Der Schatten Deiner Seele. Hazel McNellis
Чтение книги онлайн.
Читать онлайн книгу Der Schatten Deiner Seele - Hazel McNellis страница 16
Sie erinnerte sich an das mulmige Gefühl, als der Schwindel sie erfasst hatte. An den Sturz durch den Schleier in Kierans Welt. Sie erinnerte sich, wie der Hüter den roten Faden in den Strang zurückgeflochten hatte. An das Leuchten, das Strahlen – und an die bittere Verzweiflung, die sie empfunden hatte, nachdem es sie in ihre Heimat zurückversetzt hatte. Hieß das, das Bündel der Bindfäden war wieder komplett und der Schleier für sie undurchdringlich?
Hoffnung und Sehnsucht hatten sie hierhergetrieben. Sie hatte gehofft, es würde sie zu Kieran zurückbringen, wenn sie dieselben Umstände erzeugte wie beim ersten Mal. Doch sie hatte sich geirrt. Jede ihrer Hoffnungen hatte sich zerschlagen.
Mit einem Ruck stand sie auf und räumte das Buch mit einem wütenden Stoß zurück ins Regal.
Die Enttäuschung, dass sich ihr Wunsch nicht erfüllte, rollte über sie hinweg wie eine Flutwelle.
Sie verließ die Bibliothek, um sich auf den Weg zu machen. Nachdem sie in Tarnàl angekommen war, hatte sie ein kurzes Gespräch mit ihrem Vater führen können. Er zeigte sich erstaunt über ihren unerwarteten Besuch, doch es fehlte ihm die Zeit, um sich seiner Tochter zu widmen. »Dringende Angelegenheiten«, hatte er es genannt.
Die Bibliothekstür klickte hinter ihr ins Schloss. Ariana blinzelte gegen die Sonnenstrahlen an, die sich hinter zwei dicken Wolken hervortrauten. Sie wusste, sie sollte zurück nach Farnàl reiten. Aber vorher wollte sie den Markt aufsuchen. Sie musste mit den Leuten über die Minen sprechen. Es war ihr ein Bedürfnis, die Lage in den Kristallminen zu durchschauen. Sie hatte nicht vor, tatenlos neben ihrem Mann ihr Dasein zu fristen. Die Menschen vertrauten ihr als Königstochter die Zukunft an. Das durfte sie nicht ignorieren.
Die Stadtbewohner begrüßten sie mit erfreuten Gesichtern. Einige schenkten ihr ein paar Blumen, die sie dankend entgegennahm. Es dauerte nicht lange und ihre Ankunft in der Stadt verbreitete sich unter den Einwohnern wie ein Lauffeuer.
Ariana stieg kurz hinter der Ortsgrenze von ihrem Pferd und richtete ihren Fokus auf einen Straßenhändler.
»Verzeiht«, sprach sie den Mann hinter der Auslage an. Er war hager und stand in der Gemüsebude wie eine reglose Statue. Bei ihrem Anblick erhellten sich jedoch die schmalen Augen.
»Prinzessin«, grüßte er sie mit einem schwachen Zittern in der Stimme. Er versuchte sich an einer Verbeugung hinter dem Verkaufsstand, was aber aufgrund der engen Räumlichkeit praktisch unmöglich war.
»Bitte, das müsst Ihr nicht!«, bat sie ihn. Es war ihr unangenehm, wenn die Leute sie mit solch übertriebenen Gebaren derart emporhoben. »Sagt«, begann sie, »was könnt Ihr mir über die Kristallminen berichten?«
Erstaunt sah er sie an. »Die Minen?«
Sie nickte und beäugte derweil die Früchte seiner Auslage. »Ich hörte Gerüchte. Vielleicht wisst Ihr Näheres?«
Der Mann zögerte und sein Blick huschte kurz über sie hinweg. Offenbar war er unsicher, was er ihr antworten sollte.
Ariana griff nach einem Apfel. »Prinz Fionn wünscht, die Ansichten der Bürger zu erfahren, und hat mich geschickt. Ihr vertraut mir doch?« Sie sah dem Verkäufer direkt in die Augen, woraufhin er rasch seinen Blick auf den Apfel zwischen ihren Fingern senkte.
