Schattendasein - Der erste Teil der Schattenwächter-Saga. Sandra Grauer
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Читать онлайн книгу Schattendasein - Der erste Teil der Schattenwächter-Saga - Sandra Grauer страница 10
Ich nickte. »Tja, sieht so aus. Und bevor du fragst, ich hab's ihm nicht verraten.«
Doch Hannah sah irgendwie zufrieden aus. Es läutete, was bedeutete, dass wir noch fünf Minuten hatten. Hannah sprang vom Tisch. »Ich muss mal noch schnell wohin«, meinte sie lächelnd.
Ich nickte zufrieden. Es sah so aus, als ob wieder alles in Ordnung wäre. »Ach Hannah?«
Sie war schon halb an der Tür und drehte sich noch einmal zu mir um.
»Kein Wort zu Mark oder Tim. Mark würde ausflippen, und Tim will, dass ich mich von Gabriel fernhalte. Es gibt keinen Grund, ihn aufzuregen.«
Erwischt!
An diesem Tag liefen wir Gabriel wegen seiner Abiprüfung nicht mehr über den Weg, aber Hannah und ich suchten uns in den Pausen ohnehin einen ruhigen Ort, um zu besprechen, wie wir weiter vorgehen sollten. Nach der Schule gingen wir sofort zu mir. Meine Mutter war noch nicht zu Hause, als wir ankamen, daher mussten wir uns nicht mit Nebensächlichkeiten wie Mittagessen aufhalten. Sie hatte mir allerdings eine Packung Mirácoli und einen Zettel hingelegt, dass ich mir ja schon mal was zu essen machen könnte, wenn ich großen Hunger hätte. Wir hatten zwar Hunger, aber keine Lust, zu kochen, deshalb holte ich uns haufenweise Süßkram nach oben. Hannah saß bereits vor dem PC, als ich mein Zimmer betrat.
»Die alte Gurke braucht ganz schön lang zum Hochfahren«, maulte sie und griff nach einem Schokoriegel. »Vielleicht solltest du mal drüber nachdenken, dir 'nen neuen Computer zu besorgen.«
»Zu teuer«, antwortete ich knapp und griff ebenfalls nach einem Schokoriegel. Die Diskussion hatte ich schon mehrmals mit Hannah geführt. Manchmal war es nervig, so lange zu warten, bis man endlich arbeiten konnte, so wie jetzt zum Beispiel, wo wir beide voller Tatendrang waren. Aber in der Regel störte es mich nicht. Ich hatte mich längst daran gewöhnt, und solange der Computer seinen Zweck erfüllte, war das meiner Meinung nach in Ordnung.
Als der Rechner endlich hochgefahren war, suchte Hannah nach einem lateinischen Wörterbuch, während ich weiter an meinem Schokoriegel knabberte. »Da, ich hab's«, meinte sie ganz aufgeregt. »Custos heißt Wächter, und umbrarum kommt von umbra. Das bedeutet Schatten.« Ich überlegte einen Moment und murmelte schließlich: »Wächter der Schatten. Schattenwächter. Kannst du dir irgendwas darunter vorstellen?« Hannah schüttelte den Kopf. »Ich hab keinen blassen Schimmer, was das sein soll. Aber wir können's ja mal googlen.« Sie gab das Wort Schattenwächter ein und drückte auf Enter. »Oh Gott, da gibt's haufenweise dieser Foren, wo irgendwelche Freaks gegeneinander spielen. Bitte sag mir, dass Gabriel nicht dazugehört.« »Bestimmt nicht«, meinte ich und schob sie zur Seite, um selbst mal einen Blick auf die Ergebnisse zu werfen. »Also ich kann mir ja vieles vorstellen, aber dass Gabriel Mitglied bei so einem Forum ist, glaub ich nicht.« Ich klickte mal eine Seite an und las quer. »Außerdem haben die ihre Plattform im Internet. Das würde also nicht erklären, warum Gabriel und sein Bruder in der Realität mit Schwertern hantieren. Nee, da muss was anderes dahinterstecken.« Ich gab die Wörter Custos umbrarum bei Google ein und wartete auf die Ergebnisse. »Gute Idee«, murmelte Hannah neben mir. »Gefällt dir eine geheime Burschenschaft besser als so ein Spielerforum?«, fragte ich Hannah, nachdem wir die Ergebnisse begutachtet hatten. Direkt an erster Stelle offenbarte sich uns ein Link über besagte Burschenschaft. »Ich weiß nicht«, erwiderte Hannah skeptisch. »Klick doch mal drauf.