Raban und Röiven Der Feuervogel. Norbert Wibben
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»Nö! Da kann ich nicht helfen. – Sollten wir die alte Eule Minerva um Rat fragen?« Raban hat sich ein zweites Stück Schokolade genommen und lutscht es nachdenklich. Sollten sie vorher Sorcha fragen? Das ist doch naheliegender, da sie ja im geheimen Wald sind. Doch wird sie auch in Serengard, der Elfenfestung, sein? Andererseits verfügt Raban selbst über das bis zum Sommer angesammelte Wissen der Elfen, kann Sorcha denn mehr wissen? Vielleicht hat Röiven Recht, und sie sollten die Eule aufsuchen. Eulen haben ihre eigene Weisheit. Während der Junge noch unschlüssig ist, schreckt er plötzlich auf und blickt forschend um sich. Was war das für ein Schrei? Von wo ist der gekommen, oder war er nur in seinem Kopf?
»Hast du das auch gehört?«, wendet er sich fragend an den Kolkraben.
»Wie, was gehört?«, krächzt dieser zurück.
»Na. Das klang wie ein langgezogener … Da ist es schon wieder.« Während Röiven verneinend den Kopf bewegt, konzentriert sich der Junge auf den Laut. Plötzlich klärt sich sein Gesicht. »Das muss Ilea sein, die mit mir Verbindung aufnehmen will. – Aber sie sagte doch, dass sie das nicht könne. Sollte das jetzt funktioniert haben, also fast?«
»Warum sollte Ilea das nicht können? Ich habe ihr doch von meiner Zauber…«, knarzt der Rabe, als er schon von Raban unterbrochen wird.
»Wir haben vor ein paar Minuten telefoniert. Da sagte sie, dass ich ihr noch beibringen solle, wie sie die gedankliche Verbindung zwischen uns herstellen könne.«
»Aber das ist doch ganz einfach!«, erwidert Röiven erstaunt.
»Für dich, sicher. Ich musste das auch erst üben, erinnerst du dich nicht mehr an meine Versuche im vorigen Jahr? Jetzt sei bitte still, ich versuche sie zu erreichen.«
»Ist ja schon gut. Wenn die süß… Entschuldigung!«
Der schwarze Vogel blickt den Jungen forschend an, der seine Augen geschlossen hält, um sich besser konzentrieren zu können.
Hinweise auf ein Verbrechen
Etwa zwei Wochen zuvor: Dunkle Qualmwolken steigen quirlend in den strahlend blauen Himmel hinauf. Der beißende Geruch verdeckt zwar zum Großteil die seltsamen, süßlichen Spuren eines anderen Duftes, jedoch nicht komplett. Einige Raubtiere werden davon magisch angezogen. Gibt es hier etwas zu Fressen für sie? Sie halten zögernd Abstand zu den an einigen Stellen noch brennenden Resten des zusammengefallenen großen Gebäudes. Sie huschen aufgeregt hin und her, wobei sie sich gegenseitig mit gefletschten Zähnen anknurren. Sie sträuben dabei drohend ihr getüpfeltes Fell und halten die Ohren angelegt. Ein besonders mutiges Tier setzt eine Pfote auf einen schwarzen Balken, um näher an die verlockend riechende Quelle in diesem Wirrwarr zu gelangen. Aufjaulend zieht es sich sofort wieder zurück. Noch ist die Hitze des verkohlten Holzes zu groß.
Plötzlich sind menschliche Stimmen und Hufgetrappel zu vernehmen, die schnell näher kommen. Die Tiere zögern. Sollen sie sich die Nahrung entgehen lassen, oder können sie es mit den Ankommenden aufnehmen? Sie drehen sich in die Richtung, aus der die Geräusche erschallen. Jetzt erscheint ein hochgewachsener Reiter auf einem der hier verwendeten, extrem widerstandsfähigen und edlen Pferde im vorsichtigen Schritt auf dem Pfad zwischen den Büschen. Abrupt zügelt er sein Tier, als er das Geschehen auf dem weiten Platz erblickt.
»Kommt hierher«, ruft er, sich kurz zurückwendend, »und macht ordentlich Radau, denn die ersten Raubtiere stehen bereit und hoffen auf Aas.« Der Jüngling wendet sein Reittier zur Seite und überzeugt sich mit einem schnellen Blick zu den Überresten der Gebäude, dass von Menschen keine Gefahr droht. Er behält die drohend grollenden Raubtiere im Blick, während er sich aus dem Sattel schwingt. Er steht kaum auf dem Boden, da macht er einen schnellen Schritt auf die ihn starr anblickenden Tiere zu und klatscht mehrmals in die Hände. Blendend helle Blitze leuchten dadurch auf und fliegen in Richtung der abwartenden Bestien. Die zusätzlich entstehenden, scharfen Knallgeräusche lassen sie zusammenzucken. Als jetzt drohende Rufe und Pferdegetrappel ganz nah erklingen, die die Ankunft weiterer Menschen verkünden, hält die Räuber nichts mehr an diesem Ort. Sie flüchten knurrend in verschiedene Richtungen.
