Wie der Fünfzehnjährige den Krieg überlebte und einer Hoffnung erlag. Gerhard Ebert
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Immerhin: Uwe hatte begriffen, dass der Mann für die Liebe ganz offenbar unbedingt ein steifes Ding braucht. Das war so sicher wie das Amen in der Kirche. Aber wie den Kerl stramm kriegen? Mit Befehlen und frommen Wünschen war nichts zu machen. Jedenfalls war es ihm noch nie gelungen. So fest auch immer er es sich vornahm, es regte sich gar nichts. Andererseits gab es so merkwürdige Erlebnisse wie damals im Bahnabteil, als er mit Opa nach Bremen zu Tante Betty gefahren war. Da war ihm sein Kleiner angeschwollen, obwohl er ihm keinerlei Aufforderung hatte zuteilwerden lassen.
Wahrscheinlich musste die Annäherung an eine Frau grundsätzlich mit ein paar Küssen beginnen. Aber wenn man eine Frau küsst, überlegte Uwe, dann ist sie ja angekleidet. Wie kriegt man sie dazu, dass sie nun auch ihren nackten Po zur Verfügung stellt? Und wenn sie ihn herhält, dreht sie einem den Rücken zu. Also kann man sie nicht mehr küssen! Wie soll man da noch einen strammen Ständer haben?
Was den Krieg betraf, so hatte die Familie ihn bislang gut überstanden. Vater war vom Militär entlassen worden und konnte seiner Arbeit nachgehen. Anfangs hatte er noch gehumpelt, wenn er morgens losging, damit nicht irgendwer falsche Schlüsse ziehen würde. Aber nach geraumer Zeit war Vater wieder ganz gut zu Fuß. Das war just in den Tagen, als „der Klapperstorch“ Mutter eine gesunde Tochter gebracht hatte. Verständlich, dass Vater vergaß, den Leuten irgendetwas vor zu hinken.
3. Tante ausgebombt
Eines Tages kam aus Bremen die Nachricht, dass Tante Betty ausgebombt sei. Nach kurzem Briefwechsel wurde von Vater entschieden, dass Tante Betty im Haus der Eltern Unterschlupf finden würde, bis der Krieg zu Ende war.
Das bedeutete, dass Uwe diese mondäne Frau der Großstadt noch einmal wiedersehen sollte. Er hatte sie kennengelernt, als er sie mit Opa kurz vor dem Krieg in Bremen besucht hatte. Damals hatte ihn – und da war er wirklich noch ein Bub gewesen – ihr Körper auf geheimnisvolle Weise interessiert. Was wohl würde sich jetzt tun? Fest stand, dass diese Tante offenbar ein Typ Frau war, für den er, Uwe, eine Schwäche hatte. Er konnte es sich nicht erklären, aber es war so. Sobald feststand, dass Tante Betty kommen würde, ergriff ihn eine bis dato ungekannte Unruhe. Was spielte sich ab bei ihm?
Es war das alles ohnehin seltsam genug: Männlein und Weiblein unterschiedlichster Figur und Ausstrahlung fanden zueinander. Dicke liebten Dünne, Große mochten Kleine. Man brauchte nur auf der Straße beim Bummeln einmal genau hinzusehen. Die unglaublichsten Paare zogen an einem vorüber. Manchmal war es geradezu rätselhaft, was sie wohl aneinander fanden. Offenbar mussten da Dinge im Spiele sein, die nicht äußerlich zu fassen waren.
Uwe gestand sich ein, dass seine mögliche Angebetete vor allem schön zu sein hatte. Aber was hieß das schon: schön! Reichte das aus? Im Bett muss es flutschen, hatte ihm mal ein Mitschüler gesagt, als sie im Gespräch auf das Problem gestoßen waren. Und obwohl Uwe sehr neugierig gewesen war und gern mehr erfahren hätte, hatte er souverän so getan, als sei ihm das völlig klar.
Eine Ausnahme war zweifellos, dass gelegentlich ein Reicher eine Arme liebte. Vielleicht, weil es da besonders gut flutschte. Wie das in Kitsch-Romanen ja vorkommt, und von doofen Leuten immer wieder geglaubt wird. Nur: Was ihn, Uwe, und diese Tante betraf, konnte es sich ja nicht um Liebe oder so etwas Ähnliches handeln. Was aber war es dann, das ihn so beschäftigte?
Als sie Tante Betty schließlich vom Bahnhof abholten, wo sie mit zwei kleinen Koffern sichtlich gealtert aus dem Zug stieg, war Uwe erst einmal enttäuscht. Er hatte sich vorzustellen versucht, wie sie wohl jetzt aussehen könnte, ohne zu beachten, dass ja ein verheerender Krieg tobte, dass Not und Hunger herrschten, dass Tante ausgebombt war und dass ihr Mann irgendwo in Russland seinen Kopf fürs Vaterland hinhielt.
