Stiefbrüder küsst man nicht. Eva Markert
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Annika war nicht die Spur beleidigt. Sie lachte. „Willst du auch einen Kakao?“
Diesmal galt mein finsterer Blick Annika. Er wurde noch finsterer und richtete sich auf Dominik, als der das Angebot annahm und sich zu uns an den Küchentisch setzte. Es störte mich gewaltig, dass wir ihn nun am Hals hatten. Und zu allem Überfluss blieb er sitzen, nachdem er seinen Kakao ausgetrunken hatte.
Annika war selig. Sie befragte ihn nach seinen Zukunftsplänen, und ich erfuhr zu meinem Erstaunen, dass Dominik sich besonders für die Herzchirurgie interessierte. Davon hatte er mir bisher kein Sterbenswörtchen gesagt. „Du kannst überhaupt nicht wissen, ob du dich dafür interessierst“, wandte ich ein. „Du hast doch noch nicht mal angefangen mit dem Studium.“
„Ich habe schon viel darüber gelesen. Aber es stimmt natürlich. Möglicherweise ändere ich meine Meinung später.“
Verblüfft schaute ich ihn an. Er hatte mir noch nie in irgendetwas Recht gegeben.
Ich hörte ihm und Annika weiter zu. Sie sprachen über die Schule und dann über Sport. Was Dominik sagte, war insgesamt gar nicht mal so dumm. Und er sprach mich mehrmals an, um meine Meinung zu hören. Ausnahmsweise stritten wir uns nicht.
Zum Beispiel fand ich, dass man es beim Sport nicht übertreiben sollte. „All diese armen Jogger“, sagte ich, „die sich hechelnd mit zerquälten Gesichtern vorwärtskämpfen, die tun mir richtig leid. Das kann doch nicht gesund sein, was die sich da antun.“
„Es gibt nichts Besseres für die Gesundheit als Joggen“, behauptete Annika eilig. Dabei war sie noch nie in ihrem Leben auch nur einen halben Meter gejoggt.
Dominik lachte. „Die sich hechelnd mit zerquälten Gesichtern vorwärtskämpfen“, wiederholte er meine Worte. „Das hat Merle sehr anschaulich beschrieben.“
Ich verstand die Welt nicht mehr.
„Ich denke ebenfalls, dass Jogger sich schaden“, fügte er hinzu, „vor allem, wenn sie einen asphaltierten Weg neben einer befahrenen Straße entlangschnaufen. Das ist bestimmt nicht nur schlecht für die Gelenke, sondern auch für die Atemwege.“
Ich verstand die Welt immer weniger. Dafür konnte es nur eine Erklärung geben: Annikas Anwesenheit musste meinen Stiefbruder milde stimmen.
„Du bist also gegen das Joggen?“, fragte Annika ihn.
„Nicht unbedingt. Auf Waldboden, und wenn man sich gleichzeitig noch unterhalten kann, ist es okay.“
Ich war derselben Ansicht.
Das Einvernehmen zwischen uns endete, als wir über das Abi sprachen. Ich hielt nichts vom sogenannten Turbo-Abi nach zwölf Schuljahren. „Das bedeutet zu viel Stoff in zu kurzer Zeit, zu viel Stress für die Schüler und zu wenig Freizeit“, erklärte ich. Etwas Ähnliches hatte ich mal in der Zeitung gelesen und dem stimmte ich aus vollem Herzen zu.
„Das ist Quatsch“, entgegnete Dominik. „Man muss sich seine Zeit bloß richtig einteilen.“
„In anderen Ländern schaffen sie es auch locker in zwölf Jahren“, steuerte Annika bei.
Dominik nickte. „Genau!“
Annika freute sich über seine Zustimmung. Sie strahlte richtig.
Ich war plötzlich ein bisschen sauer. Wieso eigentlich? Jeder hatte doch ein Recht auf seine eigene Meinung!
„Na ja“, setzte ich hinzu, „auf jeden Fall ist es ein Vorteil, dass man ein Jahr eher aus der Penne rauskommt.“
Sein abschätziger Blick traf mich. „Das ist typisch für dich. Nur ja nicht zu viel arbeiten!“
„Streber!“, schnappte ich.
