Quint-Trilogie

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das Gebäude nur teilunterkellert war. Marek drehte sich wieder zur Treppe um. Er leuchtete einmal durch die offenen Stufen. Unter der Treppe waren weitere Kartons gelagert. Die Verpackung eines Fernsehers und eines Kugelgrills, wie die farbigen Abbildungen auf den Pappen erkennen ließen. Weiter hinten standen noch gewöhnliche Umzugskartons. Marek ging seitlich hinter die Treppe. Der Strahl der Taschenlampe reflektierte vom Boden. Ein roter Fleck auf dem Beton fiel ihm auf. Er leuchtete gezielt darauf. Es waren zwei, drei, fünf Flecken und ein weiterer, den er mit seinem rechten Schuh bereits verschmiert hatte. Er dachte nicht gleich an Blut, als er mit der Fingerspitze auf einen der intakten Flecken tippte und die haftengebliebene Substanz zwischen Zeigefinger und Daumen verrieb. Er roch an seinen Fingern und sofort spürte er den Geschmack von Eisen im Mund, der sicherlich durch die reine Einbildung noch verstärkt wurde.

      Er benutzte wieder die Taschenlampe und sah erst jetzt, dass die Umzugskartons unter der Treppe wie eine Wand aus Pappe angeordnet waren. Er zog den untersten Karton etwas vor, der darüber geriet ins Wanken. Er fing ihn ab, zog dann beide Kartons unter der Treppe hervor. Die Taschenlampe erleuchtete den Hohlraum. Marek blickte auf einen gekrümmten Rücken, ein grünes Hemd oder eine Bluse, blaue Jeans. Die Beine waren angewinkelt. Die Person dort in der Nische hatte halblange, dunkelbraune Haare, die die Schulter bedeckten. Nach dem ersten Moment der Überraschung drückte er sich am Treppenholm zurück und richtete sich wieder auf. Er stellte sich vor die Treppe, blickte nach oben und rief. Er hörte selbst nicht, was er rief, er hoffte nur, dass man ihm die Panik in seiner Stimme nicht anmerkte. Irgendwann erschien die Gestalt von Ulrich Roose oben an der Treppe und verdunkelte den Lichtausschnitt.

      *

      Auf der Werkbank im Keller stand jetzt ein Halogenscheinwerfer, der auf einem Stativfuß befestigt war, und das ausleuchtete, was sich unter der hölzernen Kellertreppe abspielte. Ulrich Rooses Männer hatten die Kartons vorsichtig herausgezogen und in einer freien Ecke des Kellers gestapelt. Ulrich Roose selbst beugte sich unter die Treppe, um sich ein erstes Bild von der Spurenlage zu machen. Vorsichtig begann er den dort liegenden Körper abzutasten. Er zuckte plötzlich zurück und hätte sich beinahe den Kopf am Treppenholm gestoßen.

      »Sie atmet«, rief er in Richtung von Dr. Kerstin Sander, die neben Marek stand. »Der Körper ist auch noch ganz warm.« Dann sah Ulrich Roose Marek an. »Haben Sie das denn nicht überprüft.«

      »Ich ...« Marek zögerte.

      Ulrich Roose gab ihm keine Gelegenheit, sich zu rechtfertigen. »Sie müssen doch prüfen, ob Sie eine Leiche oder eine verletzte Person vor sich haben.«

      Marek blieb stumm. Im Falle eines Leichenfundes musste die Gerichtsmedizin warten, bis der Tatorterkennungsdienst alle Spuren aufgenommen hatte. Doch jetzt war Kerstin Sanders Einsatz als Ärztin gefragt. Ulrich Roose erhob sich und stellte sich zu seinen Leuten in eine Ecke des Kellers. Kerstin Sander nahm seinen Platz unter der Treppe ein. Gegen jede Regel der Spurensicherung bewegte sie den Körper, drehte die Frau auf den Rücken, beugte sich über sie. Marek war vorgetreten und beobachtete ihr Handeln. Er nahm den Halogenscheinwerfer von der Werkbank und folgte ihren Bewegungen. Sie nickte ihm kurz zu. Er hielt den Scheinwerfer noch ein Stück tiefer. Kerstin Sander verschaffte sich einen Eindruck von den Verletzungen der Frau. Sie nahm als erstes den Hals Puls, untersuchte dann mit routinierten Handgriffen den Kopf, die Schultern, den Rumpf und schließlich die Beine. Sie tastete die Knochen ab, um erste Hinweise auf Frakturen zu erhalten.

      »Haben wir eine Decke?«, fragte Kerstin Sander. »Wir müssen sie auf eine Decke legen. Der Boden hier ist verdammt kalt. Und wir brauchen natürlich einen Krankentransport.«

      Ulrich Roose stieß einen seiner Leute an. Der Mann ging zur Treppe, stieg mit vorsichtigen Schritten über die Szene hinweg nach oben. Kerstin Sander öffnete ihren Koffer. Sie hatte nicht viel für die Lebenden dabei, fand aber genug Verbandsmaterial für eine erste Wundversorgung. Während ihres Handelns sah sie einmal kurz in die fragenden Gesichter von Ulrich Roose und Marek.