»Natürlich, sehr wohl, werte Prinzessin«, erklärte er hastig und neigte das Haupt respektvoll. »Es heißt, die Kallràner wollen die Minen stürmen, wenn der König nicht einen Teil seiner Machtstellung abgibt. Sie sind ziemlich sauer. Dem Tratsch zufolge wachsen die Unruhen unter ihnen. Sie lehnen sich auf, versteht Ihr.«
Ariana nickte, als erzähle er ihr nichts Neues. »Es ist ein Jammer, dass die Völker derart entzwei gespalten sind. Und alles wegen der Kristalle. Wirklich traurig.«
Der Händler räusperte sich. »Euer Vater findet eine gerechte Lösung, davon sind wir hier überzeugt. Erst heute früh erfuhr ich, dass er sich mit Vertretern der Kallrànschen Regierung treffen wollte.«
»Tatsächlich?«
Er nickte. »So erzählt man es sich.«
Das waren also die »Dringenden Angelegenheiten« von denen ihr Vater gesprochen hatte. Die Lage um die Minen musste schlimmer stehen, als sie vermutet hatte.
»Mein Vater hält den Anspruch an einen Großteil der abgebauten Kristalle, ist es nicht so?«, meinte sie beiläufig und fischte in ihrer Tasche, um die Münzen für den Apfel hervorzuholen. In der Zwischenzeit hüstelte der Verkäufer vernehmlich, was sie aufblicken ließ.
»Bitte, Prinzessin«, murmelte er mit einem schockierten Blick auf ihre Tasche. »Bitte, behaltet die Münzen. Ich schenke Euch das Obst.«
Sie lächelte und hielt ihm das Geld hin. »Es ist mein Dank für den Apfel und die Informationen.«
Zögernd nahm er das Geld entgegen und räusperte sich. »Euer Vater besitzt mehr als die Hälfte der Kristallausbeute. Den Rest beanspruchen der König von Farnàl und sein Thronerbe. Für die Kallràner bleibt demnach nicht viel, heißt es.« Er schnaubte. »Sie verweigern sich den Fakten, wenn Ihr meine Meinung hören wollt.«
»Was meint Ihr damit?«, fragte Ariana.
»Na, die Tatsache, dass die Minen zu einem beträchtlichen Teil auf den Gebieten von Farnàl und Tarnàl liegen. Für die Kallràner ist das mitsamt der Kristallverteilung ungerecht. Sie wollen das nicht. Dabei entspricht die Vergabe lediglich dem Minenanteil auf ihrem Herrschaftsgebiet. So unfair ist das Ganze also gar nicht, wenn Ihr mich fragt.«
Ariana nickte. Sie konnte ihren Unmut schwer nachvollziehen. Ihr erschien die Verteilung der einzigen wirklichen Wertgüter ebenso gerecht, wenn es stimmte, was der Verkäufer ihr erzählte. Gleichzeitig war klar, dass die Macht nun einmal bei demjenigen lag, der den größten Anteil besaß. Es war eine Frage von Mehrheiten. Sorge bereitete ihr, dass die Kallràner offenbar den Aufstand planten. Was wollte ihr Vater dagegen unternehmen? Wie würde dieses Treffen heute ausgehen?
Sie wusste nichts über die Zustände innerhalb der Minen. Wie konnte sie sich als Prinzessin ein Urteil erlauben? In ihrer Rolle stand es ihr nicht zu, politische Diskussionen zu führen. Ein Gespräch mit ihrem Vater kam ihr in den Sinn. Es lag bereits einige Wochen zurück und hatte Fionns Strafe zum Thema gehabt. Ihr Vater meinte, sie müsse lernen, Urteile zu fällen, wenn sie eines Tages Thronerbin sein wollte.
Abrupt erstarrte sie. Ihr kam ein Gedanke. Noch während sie darüber nachdachte, stiegen ihre Augenbrauen in die Höhe. Die Idee war so fundamental, dass sie einen überaus langen Moment innehielt. Sie kostete den Augenblick des Geistesblitzes aus. Zugleich fragte sie sich, wie Fionn oder sein Vater ihr Vorhaben auffassen würden. Keine Frau aus dem Königshaus hatte es zuvor je gewagt. Bei dem Gedanken gefror ihr das Lächeln im Gesicht. Fionn wäre sicher nicht begeistert davon. Sie seufzte. Dann blinzelte sie und schenkte dem Verkäufer ein letztes Lächeln.
»Ich danke Euch«, sagte sie und verabschiedete sich von ihm.
Sie schlenderte danach erst durch die Straßen der Stadt und führte das Pferd am Zügel hinter sich. Dabei betrachtete sie mit stiller Freude die Händler mit ihrem Gemüse, Gebäck und all den feinen Stoffen. Bald schon musste sie aber in den Sattel steigen, weil sich die Menschen zunehmend um sie scharten.
Die Bewohner blickten sie freudestrahlend an. Kinder klammerten sich mit weit geöffneten Augen an die Schürzen ihrer Mütter. Die euphorische Stimmung in den Straßen war ansteckend. Sie