Womit wir wieder beim üblichen Umgangston waren.
Was Annika nun sagte, rechnete ich ihr hoch an. „Merle ist überhaupt nicht faul“, widersprach sie. „Sie hat zum Beispiel immer ihre Hausaufgaben.“
Dominik überzeugte das nicht. „Ich bitte dich!", rief er aus. „Das ist doch wohl selbstverständlich!“
„Hast du etwa nie deine Hausaufgaben vergessen oder vor dem Unterricht abgeschrieben?“, wollte Annika wissen.
Dominik zögerte kurz. „Doch. Das ist gelegentlich vorgekommen“, gab er dann zu.
„Na siehst du!“
„Und ich bereite mich immer gründlich auf Arbeiten vor“, ergänzte ich. Als ob ich es nötig hätte, mich vor Dominik zu verteidigen!
Der hatte offensichtlich keine Lust mehr auf weitere Diskussionen und stand auf. „Macht’s gut, ihr zwei“, sagte er und ging raus.
„Er hat sich mit uns unterhalten! Ganz lang!“ Annika war hin und weg. Und ich musste mir die gefühlte zehntausendste Lobrede auf ihn anhören. Wie intelligent er war. Was für super Ansichten er hatte. Wie nett, freundlich, süß, lieb und goldig er war. Wie toll, wie niedlich, wie umwerfend er aussah. Blablabla. Ich konnte es langsam nicht mehr hören.
***
Ich hatte gehofft, dass Annikas Liebeswahn irgendwann von selbst wieder verschwinden würde. Normalerweise war das der Fall bei ihr.
Ich weiß noch, wie sie für diesen Schauspieler schwärmte. Den Namen habe ich vergessen. Wir waren, glaube ich, in der 7. Sie besorgte sich Filme, in denen er mitspielte, und schaute sie sich pausenlos an. Und sie kaufte alle Zeitschriften, in denen etwas über ihn stand, schnitt die Artikel aus und klebte sie in ein Heft. Sie sammelte Fotos und hängte mehrere Poster über ihrem Bett auf. Schrecklich! Zu allem Überfluss war dieser Typ ein richtiger Milchbubi.
Sie fand auch schon mehrere Jungen in unserer Parallelklasse und in der Klasse über uns süß, einmal sogar einen Lehrer. Das heißt, er war noch kein richtiger Lehrer, sondern erst Referendar. Er unterrichtete Geschichte in unserer Klasse, und in dieser Zeit wurde Geschichte Annikas absolutes Lieblingsfach. Noch heute weiß sie fast alles über Karl den Großen und die Entdeckung Amerikas. Das waren die „hochinteressanten“ Themen, die wir bei ihm im Unterricht durchnahmen.
Wenn Annika sich verknallte, war sie ganz erfüllt davon, bis sich ihre Liebe wie durch Zauberei von einem Tag auf den anderen in Luft auflöste. Einen richtigen, echten Freund hatte sie noch nie. Ich übrigens auch nicht. Wir gingen zwar oft weg und wir mochten die Jungs in unserer Clique, aber jemand zum Verlieben war nicht darunter.
Vielleicht waren ihre Gefühle für Dominik stärker und ernsthafter als das, was sie zuvor erlebt hatte. Auf jeden Fall ging es nicht so schnell vorbei. Nach drei Monaten war sie noch immer verrückt nach ihm. „Es macht mich krank“, klagte sie oft, „dass ich nicht weiß, woran ich bei ihm bin. Manchmal denke ich, er mag mich, und dann wieder habe ich das Gefühl, er macht sich überhaupt nichts aus mir.“
„Er mag dich sicher“, erwiderte ich. Davon war ich überzeugt, denn er behandelte sie nie unfreundlich, so wie mich. „Aber ob er in dich verschossen ist, kann ich nicht beurteilen“, setzte ich hinzu.
Ab und zu war ich geneigt, das zu glauben. Ich hatte ihn zum Beispiel schon erwischt,