Der Gefangene im Kaukasus. Лев Толстой

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Der Gefangene im Kaukasus - Лев Толстой

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er sich dabei die Hände wund. Er erhob sich und setzte seinen Weg in der früheren Weise fort. Eine Werst weit war er so gekommen, indem er sich aus allen Kräften beeilte, dann machte er halt.

      »Es ist nicht zu ändern«, dachte er; »ich werde mich schleppen, soweit es eben die Kräfte noch zulassen; denn wenn ich mich niedersetze, so komme ich nicht mehr auf. In dieser Nacht werde ich die Festung nicht mehr erreichen. Wenn der Tag anbricht, so verberge ich mich im Wald und gehe erst in der kommenden Nacht weiter!«

      So marschierte er die ganze Nacht hindurch. Zwei tatarische Reiter kamen ihm entgegen; doch Schilin hatte sie schon von weitem entdeckt und Zeit gefunden, sich hinter den Bäumen zu verstecken.

      Schon begann der Mond zu erblassen, es fiel Tau, der Tagesanbruch stand bevor. Aber noch hatte Schilin nicht den Rand des Waldes erreicht.

      »Nun«, sagte er sich, »noch dreißig Schritte weiter, und dann werde ich mir irgendwo im Walde eine Stelle zum Rasten suchen.« Nachdem er die dreißig Schritte zurückgelegt, sah er, daß der Saum des Waldes dicht vor ihm lag; er trat an den Rand hinaus, als es schon völlig hell geworden war. Wie auf der flachen Hand lag vor ihm die Steppe ausgebreitet und darauf lag die Festung. Nach links hin ganz nahe waren lodernde Wachtfeuer am Berge zu sehen. Er sah den dorther aufsteigenden Rauch und die rings um denselben lagernden Soldaten.

      Vorsichtig sah er sich nach allen Seiten um, wobei er die funkelnden Gewehrläufe und die einzelnen Soldaten deutlich zu unterscheiden vermochte. Schilin war außer sich vor Freude. Seine letzten Kräfte zusammenraffend, ging er den Berg hinab. »Gott wolle verhüten«, dachte er, »daß mich noch auf dem ebenen Felde tatarische Reiter erspähen. Schon so nahe dem Ziel, würde ich es dann doch nicht erreichen!«

      Kaum war in ihm dieser Gedanke aufgetaucht, da erblickte er links am Hügel drei Tataren, nicht zwei volle Werst von ihm entfernt. Auch sie hatten ihn bemerkt und begannen, ihn zu verfolgen.

      Sein Herz war von Freude und von Furcht erregt. Er winkte mit den Armen nach der Festung zu und rief, so laut er es nur vermochte: »Brüder zu Hilfe, Brüder!«

      Man hatte seinen Ruf im Lager gehört. Kosaken sprangen zu ihren Pferden und jagten ihm entgegen, wobei sie zugleich den Tataren den Rückweg abzuschneiden versuchten. Aber noch waren die Kosaken weit entfernt, während die Tataren mit jeder Sekunde dem Flüchtling näher auf die Fersen kamen. Schilin nahm seine letzten Kräfte zusammen, und den Fußblock mit den Händen fassend, eilte er den Kosaken entgegen, außer sich vor Erregung, sich fortwährend bekreuzigend und ausrufend: »Brüder – Brüder – Brüder!«

      Es waren etwa fünfzehn Kosaken. Die Tataren bekamen Furcht und wagten es nicht, die Verfolgung noch weiter auszudehnen; sie galoppierten den Bergen zu.

      So erreichte denn endlich Schilin die Kosaken. Sie umgaben ihn und überhäuften ihn mit Fragen, wer er sei, was für ein Mensch und woher er komme. Aber Schilin vermochte im Übermaß der Erregung und Erschöpfung nicht zu antworten, er weinte und wiederholte nur immer: »Brüder – Brüder!«

      Soldaten liefen herbei und brachten ihm der eine Brot, der andere Grütze, ein dritter Branntwein. Er wurde mit einem wärmenden Mantel bedeckt und der Fußblock zertrümmert. Die inzwischen hinzugekommenen Offiziere erkannten ihn und führten ihn in die Festung, wo er von Offizieren und Soldaten mit Freudenrufen empfangen wurde.

      Nachdem er sich erholt, mußte Schilin ihnen alle Erlebnisse seiner Gefangenschaft erzählen, und schloss seinen Bericht mit den Worten: »Nun, ich wollte nach Hause fahren und heiraten; aber es ist offenbar geworden, das Schicksal will es nicht.«

      Und so verblieb er im Kaukasus.

      Erst einen Monat später wurde Kostylin gegen Zahlung von fünftausend Rubel ausgelöst. Er kam kaum noch lebend heim.

      1 Hütte

      2 russischer Bauer

      3 russische Bäuerin

      4 tatarischer Halbrock

      5 Das bedeutet, die Gläubigen sollen zur Moschee kommen.

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