Der Gefangene im Kaukasus. Лев Толстой
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![Der Gefangene im Kaukasus - Лев Толстой Der Gefangene im Kaukasus - Лев Толстой](/cover_pre1098176.jpg)
Die Tataren hoben der Stute den Kopf in die Höhe, der Rote trat heran und durchschnitt ihr die Kehle. Die Stute stürzte nieder; er begann sie zu zerschneiden und ihr mit seinen großen Fäusten das Fell abzuziehen. Weiber und Mädchen kamen herbei und wuschen die Eingeweide. Dann wurde die Stute in Stücke zerschnitten und diese in das Haus des Roten gebracht. Das ganze Dorf kam dort zusammen, um das Gedächtnis des Verstorbenen zu feiern.
Drei Tage lang aßen sie von dem Pferdefleisch und tranken dazu Busa, zu Ehren des Verstorbenen. Alle Bewohner des Dorfes waren zu Hause. Am vierten Tage bemerkte Schilin gegen Mittag, daß sie Vorbereitungen zu einem Streifzug trafen. Pferde wurden herbeigeführt und etwa zehn Mann ritten davon, worunter sich auch der Rote befand. Abdul blieb zu Hause. Der Mond war im Zunehmen begriffen, die Nächte waren noch dunkel.
»Nun«, sagte sich Schilin, »heute werde ich fliehen!« Diesen Entschluss teilte er Kostylin mit; dieser aber war feig.
»Warum sollen wir fliehen? Wir kennen ja den Weg gar nicht!«
»O, ich kenne den Weg.«
»Aber eine Nacht genügt nicht, um das Ziel zu erreichen!«
»Wenn wir es nicht erreichen, so übernachten wir im Walde. Ich habe mir einen Vorrat von Fladen aufgespart. Was willst Du hier länger warten? Es ist sehr schön, wenn man das Lösegeld für Dich sendet, aber wie dann, wenn man es nicht auftreiben kann? Die Tataren sind jetzt zornig, weil die Russen einen der Ihrigen getötet haben. Sie sprechen unter sich, ich glaube, sie wollen uns umbringen.«
Kostylin besann sich lange; endlich sagte er: »Nun gut, gehen wir!«
V.
Schilin kroch in den von ihm gegrabenen unterirdischen Gang und erweiterte ihn, damit auch der dicke Kostylin ihn passieren könnte. Danach saßen sie schweigend und warteten ab, bis im Dorfe alles zur Ruhe gegangen war. Sobald im Aul Stille eintrat, kroch Schilin unter der Scheunenwand durch und flüsterte Kostylin zu: »Folge mir nach!« Auch jener kroch nun in die Höhlung hinein, stieß aber dabei mit den Beinen an einen Stein, der geräuschvoll in die Tiefe rollte.
Abdul hatte einen guten Wächter, einen lauten Hofhund, ein bösartiges Tier, »Uljaschin« genannt. Schilin hatte schon früher gesucht, sich mit demselben zu befreunden, indem er ihm zuweilen einen Bissen zuwarf.
Uljaschin hörte das Geräusch und kam unter lautem Gebell hergelaufen, hinter ihm die andern Hunde. Aber Schilin pfiff und warf ihnen ein Stück Fladen zu. Uljaschin erkannte ihn, wedelte mit dem Schweife und hörte auf zu bellen.
Der Hausherr wurde durch das Gebell erweckt und rief von seiner Hütte her: »Hait, hait, Uljaschin!«
Aber Schilin kraute dem Hunde hinter dem Ohr, Uljaschin bellte nicht, sondern rieb sich an seinen Beinen und wedelte mit dem Schweif. Die Gefangenen warteten in einer Ecke bis alles wieder still wurde. Nur die Lämmer hörte man im Stalle blöken und das Rauschen eines Baches in der Tiefe. Über dem Berge neigte sich der Halbmond zum Untergang und in den Tälern lag milchweißer Nebel.
Schilin erhob sich und rief dem Gefährten zu: »Nun, Bruder, Aida!«
Leise machten sie sich auf den Weg, kaum aber waren sie einige Schritte weit gekommen, als sie den Ruf des Mullah vom Dache hörten: »Allah!, besmilla Ilracham!«5
Wieder setzten sich die Flüchtlinge hinter eine kleine Mauer, um sich zu verbergen. Lange Zeit mußten sie dort ausharren, während die Tataren vorübergingen. Endlich wurde wieder alles still.
