Der Gefangene im Kaukasus. Лев Толстой
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Er näherte sich Schilin und klopfte ihm freundlich die Schultern.
»Du bist gut, schreibe! Ich auch gut!«
Schilin schrieb den Brief, wie er von ihm verlangt wurde. Dann führte man ihn zugleich mit Kostylin in die Scheune zurück, brachte ihnen dann Kukurusstroh, ein Gefäß mit Wasser, Brot, zwei abgetragene Tscherkesken und Soldatenstiefel, welche sie wahrscheinlich gefallenen Russen nach einem Gefecht abgezogen hatten. Während der Nacht nahm man ihnen die Fußblöcke ab, schloss sie dann aber in die Scheune ein.
III.
So verlebte Schilin mit seinem Kameraden einen vollen Monat. Sein Gebieter lachte stets, wenn er ihn ansah, und sagte: »Du bist gut, Iwan, ich, Abdul, bin auch gut.« Aber die Nahrung war schlecht, sie bestand nur aus ungesäuertem Brot von Hirsemehl, welches in Fladen oder Pfannkuchen gebacken und ungenügend ausgebacken war.
Kostylin schrieb noch einmal nach Hause und wartete auf die Einsendung des Lösegeldes mit Ungeduld und Langeweile. Acht Tage lang saß er in der Scheune und zählte die Tage, bis wann der Brief ankommen könne, manchmal schlief er den ganzen Tag durch.
»Wie wird meine Mutter so viel Geld für mich zusammenbringen«, fragte sich Schilin, »da sie doch lediglich von dem gelebt hat, was ich ihr schickte? Wenn sie auch wirklich fünfhundert Rubel auftreiben könnte, so wäre sie vollständig ruiniert. Gott wird mir helfen, daß ich mich selbst befreien kann.« Müßig ging er im Dorfe spazieren, indem er sich etwas vorpfiff, oder er saß irgendwo, mit einer Handarbeit beschäftigt; entweder formte er Puppen aus Ton oder flocht Körbe aus Zweigen, denn in allen solchen Kunstfertigkeiten war Schilin Meister.
Einmal hatte er wieder eine Puppe aus Ton modelliert mit einer Nase, mit Händen und Beinen in tatarischem Hemd. Diese Puppe stellte er aufs Dach.
Als die Tatarinnen zum Wasserholen kamen, sah Dina, die Tochter des Hausherrn, die Puppe und rief ihre Freundinnen herbei. Alle stellten ihre Eimer beiseite und beguckten lachend die Puppe. Schilin nahm sie herab und reichte sie ihnen. Die Mädchen lachten und freuten sich über die Puppe, wagten aber nicht, sie anzunehmen; deshalb stellte er sein Machwerk am Hause auf, zog sich in die Scheune zurück und wartete dort ab, was nun weiter erfolgen werde.
Nach kurzer Zeit kam Dina wieder herbei, blickte sich scheu nach allen Seiten um, ergriff rasch die Puppe und lief mit derselben davon.
Als Schilin am nächsten Morgen durch die Spalte der Scheunenwand blickte, sah er, wie um die Morgenröte Dina aus dem Hause trat, mit der Puppe im Arm, die sie mit bunten Lappen geschmückt hatte. Sie wiegte dieselbe wie ein Kind, das eingeschläfert wird.
Da kam eine alte Frau scheltend aus dem Hause, nahm ihr die Puppe weg, zerschlug sie und schickte Dina an die Arbeit.
Schilin verfertigte eine andere, noch reizendere Puppe und gab sie Dina.
Einmal brachte Dina ein Blechgefäß, stellte es vor Schilin hin, setzte sich daneben und blickte ihn an, lächelnd auf das Gefäß deutend.
»Was macht sie denn so heiter?« fragte sich Schilin, ergriff das Gefäß und trank daraus, in der Meinung, daß es Wasser enthalte: es war aber mit Milch gefüllt. Mit Vergnügen trank er sie vollends aus und sagte: »Charascho!« Gut.
Darüber war Dina sehr erfreut. »Charascho, Ivan, charascho!« sagte sie und in die Hände klatschend sprang sie auf, entriß ihm das Gefäß und lief davon.
Seit jener Zeit brachte sie jeden Tag ein Kännchen mit Milch, die sie heimlich entwendet hatte.
