Himmelsvolk. Waldemar Bonsels

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Himmelsvolk - Waldemar Bonsels

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er machte einen kleinen Sprung und segelte schnurgerade über die Saatfelder dahin, auf die

       Wohnungen der Menschen zu. Ein kleiner dürrer Ast brach ab und fiel nieder ins Moos, mitten

       zwischen die Anemonen, die noch nicht erwacht waren.

       Die Bachstelze wollte sich zuerst noch längere Zeit ärgern, aber dann dachte sie: Es hat nicht den

       geringsten Wert. Erstens ist dieser Narr doch jetzt fort, und zweitens beginnt ein geradezu

       fabelhafter Frühlingstag. Sie atmete die kühle Luft ein, die von den Bäumen her über die Waldwiese

       zog. »Erdgeruch, Veilchen und Tau,« sagte sie, »und dabei eine Frische, die man nicht glauben

       würde, wenn man sie nicht durch den ganzen Körper bis in die Flügelspitzen spürte.«

       Und sie wippte wiederholt auf ihre ungemein zierliche Art und eilte bachaufwärts davon, durch die

       jungen Sprossen des Schilfs und der Primeln.

       ***

       Bald darauf stieg die Morgensonne am Frühlingshimmel empor, und die Anemonen wiegten sich

       sanft im Wind, der kühl und unsichtbar, nach Windesart, aus den Zweigen der großen Linde

       niederzusinken schien. Die Gräser wurden wach, fröstelten ein wenig unter den winzigen Tauperlen,

       die zu vielen Tausenden an ihnen hingen, und rasch verbreitete sich die Nachricht unter den

       Erwachenden, daß es ein heller Sonnentag werden sollte.

       Man muß nun wohl bedenken, daß ein Tag den Pflanzen viel mehr bedeutet als den Menschen, denn

       das Leben der meisten ist kürzer bemessen, als das der großen lebendigen Geschöpfe, es gibt unter

       ihnen sogar viele, die nur einen Tag lang blühen, sie erwachen in der Frühe, entfalten ihr

       Blumenangesicht im heraufsteigenden Licht der Sonne, der Mittag des Tages ist der Mittag ihres

       Daseins, und die hereinbrechende Nacht ist das Ende ihres Frühlings. So erscheint den kleinen

       Pflanzen, auch denen, welche länger leben, die Dauer eines Tages um vieles wichtiger und

       bedeutungsvoller, als den Tieren oder uns Menschen. Ihre allerschönste Zeit sind die Tage, in

       welchen sie blühen.

       Man merkte gleich, wie wichtig so ein warmer Frühlingstag ist, an der Art, wie glücklich eine ältere

       Gänseblume sich langsam gegen das Licht aufrichtete und zurückgelehnt den roten Schein aufnahm.

       Sie hatte überwintert und war sehr erfahren. Es sah aus, als tränke ein durstiges Wesen in vollen

       Zügen Wasser an einer Quelle. Dann rief sie den erwachenden kleineren Blumen, die rund um sie her

       standen und alle von ihrer Art waren, den Morgengruß der Blumen zu:

       Alle, die wir Blumen sind,bitten Gottes Segen,daß uns Sonne, Tau und Windheute finden mögen.

       Goldne Sonne, mach uns weitdeinen Strahlen offen,wie auf deine Herrlichkeitalle Wesen hoffen

       Himmelswunder, kühler Wind,Tau aus deinen Schwingen,wiege unser Leben lind,laß den Tag

       gelingen.

       Es will hier gesagt sein, daß unter vielen Menschen die Meinung verbreitet ist, daß die Pflanzen und

       Tiere keine Sprache hätten. Das ist nun freilich insofern wahr, als die Sprechweise dieser Geschöpfe

       der unsrigen nur schwer zu vergleichen ist, sie reden gewiß nicht auf dieselbe Art miteinander, wie

       Menschen es tun. Aber daraus darf niemand zu Recht den Schluß ableiten, daß alle diese Geschöpfe

       sich nicht auf ihre Weise miteinander verständigten, ihre Sinne sind wohl anders beschaffen, als die

       unsrigen, aber deshalb sind sie nicht weniger fein und fügsam, nicht weniger klar oder eindringlich.

       So bedürfen die Pflanzen, um miteinander zu verkehren, des Windes oder ihres Duftes und vor allem

       der Insekten, die einen großen und weitverzweigten Nachrichtendienst zwischen allen Blumen

       versehen, die alle Ansprüche, Wünsche und Gedanken, ja sogar die feinsten und lieblichsten

       Empfindungen, derer die Pflanzen fähig sind, auf wundervolle Art vermitteln.

       Es hat in der Vergangenheit Zeiten gegeben, in welchen der Glaube der Menschen an die Sprache

       und die Stimmen der Geschöpfe der Natur verbreiteter war, als es heute der Fall ist. Es muß daher

       gekommen sein, daß vor Tausenden von Jahren die Menschen enger am Herzen der Natur lebten,

       daß sie den Pflanzen dankbarer waren für ihre Früchte, den Tieren für ihre Dienste und den Wäldern

       für das Obdach, das sie ihnen gewährten. So hörten sie in frommer Andacht auf die Stimmen ihrer

       Wohltäter und lauschten auf das Rauschen der alten Linden. Sie vernahmen in der Stimme des

       Baums, die Stimme der Vergangenheit und der Zukunft. Wir müssen uns wohl hüten, diese alte

       Weisheit rasch als ein Zeichen des Aberglaubens zu verwerfen; alle, welche die Natur draußen

       kennen, werden gerne gestehen, daß der Sonnenschein über weiten Wiesen oder das Rauschen der

       Bäume im Wind das menschliche Herz ruhiger machen, besonnen und frei. Wer sähe aber die

       Vergangenheit oder die Zukunft, oder auch die Sorgen der Gegenwart nicht mutiger und gerechter

       an, wenn sein Herz einer solchen Freiheit teilhaftig geworden ist? Auf diese Art war zu manchen

       Zeiten ein Band tiefen Einvernehmens zwischen der Welt der Menschen und der übrigen Geschöpfe

       der Natur geschlungen, und es ist nur unser Verschulden, wenn wir verlernt haben, es zu erkennen.

       Wenn ich euch nun so mancherlei aus dieser Welt erzähle, so übersetze ich alles, was ich gesehen

       und gehört habe, in die Sprache der Menschen, bis ihr einmal selbst hinausgeht, um die Sprechweise

       der Tiere und Pflanzen zu lernen, und wahrscheinlich werdet ihr dann mehr und Besseres erfahren,

       als ich euch erzählen kann,

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