Am nächsten Morgen, als Tante ausgeruht und sich etwas zurecht gemacht hatte, sah sie denn schon wieder ganz manierlich aus. Sie war schlanker, was kein Schade war. Und ihre Lippen höchst bemerkenswert. Uwe kriegte das mit, als sie ihm sozusagen zur Bekräftigung ihrer Ankunft einen Kuss verpasste, und zwar ohne Zaudern und Schnörkel kräftig mitten auf den Mund. Das kannte Uwe nicht, hatte ihn schon damals in Bremen überrascht. Wenn Mutter küsste, dann lieb und herzlich auf die Wange. Aber doch nicht auf den Mund! Vaters Küsse zählten nicht, auch wurden die, wenn überhaupt, auf die Stirn platziert. Jetzt also weich und warm innig auf den Mund. Uwes Blut geriet in Wallung. So also muss geküsst werden, dachte er und versuchte, seine Empfindung irgendwie wach zu halten. Noch war er ja sternenweit von irgendeinem hübschen Mädchenmund entfernt, der sich ihm zum Kuss geboten hätte. Aber seine Neugier auf die kussfreudige Tante war unerwartet mächtig mobilisiert.
Der Gast wurde im Erdgeschoss des Elternhauses einquartiert in der kleinen Wohnung von Tante Luise, die ihr Schlafzimmer hatte opfern müssen. Schließlich war Krieg, und ausgebombt zu werden war auf alle Fälle schlimmer, als aus Christenliebe ein Zimmer abzutreten. Ausstatten konnte sich Tante Betty ihre neue Bleibe mit ein paar Möbeln, die sie, als in Bremen die Bombenangriffe bedrohlich zunahmen, vorsorglich in Glauchau ausgelagert hatte, wo Vater vom Chef seines Betriebes einen ungenutzten Raum hatte anmieten können.
Faszinierend an Tante Betty war aus Uwes Sicht ihr berückend tadelloser Körper, besonders aber der Umstand, dass sie als junges Mädchen von zu Hause durchgebrannt war. Ganz genau erfuhr Uwe den Hergang zwar nie, aber so viel stand fest: Onkel Jupp, Tantes Mann, ein Kaffeehaus-Musiker, hatte im Ort gastiert, bei welcher Gelegenheit sie sich in ihn verliebte. Und als sein Gastspiel zu Ende ging, war sie über Nacht mit ihm davongezogen. Was ihr ihr Vater lange Zeit nicht verzieh, obwohl er hätte wissen müssen, dass seine Tochter Hummeln im Hintern hatte, denn ihre Mutter war auch recht reiselustig gewesen. Sie war von Opa auf einem Rummelplatz aufgelesen worden. Nicht als elternloses Kind, sondern als hübsche Tochter eines Schaustellers. Es hieß – zumindest hinter vorgehaltener Hand: Oma war eine Zigeunerin gewesen! Was für Uwe bedeutete, dass er irgendwie von Zigeunern abstammte. Eine wahrhaft aufregende Tatsache!
Kein Wunder also, dass Uwe seine Tante Betty besonders im Auge hatte. Wozu sie ihm im Sommer unvermutet gute Gelegenheit bot. Sie war eben doch eine moderne Frau der Großstadt, der die Spießbürgerlichkeiten einer Kleinstadt einfach schnuppe waren. Sobald sich nämlich im Frühjahr die erste günstige Gelegenheit bot, schnappte sich Tante einen Liegestuhl und legte sich zum Sonnenbad in den Hof. Aber nicht etwa wie Tante Luise in voller Montur, sondern in einem modernen Badeanzug, wie sie ihn schon damals an der Weser getragen hatte.
Das musste ausgenutzt werden! Leider fand sich nicht immer ein Grund, sich unmittelbar neben ihr zu platzieren, um sie aus den Augenwinkeln in aller Ruhe gründlich betrachten zu können. Sich stets zu gleicher Zeit wie Tante zu sonnen, wäre möglicherweise aufgefallen und hätte unangenehme Fragen auslösen können. So reizvoll und aufregend es also war, die heimlich angebetete Schöne aus der Nähe zu begutachten – Uwe musste es geschickt anstellen. Daher schlich er sich, wenn es sich machen ließ, unauffällig ins Schlafzimmer der Eltern, von wo er relativ ungestört beobachten konnte.
Worin Uwe bisher noch immer ein bisschen unsicher gewesen war, stand alsbald fest: Tante Betty war der Typ Frau, den er als Mann bevorzugen würde. Je öfter er schaute, desto gewisser wurde seine Überzeugung. Es war ja eine zunehmend beunruhigende Frage für ihn, an welche Frau er dereinst geraten würde. Irgendwann würde es gewiss geschehen. Und einfach nicht auszudenken der Glücksfall, dass die, die er würde haben wollen, prompt einverstanden sein könnte. So problemlos würde sich das wohl kaum zutragen. Soweit kannte Uwe