Der Gefangene im Kaukasus. Лев Толстой

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Der Gefangene im Kaukasus - Лев Толстой

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seinem Fußblock. Der Alte hörte das Geräusch, blickte sich um, schrie erschrocken auf, riß aus dem Gürtel eine Pistole und feuerte sie auf Schilin ab, welcher kaum Zeit hatte, hinter der Mauer Deckung zu suchen.

      Der Alte kam zu Schilins Gebieter, um sich über jenen zu beklagen. Abdul rief Schilin und fragte ihn wieder lachend: »Warum gingst Du zu dem Alten hinauf?«

      »Ich habe ihm nichts Böses getan«, erwiderte Schilin. »Ich wollte nur sehen, wie er lebt.«

      Der Alte ward darauf noch erboster, zischte und murmelte etwas, fletschte seine Zahnreste und deutete mit der Hand nach Schilin. Dieser verstand nicht alles, aber es ward ihm klar, der Alte verlangte, Abdul sollte den Russen töten und nicht ferner im Aul dulden. Darauf entfernte sich der Alte.

      Schilin fragte seinen Gebieter, was das für ein alter Mann sei.

      »Das ist ein bedeutender Mann«, war dessen Antwort. »Er war der erste Dschigit und hat viele Russen getötet. Er war früher ein reicher Mann und hatte drei Frauen und acht Söhne. Alle lebten in demselben Dorfe beisammen. Dann kamen die Russen, zerstörten das Dorf und töteten sieben seiner Söhne; der achte Sohn hatte sich den Russen ergeben. Der Alte ging selbst, sich den Russen zu unterwerfen. Er verbrachte drei Monate bei ihnen, fand dort seinen Sohn, erschlug ihn selber und lief davon. Seit jener Zeit hörte er auf, zu kämpfen und pilgerte nach Mekka, um zu Allah zu beten. Seitdem trägt er auch einen Turban. Wer in Mekka war, erhält den Titel Ghadshi und hat das Recht, einen Turban zu tragen. Er liebt euch Russen nicht und hat soeben verlangt, ich solle Dich töten. Aber das kann ich nicht tun; denn ich habe Geld für Dich bezahlt und zudem bin ich Dir wohl gewogen, Iwan. Es fällt mir nicht ein, Dich zu töten; ja, ich möchte Dich sogar gern frei lassen, wenn ich nicht mein Wort verpfändet hätte.«

      Dabei lachte er und wiederholte auf russisch sein: »Du bist gut, Iwan, und ich, Abdul, bin auch gut!«

       IV.

      Wieder verging so ein Monat. Des Tags über ging Schilin überall umher, immer mit etwas beschäftigt. Aber wenn die Nacht kam und ringsumher alles Geräusch verstummte, dann grub er den Boden seiner Scheune auf. Die Steine machten ihm das Graben schwer, welche er oft mit seinem kleinen Messer unterhöhlen mußte. Auf diese Weise stellte er unter der Mauer einen Durchgang her, geräumig genug, um bei gelegener Zeit hindurchkriechen zu können.

      »Aber jetzt wird es Zeit«, sagte er sich, »mich selbst darüber zu orientieren, nach welcher Richtung ich mich zu wenden habe; die Tataren werden es mir schwerlich sagen.«

      Er nahm die Zeit wahr, als der Hausherr ausgeritten war, und ging nachmittags auf den Berg hinter dem Dorfe. Von dort aus wollte er über die Gegend Umschau halten. Aber Abdul hatte vor der Abreise seinem kleinen Sohn aufgetragen, den Gefangenen überallhin zu folgen und sie nicht aus den Augen zu lassen.

      Der Kleine lief auch wirklich hinter Schilin her und rief: »Geh nicht dahin; der Vater hat's verboten. Ich rufe sonst gleich unsere Leute zusammen.«

      Schilin versuchte ihn zu überreden.

      »Ich gehe nicht weit, nur ein wenig den Berg hinan. Komm doch mit mir! Mit dem Fußklotz da kann ich ja nicht davonlaufen. Morgen werde ich Dir einen Bogen und Pfeile machen!«

      Der Kleine ließ sich überreden und ging mit. Es war nicht sehr weit bis zum Gipfel, um einen Überblick zu gewinnen, aber mit dem Fußklotz ward es doch sehr mühsam, hinanzuklimmen; kaum konnten sie das Ziel erreichen.

      Schilin setzte sich, endlich oben angelangt, und begann die Gegend zu überschauen. Gegen Süden hinter der Scheune lief ein Hohlweg hin, auf dem eben ein Trupp Pferde dahinging, und weiterhin sah er ein anderes Dorf in der Niederung. Hinter diesem Dorfe lag ein anderer noch steilerer Berg und hinter jenem zwei weitere. Zwischen diesen Bergen war ein Wald zu erblicken in blauer Ferne und höher und höher ragten dort die Spitzen des Gebirges. Über die anderen empor ragte ein Berg, weiß wie Zucker, mit Schnee bedeckt, als wenn er eine weiße Kappe trüge. Nach Osten wie nach Westen ebensolche Berge, in den Tälern dazwischen Dörfer, von denen bläulicher Rauch aufstieg.