      »Offensichtlich eine Schussverletzung an der Hüfte, auf der rechten Seite. Nicht unerheblicher Blutverlust.« Sie deutete in die hinterste Ecke unter der Kellertreppe. »Hier ist ziemlich viel Blut, sie hat aber noch einen recht guten Puls.« Kerstin Sander machte eine Pause, als sie eine Kompresse auf die Wunde an der entblößten Hüfte der Frau drückte. »Dann hat sie noch Abschürfungen an den Händen und Prellungen am Rumpf und vermutlich auch an den Beinen. Knochenbrüche konnte ich keine feststellen. Wo bleibt die Decke?«

      Aus der Küche über ihnen waren eilige Schritte zu hören. Ulrich Roose trat unten an die Treppe und blickte hinauf. Er hob die Hände und fing nacheinander zwei Wolldecken auf.

      »Krankenwagen ist unterwegs«, kam es von oben. »Ich warte draußen auf der Straße.«

      »In Ordnung«, sagte Ulrich Roose und reichte Kerstin Sander die Decken.

      »Danke, hier muss mal jemand mit anpacken.«

      Marek hielt noch immer den Scheinwerfer. Ulrich Roose gab dem anderen Techniker Zeichen. Kerstin Sander rutschte auf Knien zur Seite, nachdem sie die Decken ausgebreitet hatte. Ulrich Roose trat hinter die Frau, griff ihr vorsichtig unter die Arme. Auf der anderen Seite wurden die Beine der Frau angehoben.

      »Wenn sie auf der Decke liegt, müsst ihr die Zipfel eindrehen und ihren Körper hochnehmen«, dirigierte Kerstin Sander die beiden Männer vom Tatorterkennungsdienst. »Wir sollten sie schon einmal nach oben bringen.«

      Ulrich Roose nickte.

      *

      Eine Viertel Stunde später war wieder Ruhe eingekehrt. Nach der Erstversorgung wurde die verletzte Frau aus dem Keller in den mittlerweile bereitstehenden Krankenwagen geladen, der dann mit Blaulicht, aber ohne Sirene abgefahren war. Zeitgleich war auch der Leichenwagen eingetroffen. Dr. Kerstin Sander hatte ihre Arbeit beendet und sich bei Ulrich Roose und seinen Leuten verabschiedet. Marek hatte sich bereits zurückgezogen. Er saß alleine in der kleinen Küche. Er hatte sich auf einen der Küchenstühle gesetzt und hielt einen Personalausweis in Händen. Ulrich Roose hatte unter der Kellertreppe eine Damenhandtasche gefunden, darin nur eine Geldbörse, ein Paket Papiertaschentücher und ein blauer Baumwollschal. Der Ausweis stecke in der Geldbörse zusammen mit siebzig Euro in Scheinen und einem Euro siebenunddreißig in Münzen. Sonst befand sich nichts in der Geldbörse, kein Führerschein, keine EC- oder Kreditkarte, nichts.

      Die Frau hieß Claudia Witte. Marek wendete den Personalausweis. Es war noch das alte, etwas größere Format. Ulrich Roose hatte die Straßenanschrift bereits überprüft. Claudia Witte kam aus dem Bezirk Pankow, wohnte dort im Stadtteil Prenzlauer Berg. Auf dem kleinen Zettel, den Ulrich Roose aufgeschrieben hatte, stand auch eine Telefonnummer. Marek zog sein Handy hervor, wählte aber zunächst eine Nummer aus seinem Telefonverzeichnis. Bevor er die Telefontaste drückte, schaute er auf seine Armbanduhr.

      Es war kurz nach halb elf, Samstagabend. Vielleicht war Kriminaloberkommissar Thomas Leidtner auch nicht zu erreichen, vielleicht hatte er sein Telefon ausgeschaltet. Gut, sie hatten Bereitschaft, aber es war Samstagabend. Was machte Leidtner am Samstagabend. Marek wusste es nicht. Über Privates hatten sie seit Wochen nicht gesprochen und in der Zeit vor Kowalskis Weggang kannten sie sich noch nicht so gut. Marek war der Neue. Er hatte zusammen mit einem anderen Neuen bei Kriminalhauptkommissar Jürgen Kowalski angefangen, aber der andere Neue hatte nach wenigen Tagen die Operative Einheit innerhalb des LKA 1 gewechselt, Personalmangel. Und dann kam die Sache mit Kowalski. Irgendjemand im Präsidium hatte gleich gemeint, dass Kowalski so schnell nicht wiederkommen würde.

       In den ersten Wochen hatten sie auch ohne Führung genug zu tun. Die Abarbeitung der alten Fälle, die Unterstützung anderer Teams bei ein paar größeren Operationen. Mit der Zeit war aber dann doch zu spüren, welchen Stellenwert ihre Operative

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