« Und genau das tat ich. Es dauerte nicht lange, bis sich die Startseite aufgebaut hatte. Mich traf fast der Schlag. Mitten auf dem Bildschirm prangte ein Bild von dem Schwert, dass ich Samstagabend gesehen hatte. »Das ist es«, flüsterte ich fast. Doch Hannah beachtete mich kaum. Sie murmelte nur etwas von »Hübsch« und war schon in den Text vertieft. Auch ich begann nun, zu lesen. Die Seite lieferte einen Enthüllungsbericht über die geheime Burschenschaft Custos umbrarum, deren Mitglieder sich angeblich Schattenwächter nannten. Schattenwächter, weil man die Burschenschaft im Dunkeln halten wollte. Mitglied konnte man nicht einfach so werden. Entweder man wurde auserwählt oder von anderen Mitgliedern vorgeschlagen. In vielen Burschenschaften stand das Fechten im Vordergrund. Bei dieser Burschenschaft war der Schwertkampf wichtig. Füchse, also Mitglieder auf Probe, mussten einen solchen Schwertkampf bestehen, um endgültig in der Burschenschaft aufgenommen zu werden. Die Farben der Burschenschaft waren grün und schwarz. Ich versuchte, mir Gabriel als Mitglied einer geheimen Burschenschaft vorzustellen. »Was meinst du dazu?«, fragte ich Hannah. »Klingt plausibel, oder? Ich mein, Gabriels Bruder studiert schon, Gabriel ist auch bald so weit. Außerdem haben seine Eltern Kohle, soviel ich weiß. Das passt doch. Auch wenn ich das Ganze etwas schade finde. Es klingt zwar aufregend und spannend, aber irgendwie hatte ich gehofft, hinter der ganzen Sache würd mehr stecken. Was meinst du denn?« »Ich bin nicht sicher. Es würd schon Sinn machen, und ehrlich gesagt könnt ich's mir auch gut vorstellen. Aber lass uns noch ein bisschen weiter suchen, nur zur Sicherheit.« Viel fanden wir aber nicht mehr. Es gab noch ein paar Seiten, in denen es ebenfalls um diese Burschenschaft ging, die aber keine neuen Informationen lieferten. Alle anderen Ergebnisse waren nutzlos. Tja, damit war das Geheimnis wohl gelüftet, auch wenn mir das Ganze etwas zu einfach vorkam. Warum hatte Gabriel so einen Wind gemacht, wenn es sich bei der Sache am Samstagabend nur um Aktivitäten einer geheimen Burschenschaft handelte? Andererseits, er war eben Gabriel.
Hannah hatte keinen Zweifel daran, dass wir hinter Gabriels Geheimnis gekommen waren. Anfangs war auch ich mir sicher, dass die Sache Sinn machte. Je mehr ich jedoch darüber nachdachte, desto unsicherer wurde ich. Ich konnte mir Gabriel zwar durchaus als Mitglied einer Burschenschaft vorstellen, ob nun geheim oder nicht, aber ich wurde das Gefühl nicht los, dass noch mehr dahintersteckte. An besagtem Samstagabend waren Dinge geschehen, die sich mit dieser Lösung einfach nicht erklären ließen.
Warum war zum Beispiel der eine Mann ohnmächtig gewesen? Wenn sie dort auf dem Spielplatz geübt hatten, hätten sie sich doch nicht gegenseitig verletzt oder der Polizei überlassen. Dann war da noch dieses komische Wesen gewesen, das verbrannt war. Wie ließ sich das erklären? Und wenn man mal von all diesen Dingen absah, war Gabriel noch dabei, sein Abitur zu machen. Er musste doch im Moment weitaus Wichtigeres zu tun haben, als sich um solche Burschenschaften und Aufnahmerituale zu kümmern. Schließlich war er gerade mit seinen schriftlichen Prüfungen beschäftigt. Ich bezweifelte, dass er sich schon an der Uni beworben hatte. Immerhin lief die Bewerbungsfrist bis zum Sommer, und er hatte ja noch nicht einmal sein Abiturzeugnis vorzuweisen. Und ohne das konnte er sich nicht bewerben, schon gar nicht für ein Fach, für das man einen bestimmten Notendurchschnitt vorweisen musste. Warum also sollte er bereits Mitglied einer Burschenschaft sein?
Ich kannte mich damit zwar überhaupt nicht aus, aber ich war mir ziemlich sicher, dass man im ersten Semester oder zumindest bereits an einer Uni eingeschrieben sein musste, um Mitglied zu werden. Wie man es auch drehte und wendete, es ergab alles keinen Sinn. Wenn ich mit Hannah darüber sprach, winkte sie bloß ab. Gabriels Familie hätte doch Geld, da gäbe es solche Zwänge sicher nicht. Aber ich ließ mich nicht überzeugen, und schließlich kam mir der Zufall zu Hilfe. In der Stadt traf ich Oliver, einen Kommilitonen von Tim, der Mitglied in einer Heidelberger Studentenverbindung war. Ich packte die Gelegenheit beim Schopf. Vielleicht konnte ich ihn ja ein wenig über Studentenverbindungen aushorchen.
»Hi Oliver«, begrüßte ich ihn, als er auf der überfüllten Hauptstraße fast an mir vorbeigegangen wäre, ohne mich zu bemerken.
»Ach Emmalyn, hab dich gar nicht gesehen«, erwiderte er und drückte mir ein Küsschen auf die Wange. »Wie geht’s?«
»Gut, danke. Und dir? Was macht die Uni?«
»Alles super. Ab und zu mal ein Kurs und ansonsten das Studentenleben