Wie der Fünfzehnjährige den Krieg überlebte und einer Hoffnung erlag. Gerhard Ebert
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Bei welcher Gelegenheit übrigens für Uwe an den Tag gekommen war, was Vater damals mit seiner geheimnisvollen Bemerkung gemeint hatte, er werde es denen schon zeigen. Als er jetzt die paar Tage zu Hause gewesen war, hatte er nämlich konsequent und ganz und gar unmilitärisch gehumpelt, sobald er mit seinen Stiefeln die Straße betrat. Zu Hause in Pantoffeln machte ihm seine Verletzung aus dem 1.Weltkrieg keinen Kummer. In den Knobelbechern jedoch schmerzte die alte Wunde an der Ferse so arg, dass er völlig kriegsuntauglich hinken musste. Kein Arzt hatte ihm beweisen können, dass er simulierte. Und man hatte ihn zu etlichen Ärzten geschickt. So war er denn von der Front zurück in die Heimat versetzt worden, wobei er seinen Kurzurlaub offenbar zum Bumsen genutzt hatte. Uwe war auf einmal sehr froh, durch eine Kur im Erzgebirge in Sachen Kinderkriegen kundiger geworden zu sein. Im Schlafsaal hatten die Jungen in Sachen Frauen nämlich Dinge erzählt, die Uwe noch nie gehört hatte.
Jedenfalls war Mutter schwanger, daran war nicht zu rütteln. Und obwohl der Bauch schon mächtig angeschwollen war, eigentlich nicht zu übersehen, versuchte eines Tages doch tatsächlich Tante Else, Uwe einzureden, dass bald der Klapperstorch komme. Und Mutter, von Tante dazu aufgefordert, schloss sich dem Märchen an, wobei sie immerhin in dem Moment versuchte, ihren Bauch etwas wegzudrehen. Uwe musste arg an sich halten, um den alten Weibern nicht klipp und klar zu sagen, was er von ihrem Geschwätz hielt. Aber er schaffte es, einfach still den Ahnungslosen zu spielen. Denn, das war klar, würde er widersprechen, müsste er allerhand Fragen über sich ergehen lassen. Vor allem Mutter würde immer wieder bei ihm bohren, um herauszubekommen, was Uwe vom Kinderkriegen schon wusste.
Leider wusste er davon bislang so gut wie nichts, allenfalls irgendwie dunkel, dass man einen nackten Po brauchte, und zwar den von einer Frau, und dass es auf das Stoßen mit dem steifen Pimmel ankommt, was man Ficken oder Bumsen nennt. Diese säuischen Worte, die manchen Jungs damals im Schlafsaal wie Öl über die Zunge gegangen waren, würden, sollte er sie in den Mund nehmen, zahllose unangenehme Fragen auslösen. Das musste auf alle Fälle vermieden werden. Von Mutter in dieser pikanten Angelegenheit im Detail Genaueres zu erfahren, war ohnehin unwahrscheinlich. Vielleicht tat er Mutti unrecht, gewiss sogar. Vielleicht wartete sie darauf, ihm endlich etwas zu erzählen über wahre Liebe zwischen Mann und Frau. Aber Uwe zögerte. Ihm kam es, fand er, nicht zu, in dieser Frage das erste Wort zu haben. Und so, wie die Frauen ihn jetzt wieder als ahnungslosen Bub behandelten, war eine Öffnung seinerseits einfach ausgeschlossen.
Wenig später geschah so Ungeheuerliches, dass alle anderen Probleme verblassten. Tante Else, auf die Uwe echt Groll hatte, wurde vom Schicksal derart böse mitgespielt, dass Uwe Mitleid haben musste. Die Tante, in seinen Augen eine alte Frau, brach eines Tages unerwartet, ja, sie brach regelrecht in die Wohnstube herein, hemmungslos schreiend und ihre Handtasche wild in eine Ecke schleudernd. Desolat und erschöpft ließ sie sich auf einem Stuhl nieder und heulte Rotz und Wasser. Noch bevor Uwe begriff, was vorging, hatte Mutter verstanden.
"Gottfried!" schrie sie schrill, "Gottfried!" Tante Else nickte und presste sich ein Taschentuch ins Gesicht.
Jetzt begriff auch Uwe. Sein Cousin Gottfried, vor kaum vier Wochen mit seinen achtzehn Jahren zum Militär geholt, war schnurstracks an die Ostfront transportiert worden und beim ersten Gegenangriff der Russen auch schon umgekommen. Entsetzlich! Uwe konnte sich fast ausrechnen, wann er an der Reihe sein würde. In diesem Moment hoffte er inbrünstig, dass die Feinde dem Krieg bald irgendwie ein Ende machen würden.
Es war ja ohnehin alles ganz anders gekommen, als Hitler den Deutschen versprochen hatte. Anfangs hatte die Wehrmacht in Ost und West nur Siege gefeiert, ja sogar in Afrika jagte sie Engländer in die Flucht. Obwohl niemand so recht wusste, was die Deutschen nun auch noch in Afrika sollten. Reichte Europa denn nicht? Und überhaupt: Waren das wirklich alles Feinde? Uwe hatte da echte Zweifel. Andererseits: Etwas anderes als ein deutscher Sieg kam eigentlich nicht in Frage. Wie sollte es sonst weitergehen mit Deutschland? Gar nicht auszudenken. Aber seit Stalingrad sah es leider nicht mehr nach einem deutschen Endsieg aus.