»Nun mit Gott vorwärts!«
Sie bekreuzten sich und gingen.
Sie gingen über den Hof und den Abhang hinab, bis zu dem Flüsschen, durchwateten dasselbe und traten in das enge Tal ein. Ein dichter Nebel lag unten, von oben sah man jedoch die Sterne hindurchschimmern. Nach diesen Sternen wählte Schilin die einzuschlagende Richtung. Die Luft war frisch und zu einem Nachtmarsche vortrefflich geeignet. Aber die Stiefel wurden sehr lästig. Schilin zog die seinigen von den Füßen, warf sie fort und ging barfuß weiter, von Stein zu Stein springend und sich aufmerksam nach den Sternen richtend.
Doch bald begann Kostylin zurückzubleiben.
»Langsam«, sagte er. »geh' langsam! Diese verdammten Stiefel haben mir die Füße wund gerieben.«
»Wirf sie doch weg, dann hast Du leichter zu gehen.«
Kostylin befolgte diesen Rat und ging gleichfalls barfuß weiter. Aber nun wurde es noch schlimmer. Die Steine zerrissen seine Füße, und immer weiter blieb er zurück. Schilin suchte ihn zu ermutigen.
»Was schadet das, wenn auch die Füße wund werden, das heilt wieder. Wenn sie uns aber einholen, werden sie uns töten!«
Kostylin erwiderte nichts und ging seufzend weiter. So gingen sie lange in der Niederung dahin. Da hörte Schilin von rechts her Hundegebell und hielt an, blickte sich sorgsam um und klomm, mit den Händen tastend, den Berg hinan.
»Ach!« rief er. »Wir haben uns verirrt. Wir sind zu weit nach rechts gekommen! Da liegt ein fremdes Dorf, ich habe es vom Berge aus gesehen. Wir müssen zurück und uns mehr nach links wenden über den Berg hinüber. Dort muß ein Wald liegen!«
Kostylin aber meinte: »Warte wenigstens ein wenig; laß mich erst ein bißchen zu Atem kommen, meine Füße sind ganz blutig.«
»Ach, die werden schon wieder heilen! Versuch doch zu springen, dann hast Du's leichter! Sieh mal so!«
Und damit lief Schilin zurück und den Berg zur Linken hinan, während Kostylin stöhnend immer weiter zurückblieb. Schilin suchte ihn anzutreiben, ohne jedoch anzuhalten.
Sie erklommen den Berg und fanden auch den Wald. Sie drangen durch das Dickicht ein. Der Rest ihrer Kleidung wurde in Fetzen zerrissen. Hierauf aber fanden sie einen Weg durch den Wald, dem sie folgten.
»Halt! Halt!«
Hufschläge ließen sich auf dem Wege vernehmen. Sie hielten an und horchten.
Die Hufschläge eines Pferdes kamen näher und hielten plötzlich an. Sie gingen weiter und wieder hörten sie die Hufschläge, sowie sie aber stehenblieben, hörten auch jene auf.
Schilin trat aus dem Dickicht heraus und schaute den Weg entlang. Er sah dort etwas stehen, das wie ein Pferd aussah, und auf diesem Pferde bemerkte er etwas Sonderbares, das jedoch nicht einem Reiter glich. Er hörte ein Schnauben und horchte aufmerksam hin.
Was für ein Wunder! Schilin pfiff leise, und plötzlich floh mit Sturmeseile die Gestalt vom Wege fort in das Waldesdickicht. Die dürren Zweige knisterten unter dem eiligen Laufe.
Kostylin war heftig erschrocken, Schilin aber rief lachend aus: »Das ist ja ein Hirsch! Hörst Du nicht, wie er mit seinem Geweih die Zweige abbricht? Vor dem haben wir uns gefürchtet, und er ist noch mehr erschrocken über uns.«
Sie setzten ihren Weg fort. Schon erlosch das Licht der Gestirne, der Morgen konnte nicht mehr fern sein. Mehr als einmal war Schilin im Zweifel, ob sie sich auch noch auf dem rechten Wege befänden. Wohl schien