Wie der Fünfzehnjährige den Krieg überlebte und einer Hoffnung erlag. Gerhard Ebert
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50. Und dann ging alles sehr schnell
58. Sozialismus braucht Jahrhunderte
60. Blamage in der Silvesternacht
62. Ein Bayer beim Volkskunstfestival
63. Intermezzo in der Muldental-Bahn
1. Krieg
Uwe hörte die Nachricht zunächst noch ungläubig im Radio. Immer wieder wurde sie wiederholt. Dazu Hitlers schnarrende, geradezu gewalttätige Stimme – mit ein paar Worten, die sich Uwe fürs ganze Leben einprägen sollten: „Seit heute Nacht wird zurückgeschossen!“ Dieses „Zurückgeschossen“ hallte wie ein Schuss im Raum. Es sollte heißen, begriff Uwe, dass nicht die Deutschen, sondern die Polen die Bösewichte seien. Offenbar hatte das irgendwie eine Bedeutung, wer den ersten Schuss abgegeben, wer also mit dem Krieg angefangen hatte. Angeblich also nicht Hitler.
Aber Krieg war Krieg! Was das für die Deutschen eigentlich bedeutete, konnte Uwe nicht im Entferntesten ermessen. Der Neunjährige hatte im Grunde keine Ahnung, nur vage Vorstellungen, alle entstanden aus Erzählungen seines Vaters über dessen Erlebnisse im 1.Weltkrieg. Beispielsweise hatten damals nachts im Schützengraben fürchterliche Metzeleien stattgefunden. Vater war als junger Mann mit gerade einmal achtzehn Jahren eingezogen und sofort an die Front in Frankreich transportiert worden. Nur dank der Erfahrung und Umsicht eines Kameraden, der des Nachts den Feind hatte heran kriechen hören, war er damals davon gekommen. Sie hatten den Franzmann ins leere Schützenloch springen lassen und dann von oben hineingeschossen. Vater erzählte das böse Erlebnis scheinbar gern. Was allerdings irgendwie befremdlich war. Uwe war stets unangenehm berührt. Wie konnte man solch entsetzliches Ereignis aus dem Krieg immer wieder als Lebensbonmot feilbieten! Zumal Vater damals wenig später am Fuß verwundet worden war. Eine Granate hatte eine Ferse arg zugerichtet.
Krieg also! Aufmerksam registrierte Uwe, wie die Menschen reagierten. Tante Luise lamentierte. Auch sie hatte den 1.Weltkrieg erlebt und in gar nicht guter Erinnerung. Eine Hungersnot stünde bevor, klagte sie, und bald würden in der Zeitung die vielen, vielen Todesanzeigen stehen. Mutter schien besonders betroffen. Sie zuckte immer wieder völlig ratlos mit den Schultern und barmte, als ginge die Welt unter.
Als Vater an diesem Tage endlich von der Arbeit nach Hause kam, hatte er offenbar noch einen kurzen Besuch in einer Kneipe gemacht, jedenfalls schien er leicht betrunken. Mutter wagte keine Äußerung, nicht einmal, dass sie ihn vorwurfsvoll anblickte. Offenbar hing Vaters Verhalten mit der Kriegs-Nachricht zusammen. Oder? Uwe war zu neugierig.
„Weißt du schon...?“ fragte er schließlich, kam aber nicht bis zum Ende.
„Lass Vati in Ruhe!“ herrschte Mutter ihn sofort an.
„Hol Bier!“ sagte Vater und drückte ihm den Krug in die Hand. Er schien irgendwie innerlich zu beben, zu zittern, empfand Uwe. Er schwieg, griff zu Krug und Geld und machte sich still auf den Weg zum Gasthaus um die Ecke, wo er gelegentlich für Vater Bier holte und dort, eh der Wirt einschenkte, gern ein bisschen zusah, wenn Gäste Billard spielten. Jetzt war Ruhe, niemand in der Gaststätte. Der Wirt nahm sich Zeit an seinem Zapfer.
„Wie geht’s deinem Vater? Muss er los?“ fragte er plötzlich, während das Bier in den Krug lief.
Uwe erstarrte. Noch eben auf dem kurzen Weg zur Kneipe hatte er gedacht, dass ihn das alles eigentlich wenig angehe. Weil: Für die Soldaten war er nun wirklich zu jung mit seinen neun Jahren. Und der Krieg, so böse er auch sein mochte, musste sich irgendwo in der Ferne abspielen, denn alle Landesgrenzen, wie Uwe schnell anhand einer Karte eruiert hatte, befanden sich im Osten wie im Westen sehr weit weg von seiner Heimatstadt Glauchau. Jetzt diese Frage! Uwe stotterte betroffen, dass er keine Ahnung habe und eilte los. Zu Hause trank Vater sein Bier und untersagte, das Radio einzuschalten. Dann schickte er die Kinder ins Bett. Mutter nahm stumm Bruder Karl an die Hand. Uwe wagte keine Widerrede. Ratlos schaute er Vater an, als er „Gute Nacht“ zu ihm sagte.
„Schon gut!“ erwiderte der und drehte sich ab.
In seiner Kammer und im Bett angekommen, dämmerte es Uwe: Er war sehr wohl betroffen! Und zwar sein Vater. Der war jetzt wahrscheinlich das