Prompt musste noch jemand aus der Verwandtschaft zum Militär. Während Vater, dieser wahre Glückspilz, inzwischen wieder zu Hause war, weil er auch in der Genesungs-Kompanie im Ersatz-Bataillon erfolgreich gehinkt hatte, musste Onkel Erich, Tante Elses Mann, in den Krieg. Er war sogar einige Jahre älter als Vater, also zum Kriegsdienst bestimmt nicht mehr geeignet. Aber offenbar war bereits Not am Mann.
Uwe ahnte nichts Gutes für Deutschland, wenngleich ihn sein eigenes Schicksal natürlich viel mehr beschäftigte. So sann er vorsorglich schon einmal ernsthaft darüber nach, welche Chance wohl bestand, heil aus einer Schlacht herauszukommen. Denn Hinken, das erfolgreiche Mittel seines Vaters, kam nicht in Frage. Er hatte keine Wunde aus dem 1. Weltkrieg. Alle Überlegungen endeten immer wieder bei der Erkenntnis, dass er, Uwe, eigentlich nur eine reale Chance hatte, nämlich dann, wenn der Krieg zu Ende ging, bevor er alt genug dafür war. Neuerdings holten sie schon ganz junge Leute für die Flakabwehr, was ohne Zweifel nicht ganz so gefährlich war, denn da blieb man ja meist in der Heimat zum Schutz irgendwelcher Rüstungsfabriken.
Das Fatalste für junge Männer war ohne Zweifel, ins Gras beißen zu müssen, noch bevor man mit seinem Pimmel wenigstens einmal im Leben so richtig losgelegt hatte, wie das von der Natur ganz offenbar vorgesehen war. Seinem Cousin war das wahrscheinlich so widerfahren. Oder hatte der als Jüngling schon mal probiert? Genaues wusste Uwe nicht. Fest stand, dass man angesichts der aktuellen Lage auf gar keinen Fall zu lange warten durfte. Doch wie die Sache anstellen? Wo sollte er eine Frau hernehmen? Am ehesten hatte er in der Schule Kontakt. Doch da war keine Schülerin, die ihn so ganz toll interessiert hätte.
Eines Tages machte Uwe abends in der Dunkelheit eine Beobachtung, die ihn für lange Zeit völlig durcheinander brachte. Beim arglosen Schlendern im nahen Park hatte er plötzlich hinter einem Gebüsch ein seltsames Keuchen gehört. Starr war er stehen geblieben und hatte gelauscht. Neugierig wie er nun einmal war, hatte er sich alsbald vorsichtig nähergeschlichen. Viel war nicht zu sehen gewesen, aber so viel denn doch, dass da ein junger Bursche einem anderen, der sich vorbeugte, von hinten auf dem nackten Hintern hockte.
Um genauer zu sein: Er hockte nicht, sondern wuchtete seinen Schoß immer wieder kräftig gegen den nackten Popo des anderen, der dabei immer heftig aufstöhnte. Das ging so eine Weile, dann ächzte einer, als werde er umgebracht. In dem Moment hatte es Uwe für ratsam gehalten, das Weite zu suchen, so verdammt interessant es möglicherweise noch werden würde. In sicherer Entfernung hatte er sich zwar sofort über seine Hasenfüßigkeit geärgert, aber Zeuge eines Verbrechens, gar eines Mordes hatte er nicht sein wollen.
Andererseits: Würde sich so ein Mord zutragen? Doch wohl kaum. Ein Messer hatte er nicht gesehen, einen Schuss nicht gehört. Aber was hatten die beiden getrieben? Er konnte sich einfach nicht erklären, was sich da abgespielt hatte. Warum hatte der eine einen nackten Popo, die Hosen um die Beine schlackernd? Als Uwe abends in seinem Bett lag und die seltsamen Bilder immer noch nicht los wurde, dämmerte es ihm plötzlich. Wie die Affen im Zoo! Er sah keine andere Möglichkeit als die, dass der Hintermann dem Vordermann offenbar seinen steifen Schwengel immer wieder mit aller Kraft in das Arschloch gewuchtet hatte. Dafür musste er die Hose nicht herunterlassen, dafür genügte der offene Hosenschlitz. Natürlich! So musste es gewesen sein. In den Hintern!
Uwe ärgerte sich im Nachhinein noch einmal mächtig, dass er das Schauspiel nicht bis zum Ende genossen hatte. Da war nicht irgendein Mord geschehen, sondern zwei große Lotterbuben hatten ihre Kolben bewegt. Das heißt, sie hatten sich später vermutlich sogar abgewechselt, damit jeder einmal zum Zuge kam. Wahrscheinlich sogar hatten sie beide den Gestellungsbefehl in der Tasche! Aber war derlei Sauerei die Lösung in Ermangelung