      »Nun«, sagte er sich, »das alles ist ihre Seite«, und wandte sein Auge der anderen, russischen Seite zu. Er sah ein kleines Flüsschen und ein Dorf von Gärten umgeben. Am Fluß sah man, klein wie Puppen, Weiber sitzen und Wäsche waschen, hinter dem Aul einen Hügel, dann weiterhin noch zwei Bergkuppen mit Wald besetzt. Zwischen den beiden Bergen zeigte sich eine Ebene, die sich lang gestreckt in blauer Ferne verlor. Schilin hatte sich klar zu machen gewußt, in welcher Richtung die Sonne auf- und unterging, als er noch in der Festung lebte und kam danach zu dem Schluss, gerade dort in jenem Tal müsse die russische Festung liegen. Dahin, zwischen den beiden Bergen hindurch, mußte er also seine Flucht richten.

      Schon neigte sich die Sonne zum Untergang, die weißen Schneeberge wurden mit Purpurlicht übergossen, aus den Tälern stieg ein feiner Dunst auf, und jene Ebene, in der die russische Festung sich befinden mußte, glühte im Hellrot des Sonnenuntergangs. Schilin blickte gespannt gegen Norden, er sah etwas undeutlich in der Ferne schimmern, mit einer wie aus einem Schornstein sich erhebenden Rauchsäule, und er redete sich ein, daß dies wirklich die russische Festung sei. Es war spät geworden, der Mullah hatte schon die Gläubigen zum Nachtgebet gemahnt. Brüllend kehrten die Herden heim. Der Kleine rief mahnend: »Iwan, gehen wir doch nach Hause!« Dieser aber konnte sich noch immer nicht von der Fernsicht losreißen. Nach langem Zögern kehrten endlich beide nach Hause zurück.

      »Nun«, dachte Schilin, »nun weiß ich, wohin ich meine Flucht zu richten habe; noch diese Nacht muß ich fliehen!«

      Die Nacht war dunkel, es war Neumond. Unglücklicherweise kamen noch am Abend die Tataren zurück. Gewöhnlich hatten sie sonst bei der Heimkehr geraubte Viehherden mitgebracht; diesmal führten sie aber nichts mit sich als die Leiche eines getöteten Tataren, einen Bruder des Rotbärtigen. Sie waren daher in sehr böser Stimmung.

      Während sie die Vorbereitungen zum Begräbnis trafen, trat Schilin zu ihnen, um zuzuschauen. Sie hatten den Toten in ein großes, weißes Laken gehüllt und ohne Sarg hinter dem Dorfe unter einer Platane ins Gras gelegt. Der Mullah kam. Greise mit Turbanen auf den Häuptern sammelten sich und setzten sich nebeneinander auf die Absätze, der Leiche gegenüber.

      Vorn stand der Mullah, hinter diesem drei Greise mit Turbanen und hinter diesen stellten sich die übrigen Tataren auf. Lange saßen sie so regungslos und schweigend. Endlich erhob der Mullah den Kopf und rief: »Allah!«

      Er sprach nur dieses eine Wort und verstummte wieder. Langes Schweigen erfolgte darauf, alle saßen regungslos da. Wieder erhob der Mullah den Kopf. »Allah!« rief er und alle wiederholten: »Allah!« und wieder verstummten sie darauf. Unbeweglich, wie der Tote im Grase, saßen auch sie wie Tote da, keiner rührte sich, nur im Gipfel der Platane hörte man die vom Wind bewegten Blätter rauschen. Dann sprach der Mullah ein Gebet. Alle standen auf, erhoben mit ihren Armen den Toten und trugen ihn zum Grabe. Dies war kein gewöhnliches Grab, sondern unter der Erde ausgehöhlt wie ein Keller. Sie faßten den Toten unter den Schultern und an den Beinen, bogen ihn zusammen und ließen ihn langsam hinab, so daß er in sitzender Stellung auf den Boden der Grube gelangte, dann kreuzten sie seine Arme über die Brust.

      Der Nogajer brachte grünes Schilf, mit welchem das Grab ausgelegt wurde, danach wurde es rasch mit Erde zugeschüttet, geebnet und über der Stelle, wo der Kopf des Toten sich befand, ein Stein aufgestellt. Dann wurde die Erde festgestampft, alle kauerten sich wieder im Kreise um das Grab, danach wieder tiefes Schweigen.

      »Allah! Allah! Allah!« seufzten sie endlich und erhoben sich.

      Der rotbärtige Tatar verteilte Geld unter die Greise, ergriff eine Peitsche und schlug sich damit

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