Der blonde Mann mit den langen Haaren ist ein Sucher, der seine Begleiter, die jetzt ebenfalls zwischen den Büschen hervor geritten kommen, zu diesem Ort geführt hat. Seine blauen Augen leuchten hell, während er die anderen selbstbewusst anschaut. Es sind fünf wild aussehende Männer und eine genauso martialisch wirkende Frau. Die Haare der Männer sind ebenso lang wie die des Jünglings, aber schwarz, und sie werden durch graue Bänder eng an ihre Köpfe fixiert. Die etwas längeren Haare der Frau reichen bis auf den Rücken, sind mittelblond und werden von einem dunkelroten Haarband gehalten. Eine leuchtend rote Haarsträhne ist auf ihrer linken Seite zu sehen. Gekleidet sind sie in graue Hosen und Hemden. Auf dem Kragen der Frau sticht wiederum etwas Rotes ins Auge. Es ist ein verschnörkeltes Symbol, das sie trotz ihres noch geringen Alters als eine der oberen Jäger der Darkwings ausweist. Die sechs steigen schwungvoll von ihren Tieren und binden sie an den Büschen fest, von denen diese sofort die grünen Blätter naschen. Die Neuankömmlinge treten zu dem Jüngling.
Der Sucher hat auch lange Haare, die aber von keinem Stirnband gebändigt werden, sie fallen in leichten Locken bis auf seine Schultern. Seine Bekleidung besteht aus einer Hose und einem Hemd, die aus weichem, dunkelgrün gefärbtem Leder gefertigt sind. Auf seinem linken Hemdkragen ist ein goldenes Symbol in Form einer Feder zu sehen, auf dem rechten eine Flamme. Bewaffnet ist er, im Gegensatz zu den anderen, die mit Pfeil und Bogen sowie schmalen Kurzschwertern ausgestattet sind, nur mit einem Messer an seinem Gürtel.
»Also ist es wahr«, beginnt er, auf die Überreste des Anwesens deutend, »hier wurde eine ganze Familie ausgelöscht.« Seine Worte klingen bestimmt, seine Stimme ist dabei leise, aber nicht unterwürfig. Er ist ein freier, selbstbewusster Mann, der seine Fähigkeiten den Darkwings hin und wieder zur Verfügung stellt, wenn er von dem Sinn der Aufgabe überzeugt ist.
»Das ist nicht gesagt«, widerspricht die Frau, deren herrische Stimme ihre Position in der höheren Gesellschaftsschicht ihres Volkes unterstreicht. Sie weiß nicht warum, aber die selbstsichere Art des Suchers reizt sie. »Vielleicht konnten einer oder mehrere von ihnen fliehen und sich verstecken, bevor die Gebäude in Flammen aufgingen.«
»Du hast natürlich Recht. Wir müssen auch diese Möglichkeit in Betracht ziehen. Da es hier aber nicht nur nach Qualm, sondern auch nach Blut riecht, dass die Raubtiere angelockt hat, werden wir Leichen finden. Da das Blut trotz des Qualmes überhaupt zu riechen ist, deutet das auf mehrere Tote hin.«
»Das kann auch von den Tieren herrühren, die im Stall standen. Wir sollten jetzt aber nicht länger diskutieren. Vielleicht gibt es Verletzte, die unsere Hilfe benötigen.«
Der Sucher nickt zustimmend und alle schwärmen aus, um nach Überlebenden zu suchen.
Nach mehreren Stunden finden sie die erste Vermutung des blonden Jünglings bestätigt. Sie entdecken zwar die Überreste toter Tiere, aber auch fünf menschliche Leichen, jedoch keine Hinweise auf Überlebende. Obwohl die Toten verbrannt werden sollten, sind an ihnen noch die Spuren von Folterungen zu erkennen, mit denen sie vor ihrem Tod gequält wurden. Zwischen den rauchenden Trümmern finden sie Hinweise darauf, dass offensichtlich etwas gesucht wurde. Selbst in den Resten des Stallgebäudes ist der Boden aufgegraben worden. Ob der oder diejenigen, die das getan haben, fündig geworden sind,