Die Tataren bereiten aus Ziegenmilch eine Art Käse in Fladen, die sie auf die Dächer in freier Luft trocknen. Auch solche Fladen brachte sie ihm heimlich. Als einmal ein Hammel geschlachtet wurde, brachte sie ihm auch ein Stück von dem Hammelfleisch im Ärmel, warf es ihm hin und lief rasch davon.
Ein anderes Mal erhob sich ein großer Sturm und es regnete den ganzen Tag über wie aus Eimern; alle Flüsschen schwollen an, wo vorher eine Furt gewesen, strömte jetzt das Wasser drei Arschinen tief und riß große Steine mit sich fort, überall strömten reißende Wassermassen dahin und von den Bergen herab hörte man ihr Brausen.
Als endlich das Unwetter vorüber war, rieselten kleine Bäche von allen Seiten durch das Dorf. Schilin erbat sich ein kleines Messer, schnitzte damit eine Walze und ein Brettchen aus und fertigte ein kleines Schiffchen mit einem Rad. An beiden Enden desselben stellte er Püppchen auf und schmückte diese mit bunten Läppchen, welche die Mädchen ihm zutrugen. Die eine der Puppen stellte einen Muschik2 vor, die andere eine Baba3. Er befestigte sie so, daß sie bei jeder Bewegung des Schiffchens zu tanzen schienen.
Das ganze Dorf kam herbeigelaufen, Knaben, Mädchen, Weiber und Männer, mit der Zunge schnalzend: »Ai, Uruss! – Ai, Iwan!« –
Abdul besaß eine zerbrochene russische Uhr. Er rief Schilin zu sich und zeigte sie ihm unter Zungenschnalzen.
»Gib sie her«, sagte dieser, »ich werde sie zurechtmachen.«
Er nahm sie, zerlegte sie mit Hilfe eines kleinen Messers und setzte sie wieder zusammen. Die Uhr ging wieder.
Der Tatar war darüber hoch erfreut; er schenkte dem Künstler seinen alten ganz zerlumpten Beschmet4. Schilin konnte nichts besseres tun als ihn annehmen. Er war immerhin noch gut genug, um sich damit während der Nacht zuzudecken.
Seit dieser Zeit, wo Schilin sich als Meister erprobt hatte, hatte er bessere Tage. Aus entfernten Dörfern kam man, seine Dienste in Anspruch zu nehmen. Einer brachte ein Schloss von einer Flinte oder Pistole zur Reparatur, ein anderer seine Uhr. Sein Gebieter gab ihm etwas Handwerkszeug, eine kleine Zange, eine Feile, einen Bohrer.
Schilin lernte mit der Zeit ihre Sprache einigermaßen verstehen, und manche von den Tataren gewöhnten sich an ihn und riefen ihn an mit »Iwan!« wenn sie irgendein Anliegen hatten.
Andere aber sahen ihn mit bösen Blicken an wie ein gefährliches Tier. Namentlich der rote Tatar war Schilin feindlich gesinnt. Wenn er ihn sah, so verfinsterte sich sein Gesicht, er wandte sich dann ab und stieß Schimpfworte aus.
Da war auch ein Greis, welcher nicht im Dorfe selbst wohnte, aber häufig von den Bergen herabkam. Schilin sah ihn nur, wenn er vorüberging, um in der Moschee zu beten. Er war von kleinem Wuchs. Seine Mütze war mit einem weißen Tuch umwunden, sein kurz gestutzter Bart war weiß wie Flaum, sein Gesicht ziegelrot und faltig, die Nase hakenförmig gebogen, wie der Schnabel eines Raubvogels zwischen seinen grauen stechenden Augen, der Mund zahnlos. Zuweilen ging er mit seinem Turban, auf einen Krückstock gestützt, vorbei, indem er sich mit bösen Blicken wie ein Wolf umsah. Wenn er Schilin sah, murmelte er Schimpfworte und wandte sich ab.
Einmal stieg Schilin den Berg hinan, um zu sehen, wo der Alte wohnte. Einen schmalen Pfad entlang gehend, stieß er auf einen kleinen Garten von einer Steinmauer umgeben, hinter welcher Kirschen- und Aprikosenbäume sichtbar wurden sowie auch eine kleine Hütte mit flachem Dach. Als er näher trat, entdeckte er einen Bienenkorb aus Strohgeflecht. Die Bienen schwärmten summend umher. Der